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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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In erster Beziehung wird ans die alte" landrechtlichen Bestimmungen zurück¬
gegangen, die, aus der Zeit der Erbnnterthänigkcit, des Gewerbczwangcs und
der Starrheit des Grundbesitzes herrührend, auf ganz andere, längst untergegan-
gene Verhältnisse berechnet waren, und die selbst ein Prvvinziallandtag mit
großer Offenherzigkeit als "theils aufgehoben, theils veraltet" bezeichnet. Nichts
desto weniger sollen sie das Fundament des Communallcbens bilden.

Es wird demgemäß die alte Dürftigkeit der Landgemeinden forterhalten, die
Zusammenlegung von Ortschaften möglichst erschwert. Selbst wo es sich nur um
die Vereinigung einzelner Grundstücke, die bisher noch keiner Gemeinde angehör¬
ten, oder solcher Grundstücke, die innerhalb eines Gemeindebezirks liegen, ohne
zu ihm zu gehören, mit einer bestehenden Gemeinde handelt, ist 1) die Ver¬
nehmung der Beteiligten, 2) die Vernehmung des Kreistags, 3) die Genehmi¬
gung des Königs (!) erforderlich. Sogar wenn die Betheiligten sich gütlich aus¬
einander setzen, bedarf ihre Uebereinkunft der Genehmigung der Regierung;
einigen sie sich nicht, so muß der Minister des Innern entscheiden. So ist bei
diesem Act jedem Rabe der großen Verwaltungsmaschine seine Function angewiesen.
In Folge dessen wird voraussichtlich die alte kraftlose Zerrissenheit ohne jede
nennenswerthe Modifikation fortdauern, ein Zustand, über den die eigenen Com-
missarien des Herrn v. Westphalen, in Bezug auf die Provinz Preußen z. B.,
Folgendes bemerkten: "Durch die im Interesse der Landcscnltnr begünstigten
Ausbaue ist die frühere Geschlossenheit der Dörfer zum großen Theil aufgehoben.
Diese örtliche Absonderung und die durch die Gcmeinheitstheilnngcn bewirkte
Aufhebung früher bestandener gemeinsamer Interessen hat die Zusammengehörigkeit
gelähmt und so gut wie vernichtet, überall aber mehr oder weniger in den
einzelnen Mitgliedern das Bestreben hervortreten lassen, M der Theilnahme an
den Commnnallasten zu entziehen, und wo irgend möglich, ans dem Gemeindc-
vcrbande ganz auszuscheiden. Hierdurch und durch die vielen Dismembrationen
ist der Gemeindeverband zerrissen und verkleinert, in Folge dessen
aber sind sowol die materiellen, als die intellectuellen'Kräfte für
eine geregelte Communalverwaltung geschwächt worden. Neben
neu entstandenen kleinen und kraftlosen sogenannten Gemeinden giebt es
eine Menge ans Theilstücken anderer Grundstücke gebildeter, theils größerer, theils
kleinerer ländlicher Besitzungen, die sich entweder anßer allem Communalverbande
befinden, oder deren Commnnalverhältnisse völlig verdunkelt sind." So die
officielle Schilderung. Wo Alles dahin drängte, ans eigenem Antriebe mit
Energie das Zerfallende wieder zusammen zu binden, erschwert man selbst die
freiwillige Uebereinkunft, indem man den ganzen Mechanismus des Bevormundungs¬
systems dazwischen stellt!

Das Leben, welches sich durch die Theilbarkeit des Grundeigenthums und
durch die Gewerbefreiheit auf dem Platten Lande entwickelt hat, wird entweder


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In erster Beziehung wird ans die alte» landrechtlichen Bestimmungen zurück¬
gegangen, die, aus der Zeit der Erbnnterthänigkcit, des Gewerbczwangcs und
der Starrheit des Grundbesitzes herrührend, auf ganz andere, längst untergegan-
gene Verhältnisse berechnet waren, und die selbst ein Prvvinziallandtag mit
großer Offenherzigkeit als „theils aufgehoben, theils veraltet" bezeichnet. Nichts
desto weniger sollen sie das Fundament des Communallcbens bilden.

Es wird demgemäß die alte Dürftigkeit der Landgemeinden forterhalten, die
Zusammenlegung von Ortschaften möglichst erschwert. Selbst wo es sich nur um
die Vereinigung einzelner Grundstücke, die bisher noch keiner Gemeinde angehör¬
ten, oder solcher Grundstücke, die innerhalb eines Gemeindebezirks liegen, ohne
zu ihm zu gehören, mit einer bestehenden Gemeinde handelt, ist 1) die Ver¬
nehmung der Beteiligten, 2) die Vernehmung des Kreistags, 3) die Genehmi¬
gung des Königs (!) erforderlich. Sogar wenn die Betheiligten sich gütlich aus¬
einander setzen, bedarf ihre Uebereinkunft der Genehmigung der Regierung;
einigen sie sich nicht, so muß der Minister des Innern entscheiden. So ist bei
diesem Act jedem Rabe der großen Verwaltungsmaschine seine Function angewiesen.
In Folge dessen wird voraussichtlich die alte kraftlose Zerrissenheit ohne jede
nennenswerthe Modifikation fortdauern, ein Zustand, über den die eigenen Com-
missarien des Herrn v. Westphalen, in Bezug auf die Provinz Preußen z. B.,
Folgendes bemerkten: „Durch die im Interesse der Landcscnltnr begünstigten
Ausbaue ist die frühere Geschlossenheit der Dörfer zum großen Theil aufgehoben.
Diese örtliche Absonderung und die durch die Gcmeinheitstheilnngcn bewirkte
Aufhebung früher bestandener gemeinsamer Interessen hat die Zusammengehörigkeit
gelähmt und so gut wie vernichtet, überall aber mehr oder weniger in den
einzelnen Mitgliedern das Bestreben hervortreten lassen, M der Theilnahme an
den Commnnallasten zu entziehen, und wo irgend möglich, ans dem Gemeindc-
vcrbande ganz auszuscheiden. Hierdurch und durch die vielen Dismembrationen
ist der Gemeindeverband zerrissen und verkleinert, in Folge dessen
aber sind sowol die materiellen, als die intellectuellen'Kräfte für
eine geregelte Communalverwaltung geschwächt worden. Neben
neu entstandenen kleinen und kraftlosen sogenannten Gemeinden giebt es
eine Menge ans Theilstücken anderer Grundstücke gebildeter, theils größerer, theils
kleinerer ländlicher Besitzungen, die sich entweder anßer allem Communalverbande
befinden, oder deren Commnnalverhältnisse völlig verdunkelt sind." So die
officielle Schilderung. Wo Alles dahin drängte, ans eigenem Antriebe mit
Energie das Zerfallende wieder zusammen zu binden, erschwert man selbst die
freiwillige Uebereinkunft, indem man den ganzen Mechanismus des Bevormundungs¬
systems dazwischen stellt!

Das Leben, welches sich durch die Theilbarkeit des Grundeigenthums und
durch die Gewerbefreiheit auf dem Platten Lande entwickelt hat, wird entweder


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[0227] In erster Beziehung wird ans die alte» landrechtlichen Bestimmungen zurück¬ gegangen, die, aus der Zeit der Erbnnterthänigkcit, des Gewerbczwangcs und der Starrheit des Grundbesitzes herrührend, auf ganz andere, längst untergegan- gene Verhältnisse berechnet waren, und die selbst ein Prvvinziallandtag mit großer Offenherzigkeit als „theils aufgehoben, theils veraltet" bezeichnet. Nichts desto weniger sollen sie das Fundament des Communallcbens bilden. Es wird demgemäß die alte Dürftigkeit der Landgemeinden forterhalten, die Zusammenlegung von Ortschaften möglichst erschwert. Selbst wo es sich nur um die Vereinigung einzelner Grundstücke, die bisher noch keiner Gemeinde angehör¬ ten, oder solcher Grundstücke, die innerhalb eines Gemeindebezirks liegen, ohne zu ihm zu gehören, mit einer bestehenden Gemeinde handelt, ist 1) die Ver¬ nehmung der Beteiligten, 2) die Vernehmung des Kreistags, 3) die Genehmi¬ gung des Königs (!) erforderlich. Sogar wenn die Betheiligten sich gütlich aus¬ einander setzen, bedarf ihre Uebereinkunft der Genehmigung der Regierung; einigen sie sich nicht, so muß der Minister des Innern entscheiden. So ist bei diesem Act jedem Rabe der großen Verwaltungsmaschine seine Function angewiesen. In Folge dessen wird voraussichtlich die alte kraftlose Zerrissenheit ohne jede nennenswerthe Modifikation fortdauern, ein Zustand, über den die eigenen Com- missarien des Herrn v. Westphalen, in Bezug auf die Provinz Preußen z. B., Folgendes bemerkten: „Durch die im Interesse der Landcscnltnr begünstigten Ausbaue ist die frühere Geschlossenheit der Dörfer zum großen Theil aufgehoben. Diese örtliche Absonderung und die durch die Gcmeinheitstheilnngcn bewirkte Aufhebung früher bestandener gemeinsamer Interessen hat die Zusammengehörigkeit gelähmt und so gut wie vernichtet, überall aber mehr oder weniger in den einzelnen Mitgliedern das Bestreben hervortreten lassen, M der Theilnahme an den Commnnallasten zu entziehen, und wo irgend möglich, ans dem Gemeindc- vcrbande ganz auszuscheiden. Hierdurch und durch die vielen Dismembrationen ist der Gemeindeverband zerrissen und verkleinert, in Folge dessen aber sind sowol die materiellen, als die intellectuellen'Kräfte für eine geregelte Communalverwaltung geschwächt worden. Neben neu entstandenen kleinen und kraftlosen sogenannten Gemeinden giebt es eine Menge ans Theilstücken anderer Grundstücke gebildeter, theils größerer, theils kleinerer ländlicher Besitzungen, die sich entweder anßer allem Communalverbande befinden, oder deren Commnnalverhältnisse völlig verdunkelt sind." So die officielle Schilderung. Wo Alles dahin drängte, ans eigenem Antriebe mit Energie das Zerfallende wieder zusammen zu binden, erschwert man selbst die freiwillige Uebereinkunft, indem man den ganzen Mechanismus des Bevormundungs¬ systems dazwischen stellt! Das Leben, welches sich durch die Theilbarkeit des Grundeigenthums und durch die Gewerbefreiheit auf dem Platten Lande entwickelt hat, wird entweder 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/227>, abgerufen am 24.07.2024.