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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Leser wird es anziehend sein, den alten Herrn in seinem Verkehr mit Sammlern,
im Tauschhandel und in seiner Betrachtung der Natur- und Kunstgegenstände zu
verfolgen. Ueberall wirkt er anregend und belehrend. Den Rath Grüner macht
er zu einem leidenschaftlichen Mineraliensammler, den Grafen Caspar Sternberg
veranlaßt er, einen Schacht von der Soole eines Hügels bei Franzensbad auf
einen vorgeblichen Krater zu treiben, um die Eruptionsspalte aufzufinden, für
alle Erscheinungen des Menschenalters und der Natur zeigt er selbst ein tieferes
Interesse, und die Sitten und Trachten des Egerlandes, ein alter Thurm, ein aus dem
Wasser gezogener Baumstamm, Fabriken und Jndustrieerzeugnisse, das Alles sind Ge¬
genstände, denen er nach seiner Weise "etwas abzugewinnen" sucht. Am merkwürdigsten
aber erscheint sein großer Sammeltrieb. Rath Grüner besaß z.B. einen Mosaikschrank,
ein Familienstück, zum Theil von ausgezeichneter Arbeit. Dieser Schrank zog den großen
Herrn wie mit Zauberkraft an; so oft er seinen Gastfreund in Eger besuchte, blieb er
nachdenkend vor diesem Pretiosnm stehen. Gleich im Anfange der Bekanntschaft machte
er dem Besitzer den Vorschlag, einen Theil des Mosaiks herauszuschreiben und gegen
eine namhafte Summe der Goethe'scheu Sammlung zu überlassen, und als Grüner
darauf nicht recht eingehen wollte, schied er von diesem Mosaik mit einer gewissen
schmerzlichen Resignation, und wir thun dein vortrefflichen Verehrer Goethe's
wol kein Unrecht, wenn wir annehmen, daß die achtungsvolle Freundschaft,
welche Goethe ihm schenkte, zum -- sehr kleinen -- Theil durch die verehrungs¬
volle Zärtlichkeit genährt wurde, welche der Dichter, so lange er lebte, für dieses
Mvsaitstück fühlte.

Unter den zahlreichen Bekannten, welche Goethe im Egerland bei seinen
wiederholten Badereisen an sich fesselte und für seine Interessen zu verwenden
wußte, war auch eine sehr merkwürdige Person, der damalige Scharfrichter von
Eger, Karl Huß, dessen Lebensschicksale im vorliegenden Buche ausführlich er¬
zählt sind. Seine Bekanntschaft mit Goethe stammte schon aus früherer Zeit.
Grüner erzählt --leider mit wenig Worten--daß Goethe einst im Hause des Nach-
richters in abenteuerlicher Laune ein Frühstück veranstaltet und mit einer berühm¬
ten Opernsaijgerin eingenommen habe. In dem Buche selbst erscheint Herr Huß,
wie ihn Goethe nennt, als einer von den Kuriositäten- und Naturalieusammleru
des Dichters. Goethe läßt ihn gern grüßen, sendet ihm merkwürdige Münzen,
und läßt sich von ihm ungewöhnliche Krystalle und Fossilien zusammensuchen; er
besticht ihn bei seinen Aufenthalten in Eger und wird von ihm hochachtungsvoll
wieder besucht. Wenn der schlaue Scharfrichter den Fundort seltener Mineralien
als Geheimniß auch dem Dichter verbirgt, so lockt ihn Goethe durch übersandte
Beutel mit alten Münzen und das Versprechen seltener Sämereien zum Geständniß.

Karl Huß war im Jahre -1761 zu Brüx in Böhmen geboren, Sohn des
dortigen Scharfrichters, der auf seine Erziehung mehr Sorgfalt verwandte, als
sonst bei Meistern dieses düstern Handwerks üblich ist. Er sandte den 9jährigen


Leser wird es anziehend sein, den alten Herrn in seinem Verkehr mit Sammlern,
im Tauschhandel und in seiner Betrachtung der Natur- und Kunstgegenstände zu
verfolgen. Ueberall wirkt er anregend und belehrend. Den Rath Grüner macht
er zu einem leidenschaftlichen Mineraliensammler, den Grafen Caspar Sternberg
veranlaßt er, einen Schacht von der Soole eines Hügels bei Franzensbad auf
einen vorgeblichen Krater zu treiben, um die Eruptionsspalte aufzufinden, für
alle Erscheinungen des Menschenalters und der Natur zeigt er selbst ein tieferes
Interesse, und die Sitten und Trachten des Egerlandes, ein alter Thurm, ein aus dem
Wasser gezogener Baumstamm, Fabriken und Jndustrieerzeugnisse, das Alles sind Ge¬
genstände, denen er nach seiner Weise „etwas abzugewinnen" sucht. Am merkwürdigsten
aber erscheint sein großer Sammeltrieb. Rath Grüner besaß z.B. einen Mosaikschrank,
ein Familienstück, zum Theil von ausgezeichneter Arbeit. Dieser Schrank zog den großen
Herrn wie mit Zauberkraft an; so oft er seinen Gastfreund in Eger besuchte, blieb er
nachdenkend vor diesem Pretiosnm stehen. Gleich im Anfange der Bekanntschaft machte
er dem Besitzer den Vorschlag, einen Theil des Mosaiks herauszuschreiben und gegen
eine namhafte Summe der Goethe'scheu Sammlung zu überlassen, und als Grüner
darauf nicht recht eingehen wollte, schied er von diesem Mosaik mit einer gewissen
schmerzlichen Resignation, und wir thun dein vortrefflichen Verehrer Goethe's
wol kein Unrecht, wenn wir annehmen, daß die achtungsvolle Freundschaft,
welche Goethe ihm schenkte, zum — sehr kleinen — Theil durch die verehrungs¬
volle Zärtlichkeit genährt wurde, welche der Dichter, so lange er lebte, für dieses
Mvsaitstück fühlte.

Unter den zahlreichen Bekannten, welche Goethe im Egerland bei seinen
wiederholten Badereisen an sich fesselte und für seine Interessen zu verwenden
wußte, war auch eine sehr merkwürdige Person, der damalige Scharfrichter von
Eger, Karl Huß, dessen Lebensschicksale im vorliegenden Buche ausführlich er¬
zählt sind. Seine Bekanntschaft mit Goethe stammte schon aus früherer Zeit.
Grüner erzählt —leider mit wenig Worten—daß Goethe einst im Hause des Nach-
richters in abenteuerlicher Laune ein Frühstück veranstaltet und mit einer berühm¬
ten Opernsaijgerin eingenommen habe. In dem Buche selbst erscheint Herr Huß,
wie ihn Goethe nennt, als einer von den Kuriositäten- und Naturalieusammleru
des Dichters. Goethe läßt ihn gern grüßen, sendet ihm merkwürdige Münzen,
und läßt sich von ihm ungewöhnliche Krystalle und Fossilien zusammensuchen; er
besticht ihn bei seinen Aufenthalten in Eger und wird von ihm hochachtungsvoll
wieder besucht. Wenn der schlaue Scharfrichter den Fundort seltener Mineralien
als Geheimniß auch dem Dichter verbirgt, so lockt ihn Goethe durch übersandte
Beutel mit alten Münzen und das Versprechen seltener Sämereien zum Geständniß.

Karl Huß war im Jahre -1761 zu Brüx in Böhmen geboren, Sohn des
dortigen Scharfrichters, der auf seine Erziehung mehr Sorgfalt verwandte, als
sonst bei Meistern dieses düstern Handwerks üblich ist. Er sandte den 9jährigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/250>, abgerufen am 28.12.2024.