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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Im Allgemeinen hatten sie ein gesundes keckes Aussehen und nicht ein
Einziges besaß diesen scheuen, schielende" Blick, den man so oft in unseren Armen-
schnlen bemerkt. --

Für diese ganze Anzahl Kinder befand sich augenblicklich uur eine Lehrerin,
jene junge Dame dort; allein um die gehörige Ordnung zu erhalten war ihr ein
großer rvthhaariger schlecht gekleideter Knabe behilflich, der sein Amt gewissenhaft
und lautlos verrichtete; so wie serner ein junges Mädchen, die auf die. ganz
Kleinen achtete.

In jeder Klasse war der Geschickteste erwählt, die Anderen zu unterrichten;
Hier wurde buchstabiert, dort gerechnet, hier gelesen oder geschrieben, oder eine
Abbildung von Thieren und Pflanzen gezeigt.

In der Klasse der kleinsten Kindern saß ein fünfjähriges Mädchen, welches
das Wort Bär buchstabieren lehrte, indem sie eine Abbildung desselben zeigte n. s. w.
Der übrige Unterricht bestand in Religion, Gesangbuch- unb Bibel-Lesen, Gesang,
Geographie und vaterländischer Geschichte. Die Lehrerin ging ab und zu, ertheilte
Befehle, hörte zu, corrigirte und dies stets mit eifrigem, jedoch mildem Ernst.
In einer Klasse sollten Rechentafeln gebraucht werden. Ohne Auftrag und Er¬
laubniß holte ein Knabe dieselben zum Vertheilen herbei, ließ sie aber alle fallen,
wodurch viele entzwei brachen. Sie wandte sich mit den Worten zu deu Anderen
"Seht hier, Kiuder, wie es oft zu gehen pflegt, wenn man sich um Dinge
bekümmert, die einem Nichts angehen," und bestrafte deu Knabe", indem sie ihn
in eine Ecke verwies. Es war ein schiefköpfiger, schieläugiger, achtjähriger Knabe,
vierschrötig, unbändig, trotzig, nud schalkhaft von Aussehen, so recht ein englischer
Eulenspiegel. Er wollte sich keineswegs ruhig verhalten und die Geduld mit der
sie ihn behandelte und ihn verhinderte, eine totale Störung zu bewerkstelligen,
lehrte mich, weshalb die Kiuder so lebenSmuthig aussahen. Allein eine solche
ragglZä-setiool ist auch eine Freischule im wahren Sinne des Worts, es eristirt
in England kein Schulzwang, die armen Aeltern müssen dnrch freundliche Vor¬
stellungen dazu vermocht werden, ihre Kinder zum Unterricht zu schicken und die
Gesellschaften, welche diese Schulen leiten, müssen solche Lehrer und Lehrerinnen
wählen, die es verstehen, ohne Stock sertig zu werden. Es ist indessen ein
unrichtiger Ausdruck, daß die Gesellschaft Lehrer und Lehrerinnen wählt, denn
die meisten derselben sind selbst Mitglieder der Gesellschaft und verrichten ihr Amt
freiwillig und ohne Bezahlung, wie sie es sich auch sehr angelegen ^sein
lasse", bei deu arme" Familien umherzugehen, um dieselben dazu zu überreden,
ihre Kittder i" die Schule zu schicken Das Ganze ist el" für uns fast unbegreif¬
liches Freiheits-System. Die Laster und Fehltritte der ärmeren Volksklasse, ihr
Vorrecht, sich der Belehrung zu entziehen und die daraus fließenden, Unheil
bringenden Folgen, haben eine liebevolle Aufopferung in andere" Klasse" der Ge¬
meinde erzeugt nud diese ersetzt den Zwang des Gesetzes.


Im Allgemeinen hatten sie ein gesundes keckes Aussehen und nicht ein
Einziges besaß diesen scheuen, schielende» Blick, den man so oft in unseren Armen-
schnlen bemerkt. —

Für diese ganze Anzahl Kinder befand sich augenblicklich uur eine Lehrerin,
jene junge Dame dort; allein um die gehörige Ordnung zu erhalten war ihr ein
großer rvthhaariger schlecht gekleideter Knabe behilflich, der sein Amt gewissenhaft
und lautlos verrichtete; so wie serner ein junges Mädchen, die auf die. ganz
Kleinen achtete.

In jeder Klasse war der Geschickteste erwählt, die Anderen zu unterrichten;
Hier wurde buchstabiert, dort gerechnet, hier gelesen oder geschrieben, oder eine
Abbildung von Thieren und Pflanzen gezeigt.

In der Klasse der kleinsten Kindern saß ein fünfjähriges Mädchen, welches
das Wort Bär buchstabieren lehrte, indem sie eine Abbildung desselben zeigte n. s. w.
Der übrige Unterricht bestand in Religion, Gesangbuch- unb Bibel-Lesen, Gesang,
Geographie und vaterländischer Geschichte. Die Lehrerin ging ab und zu, ertheilte
Befehle, hörte zu, corrigirte und dies stets mit eifrigem, jedoch mildem Ernst.
In einer Klasse sollten Rechentafeln gebraucht werden. Ohne Auftrag und Er¬
laubniß holte ein Knabe dieselben zum Vertheilen herbei, ließ sie aber alle fallen,
wodurch viele entzwei brachen. Sie wandte sich mit den Worten zu deu Anderen
„Seht hier, Kiuder, wie es oft zu gehen pflegt, wenn man sich um Dinge
bekümmert, die einem Nichts angehen," und bestrafte deu Knabe», indem sie ihn
in eine Ecke verwies. Es war ein schiefköpfiger, schieläugiger, achtjähriger Knabe,
vierschrötig, unbändig, trotzig, nud schalkhaft von Aussehen, so recht ein englischer
Eulenspiegel. Er wollte sich keineswegs ruhig verhalten und die Geduld mit der
sie ihn behandelte und ihn verhinderte, eine totale Störung zu bewerkstelligen,
lehrte mich, weshalb die Kiuder so lebenSmuthig aussahen. Allein eine solche
ragglZä-setiool ist auch eine Freischule im wahren Sinne des Worts, es eristirt
in England kein Schulzwang, die armen Aeltern müssen dnrch freundliche Vor¬
stellungen dazu vermocht werden, ihre Kinder zum Unterricht zu schicken und die
Gesellschaften, welche diese Schulen leiten, müssen solche Lehrer und Lehrerinnen
wählen, die es verstehen, ohne Stock sertig zu werden. Es ist indessen ein
unrichtiger Ausdruck, daß die Gesellschaft Lehrer und Lehrerinnen wählt, denn
die meisten derselben sind selbst Mitglieder der Gesellschaft und verrichten ihr Amt
freiwillig und ohne Bezahlung, wie sie es sich auch sehr angelegen ^sein
lasse», bei deu arme» Familien umherzugehen, um dieselben dazu zu überreden,
ihre Kittder i» die Schule zu schicken Das Ganze ist el» für uns fast unbegreif¬
liches Freiheits-System. Die Laster und Fehltritte der ärmeren Volksklasse, ihr
Vorrecht, sich der Belehrung zu entziehen und die daraus fließenden, Unheil
bringenden Folgen, haben eine liebevolle Aufopferung in andere» Klasse» der Ge¬
meinde erzeugt nud diese ersetzt den Zwang des Gesetzes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/21>, abgerufen am 24.07.2024.