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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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eben nur durch die, gleichviel ob in den Angen der europäischen Fürsten politisch
gerechtfertigte, Zurücknahme einer Reihe von feierlichen Verheißungen zu leisten
im Stande ist. Warum also dem Kaiser zu späteren Repressalien einen Vorwand
geben? Ist der Krieg mit England oder Deutschland in den Augen der franzö¬
sischen Nation gerechtfertigt oder durch innere Nothwendigkeiten geboten, so wird
sich der dritte Napoleon eben so wenig durch ein Versprechen binden lassen, als
es der erste gethan. Die diplomatischen Spitzfindigkeiten reduciren sich demnach
ans kleinliche Neckereien, und wir können für unsren Theil nicht begreisen, daß die
großen Herren, welche die Geschichte machen, doch so wenig ans der Geschichte
lernen. Was wäre zum Beispiele aus den Verträgen von geworden, wenn
Lamartine seine Aufgabe anders aufgefaßt hätte, oder wenn die Italiener
siegreich geblieben wären. -- Was hätten die Verbriefnngcn genützt, wenn in
Belgien eine mit der französischen analoge Bewegung das Uebergewicht erhalten hätte.
Die Bürgschaften, die man von Louis Napoleon sucht, muß man daheim finden,
und England hat auch in diesem Falle seine politische Ueberlegenheit bethätigt.
Louis Napoleon wird sich Alles gefallen lassen, so lange e^ muß, aber er ist wahr¬
haftig nicht der Manu, eine Gelegenheit zur Revanche zu verpassen, so wie sich
diese findet. Daß man hier den wirklichen Verlauf der Dinge so sorgsam ver¬
heimlicht, ist mit ein Beweis dafür, daß der Kaiser die ihm zugefügte Demüthi¬
gung fühle, und ohne Englands Einfluß wäre es vielleicht jetzt schon zum Brüche
gekommen. Louis Napoleon, der sich in jede Rolle mit unläugbarem Geschicke
fügt, überfließt fortwährend von friedlichen Versicherunge". Er weiß darum doch,
daß mit einem Regierungssysteme wie das seine ohne Thätigkeit nach außen hin
auf die Dauer kein Heil für ihn sei, und er bereitet sich nach einer andern Seite
zu einem Schlage vor, bis der Augenblick in Europa gekommen ist. Es ist da¬
her nicht unwahrscheinlich, daß sein Plan die Besitzungen in Algier zu vergrößern
und diese Provinz zu einem französischen Indien zu machen, bald zur Ausführung
kommt. Mit den socialen und finanziellen Reformen, die dem Kaiser für seine
Person am Herzen liegen mögen, kann er bei einem Ministerium, das ans den
Reactionairen aller Parteien besteht und Fould zum Atlas hat, uicht schnell vor¬
wärts gehen, das braucht Zeit und kostet selbst einem unumschränkten Herrscher
mehr Kämpfe, als man vielleicht annehmen wollte. Die Haltung der nordischen
Großmächte und ihrer Abgesandten scheint uns aber auch aus dem Grunde eine ver¬
fehlte, weil man nicht Rücksicht nimmt auf die neuen Einflüsse, welche dnrch
Napoleon Bonaparte's Thronfolgcansvrüche sich mit der Zeit geltend machen
müssen. Die Hoffnung auf die zukünftigen Rechte des ehemaligen Bcrgmitgliedes
wird diesem nach und nach selbst in der Regierung einen gewissen Anhang ver¬
schaffen, und in einem gegebenen Momente können diese Einflüsse vorherrschend
und bestimmend wirken. Napoleon Bonaparte aber ist ein fähiger Kops, den man
nicht unterschätzen' darf. Emil Girardin, ein intimer Freund desselben, sucht ihm


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eben nur durch die, gleichviel ob in den Angen der europäischen Fürsten politisch
gerechtfertigte, Zurücknahme einer Reihe von feierlichen Verheißungen zu leisten
im Stande ist. Warum also dem Kaiser zu späteren Repressalien einen Vorwand
geben? Ist der Krieg mit England oder Deutschland in den Augen der franzö¬
sischen Nation gerechtfertigt oder durch innere Nothwendigkeiten geboten, so wird
sich der dritte Napoleon eben so wenig durch ein Versprechen binden lassen, als
es der erste gethan. Die diplomatischen Spitzfindigkeiten reduciren sich demnach
ans kleinliche Neckereien, und wir können für unsren Theil nicht begreisen, daß die
großen Herren, welche die Geschichte machen, doch so wenig ans der Geschichte
lernen. Was wäre zum Beispiele aus den Verträgen von geworden, wenn
Lamartine seine Aufgabe anders aufgefaßt hätte, oder wenn die Italiener
siegreich geblieben wären. — Was hätten die Verbriefnngcn genützt, wenn in
Belgien eine mit der französischen analoge Bewegung das Uebergewicht erhalten hätte.
Die Bürgschaften, die man von Louis Napoleon sucht, muß man daheim finden,
und England hat auch in diesem Falle seine politische Ueberlegenheit bethätigt.
Louis Napoleon wird sich Alles gefallen lassen, so lange e^ muß, aber er ist wahr¬
haftig nicht der Manu, eine Gelegenheit zur Revanche zu verpassen, so wie sich
diese findet. Daß man hier den wirklichen Verlauf der Dinge so sorgsam ver¬
heimlicht, ist mit ein Beweis dafür, daß der Kaiser die ihm zugefügte Demüthi¬
gung fühle, und ohne Englands Einfluß wäre es vielleicht jetzt schon zum Brüche
gekommen. Louis Napoleon, der sich in jede Rolle mit unläugbarem Geschicke
fügt, überfließt fortwährend von friedlichen Versicherunge». Er weiß darum doch,
daß mit einem Regierungssysteme wie das seine ohne Thätigkeit nach außen hin
auf die Dauer kein Heil für ihn sei, und er bereitet sich nach einer andern Seite
zu einem Schlage vor, bis der Augenblick in Europa gekommen ist. Es ist da¬
her nicht unwahrscheinlich, daß sein Plan die Besitzungen in Algier zu vergrößern
und diese Provinz zu einem französischen Indien zu machen, bald zur Ausführung
kommt. Mit den socialen und finanziellen Reformen, die dem Kaiser für seine
Person am Herzen liegen mögen, kann er bei einem Ministerium, das ans den
Reactionairen aller Parteien besteht und Fould zum Atlas hat, uicht schnell vor¬
wärts gehen, das braucht Zeit und kostet selbst einem unumschränkten Herrscher
mehr Kämpfe, als man vielleicht annehmen wollte. Die Haltung der nordischen
Großmächte und ihrer Abgesandten scheint uns aber auch aus dem Grunde eine ver¬
fehlte, weil man nicht Rücksicht nimmt auf die neuen Einflüsse, welche dnrch
Napoleon Bonaparte's Thronfolgcansvrüche sich mit der Zeit geltend machen
müssen. Die Hoffnung auf die zukünftigen Rechte des ehemaligen Bcrgmitgliedes
wird diesem nach und nach selbst in der Regierung einen gewissen Anhang ver¬
schaffen, und in einem gegebenen Momente können diese Einflüsse vorherrschend
und bestimmend wirken. Napoleon Bonaparte aber ist ein fähiger Kops, den man
nicht unterschätzen' darf. Emil Girardin, ein intimer Freund desselben, sucht ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/235>, abgerufen am 24.07.2024.