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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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unter Civilvcrwaltung, deren Formen den französischen nachgebildet sind. In
den Gegenden aber, wo sich die Civilbevölkeruug nur mit Mißtrauen hinwagt,
mußte man vor der Bebauung des Landes auf die Vertheidigung desselben sehen.
In diesem Nayon, der die äußere Zone bildet, findet man keine Dörfer, sondern
Städte, und anstatt der niedrigen Mauern der Dörfer in Säbel n"d der Metidschah
unischließcu mächtige Fortisicationen die Ansiedelungen. Diese beherrschen die
ganze Umgegend, und sind mehr nach strategischen Rücksichten, als zum Zweck
der Bodeucultur angelegt. So hält Orleauöville die früher so unruhigen Stämme
der Nachbarschaft im Zaume; Anmale n"d Dellys blockiren Großkabylieu, nud
Boghar und Teuict el Haab vertheidigen die vorgeschobenen Posten im Süden.
Die Bevölkerung dieser Orte ist natürlich nicht rein militärisch; denn außer der
mit der Lieferung der Bedürfnisse sür die Armee beschäftigten Industrie folgen
auch Speculanten mancherlei Art den Truppen, aber nur langsam verlassen sie die
Stadt, um sich mit Agricultur zu beschäftigen. Wenn man in der Nähe dieser
Städte bebautes Land erblickt, so ist eS meistens von Soldaten bewirthschaftet
worden. Die Verwaltungsbehörde der Niederlassungen in diesem Gebiet besteht
aus dem Obercommandanten, dem Intendanten oder einem Unterintendanten,
ans Ä Stabsoffizieren oder wenigstens Hauptleuten, von denen einer Ingenieur
sein muß, einem Militärarzt und einem Steucrbcamten. Es läßt sich leicht
denke", daß eine derartige Verwaltung sich nicht viel um die Kolonisation küm¬
mern wird.

Die einheimische Bevölkerung Algeriens zählt etwa 3,000,000 Köpfe, wo¬
runter -I Mill. Kabylen, 1,86ö,6S2 Araber, 100,000 Mauren, 30,000 Juden,
und etwa i000 Neger. Lange hat man herumgctastet, wie man die Beziehungen
der Araber zur französischen Verwaltung regeln sollte, und endlich ein System
gefunden, das eben so einfach wie den Sitten der Bevölkerung angemessen ist.
Der Duar oder die in einem Kreise aufgestellten Zelte bilden die Grundlagen des
Systems. Der Duar ist gewissermaßen die Gemeinde, und mehrere bilden eine
Jerta, eine Art Arrondissement, uuter dem Befehle eines Scheiks. Obgleich
manchmal eine Ferla, wo sie groß ist, für sich allein einen Stamm bildet, so
besteht doch meistens ein Stamm aus mehreren Ferka's und hat einen Kalb über
sich. Mehre unter sich verbundene Stämme bilden eine Groß-Kalb "meer einem
Kalb-el-Kiad oder ein Aghalik unter einem Aga. Endlich können mehrere Aghaliks
uuter einem Oberaga (Bach-agha) oder einem Kaufa, ein den französischen Mi-
litaircommandobezirken ähnliche Gesammtheit, bilden. Die Bureaux arabes bilden
das Verbindungsglied zwischen diesen Körperschaften und der französischen Ver¬
waltung. Neben jeden mit der Regierung eines von Eingebornen bewohnten
Bezirks beauftragten Militaircommandautcn besteht ein arabisches Bureau, das
unter unmittelbarer Leitung der Militairantorität die eingebornen Häuptlinge zu
überwachen hat. Die arabischen Bureaux, aus Officiere", welche die Sprachen


unter Civilvcrwaltung, deren Formen den französischen nachgebildet sind. In
den Gegenden aber, wo sich die Civilbevölkeruug nur mit Mißtrauen hinwagt,
mußte man vor der Bebauung des Landes auf die Vertheidigung desselben sehen.
In diesem Nayon, der die äußere Zone bildet, findet man keine Dörfer, sondern
Städte, und anstatt der niedrigen Mauern der Dörfer in Säbel n»d der Metidschah
unischließcu mächtige Fortisicationen die Ansiedelungen. Diese beherrschen die
ganze Umgegend, und sind mehr nach strategischen Rücksichten, als zum Zweck
der Bodeucultur angelegt. So hält Orleauöville die früher so unruhigen Stämme
der Nachbarschaft im Zaume; Anmale n»d Dellys blockiren Großkabylieu, nud
Boghar und Teuict el Haab vertheidigen die vorgeschobenen Posten im Süden.
Die Bevölkerung dieser Orte ist natürlich nicht rein militärisch; denn außer der
mit der Lieferung der Bedürfnisse sür die Armee beschäftigten Industrie folgen
auch Speculanten mancherlei Art den Truppen, aber nur langsam verlassen sie die
Stadt, um sich mit Agricultur zu beschäftigen. Wenn man in der Nähe dieser
Städte bebautes Land erblickt, so ist eS meistens von Soldaten bewirthschaftet
worden. Die Verwaltungsbehörde der Niederlassungen in diesem Gebiet besteht
aus dem Obercommandanten, dem Intendanten oder einem Unterintendanten,
ans Ä Stabsoffizieren oder wenigstens Hauptleuten, von denen einer Ingenieur
sein muß, einem Militärarzt und einem Steucrbcamten. Es läßt sich leicht
denke», daß eine derartige Verwaltung sich nicht viel um die Kolonisation küm¬
mern wird.

Die einheimische Bevölkerung Algeriens zählt etwa 3,000,000 Köpfe, wo¬
runter -I Mill. Kabylen, 1,86ö,6S2 Araber, 100,000 Mauren, 30,000 Juden,
und etwa i000 Neger. Lange hat man herumgctastet, wie man die Beziehungen
der Araber zur französischen Verwaltung regeln sollte, und endlich ein System
gefunden, das eben so einfach wie den Sitten der Bevölkerung angemessen ist.
Der Duar oder die in einem Kreise aufgestellten Zelte bilden die Grundlagen des
Systems. Der Duar ist gewissermaßen die Gemeinde, und mehrere bilden eine
Jerta, eine Art Arrondissement, uuter dem Befehle eines Scheiks. Obgleich
manchmal eine Ferla, wo sie groß ist, für sich allein einen Stamm bildet, so
besteht doch meistens ein Stamm aus mehreren Ferka's und hat einen Kalb über
sich. Mehre unter sich verbundene Stämme bilden eine Groß-Kalb »meer einem
Kalb-el-Kiad oder ein Aghalik unter einem Aga. Endlich können mehrere Aghaliks
uuter einem Oberaga (Bach-agha) oder einem Kaufa, ein den französischen Mi-
litaircommandobezirken ähnliche Gesammtheit, bilden. Die Bureaux arabes bilden
das Verbindungsglied zwischen diesen Körperschaften und der französischen Ver¬
waltung. Neben jeden mit der Regierung eines von Eingebornen bewohnten
Bezirks beauftragten Militaircommandautcn besteht ein arabisches Bureau, das
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[0221] unter Civilvcrwaltung, deren Formen den französischen nachgebildet sind. In den Gegenden aber, wo sich die Civilbevölkeruug nur mit Mißtrauen hinwagt, mußte man vor der Bebauung des Landes auf die Vertheidigung desselben sehen. In diesem Nayon, der die äußere Zone bildet, findet man keine Dörfer, sondern Städte, und anstatt der niedrigen Mauern der Dörfer in Säbel n»d der Metidschah unischließcu mächtige Fortisicationen die Ansiedelungen. Diese beherrschen die ganze Umgegend, und sind mehr nach strategischen Rücksichten, als zum Zweck der Bodeucultur angelegt. So hält Orleauöville die früher so unruhigen Stämme der Nachbarschaft im Zaume; Anmale n»d Dellys blockiren Großkabylieu, nud Boghar und Teuict el Haab vertheidigen die vorgeschobenen Posten im Süden. Die Bevölkerung dieser Orte ist natürlich nicht rein militärisch; denn außer der mit der Lieferung der Bedürfnisse sür die Armee beschäftigten Industrie folgen auch Speculanten mancherlei Art den Truppen, aber nur langsam verlassen sie die Stadt, um sich mit Agricultur zu beschäftigen. Wenn man in der Nähe dieser Städte bebautes Land erblickt, so ist eS meistens von Soldaten bewirthschaftet worden. Die Verwaltungsbehörde der Niederlassungen in diesem Gebiet besteht aus dem Obercommandanten, dem Intendanten oder einem Unterintendanten, ans Ä Stabsoffizieren oder wenigstens Hauptleuten, von denen einer Ingenieur sein muß, einem Militärarzt und einem Steucrbcamten. Es läßt sich leicht denke», daß eine derartige Verwaltung sich nicht viel um die Kolonisation küm¬ mern wird. Die einheimische Bevölkerung Algeriens zählt etwa 3,000,000 Köpfe, wo¬ runter -I Mill. Kabylen, 1,86ö,6S2 Araber, 100,000 Mauren, 30,000 Juden, und etwa i000 Neger. Lange hat man herumgctastet, wie man die Beziehungen der Araber zur französischen Verwaltung regeln sollte, und endlich ein System gefunden, das eben so einfach wie den Sitten der Bevölkerung angemessen ist. Der Duar oder die in einem Kreise aufgestellten Zelte bilden die Grundlagen des Systems. Der Duar ist gewissermaßen die Gemeinde, und mehrere bilden eine Jerta, eine Art Arrondissement, uuter dem Befehle eines Scheiks. Obgleich manchmal eine Ferla, wo sie groß ist, für sich allein einen Stamm bildet, so besteht doch meistens ein Stamm aus mehreren Ferka's und hat einen Kalb über sich. Mehre unter sich verbundene Stämme bilden eine Groß-Kalb »meer einem Kalb-el-Kiad oder ein Aghalik unter einem Aga. Endlich können mehrere Aghaliks uuter einem Oberaga (Bach-agha) oder einem Kaufa, ein den französischen Mi- litaircommandobezirken ähnliche Gesammtheit, bilden. Die Bureaux arabes bilden das Verbindungsglied zwischen diesen Körperschaften und der französischen Ver¬ waltung. Neben jeden mit der Regierung eines von Eingebornen bewohnten Bezirks beauftragten Militaircommandautcn besteht ein arabisches Bureau, das unter unmittelbarer Leitung der Militairantorität die eingebornen Häuptlinge zu überwachen hat. Die arabischen Bureaux, aus Officiere», welche die Sprachen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/221>, abgerufen am 24.07.2024.