Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Herr von Westphalen schlug dein entgegengesetzten Weg ein. Damit war
der Versuch, der Städteordnung von -1808 ihre Ergänzung zu. geben, als ge¬
scheitert zu betrachten, und es drängte sich die Besorgnis; ans, daß vielleicht auch
jenes Denkmal einer großen Zeit, in den Schiff^es der neuen Schöpfung
hineingezogen werden könnte. Bald nämlich mußte eS sich nnn herausstellen,
daß das Gesetz von 1830 nicht brauchbar war; denn für diese Art der Aus¬
führung war es allerdings nicht berechnet.

Zwar versuchte die Linke der zweite" Kammer in der denkwürdigen Sitzung
vom 1-1. April 1831 noch einmal, sich dem Untergang des Gesetzes entgegen zu
stemmen, indem sie durch deu Abg. v. Nichthofc" eine Deklaration dahin bean¬
tragte, daß die Zusammenlegung vereinzelter Grundstücke die Regel bilden, daß
es uur "ausnahmsweise" gestattet sein sollte, "ans ihnen selbstständige Gcmcindc-
bezirke zu bilden; wenn wegen ihrer isolirten Lage und ihrer übrigen örtlichen
Beschaffenheit und Größe die betreffenden Kreis - und Bezirks - Commissionen eine
Vereinigung mit irgend einer Gemeinde sür unzweckmäßig erachten." Der An¬
trag auf Tagesordnung wurde mit -l-i? gegen 99 Stimmen abgelehnt, die bean¬
tragte Declaration mit -133 gegen 99 Stimmen angenommen. Aber die
Entscheidung fiel in den Brunnen. Herr von Westphalen faßte seinen organisa¬
torischen Beruf dahin ans, "Eigenthümlichkeiten" zu pflegen, d. h. die alte Arm¬
seligkeit des ländlichen Cvmmnualweseus möglichst zu conserviren. Nur, wie ge¬
sagt, für die Polizciverwaltung sollte besser gesorgt werden.

Daß sich nnter der Bevölkerung im Allgemeinen keine große Neigung zeigte,
von ihrem Recht Gebrauch zu machen, und sich auch ungeachtet der Gegenwir¬
kung der Regierung zu Sammtgemeinden zu verbinden, darf nicht verwundern.
Uuter den Rittergutsbesitzern herrscht größtentheils zu viel Kastcustvlz, der sich
nicht überwinden kann, auf derselben Bank mit dem Bauer über das Wohl der
Commnn zu berathe", und der Bauer ist meist nicht im Stande, die Folgen einer
größern Vereinigung zu übersehen; er hält lieber an dem Bestehenden fest, selbst
wenn eS ihm ungenügend erscheint, als daß er sich ans eine Neuerung einläßt,
von der sein Mißtrauen eher Schlimmes als Gutes erwartet. Dazu kam, daß,
wo mau die Bildung von Sammtgemeindcn wünschte, der Versuch meistens nnr
in solchen Fällen und in so zaghafter, kleinlicher Weise unternommen wurde, daß
er unmöglich ans Anklang rechnen durfte. Gern hatte man nämlich hier und
dort ein heruntergekommenes Dorf, das mit seiner Armenpflege dem Kreise zur
Last fiel, mit einem Gute, oder einer besser arrangirten Dorfgemeinde vereinigt,
und hingegen zeigte sich natürlich ein energischer Widerstand, den kein billiger
Beurtheiler dein Gutsbesitzer oder der wohlhabender" Dorfgemeinde verargen
wird; den" eine Vereinigung in so kleinlichen Maßstabe würde die Pest des Pau¬
perismus uur in gesunde,Körper hinübertragen, ohne daß die Kräfte der letztern
so weit gestärkt wären, daß sie den Krankheitsstoff überwinden könnten. Bildet


Herr von Westphalen schlug dein entgegengesetzten Weg ein. Damit war
der Versuch, der Städteordnung von -1808 ihre Ergänzung zu. geben, als ge¬
scheitert zu betrachten, und es drängte sich die Besorgnis; ans, daß vielleicht auch
jenes Denkmal einer großen Zeit, in den Schiff^es der neuen Schöpfung
hineingezogen werden könnte. Bald nämlich mußte eS sich nnn herausstellen,
daß das Gesetz von 1830 nicht brauchbar war; denn für diese Art der Aus¬
führung war es allerdings nicht berechnet.

Zwar versuchte die Linke der zweite» Kammer in der denkwürdigen Sitzung
vom 1-1. April 1831 noch einmal, sich dem Untergang des Gesetzes entgegen zu
stemmen, indem sie durch deu Abg. v. Nichthofc» eine Deklaration dahin bean¬
tragte, daß die Zusammenlegung vereinzelter Grundstücke die Regel bilden, daß
es uur „ausnahmsweise" gestattet sein sollte, „ans ihnen selbstständige Gcmcindc-
bezirke zu bilden; wenn wegen ihrer isolirten Lage und ihrer übrigen örtlichen
Beschaffenheit und Größe die betreffenden Kreis - und Bezirks - Commissionen eine
Vereinigung mit irgend einer Gemeinde sür unzweckmäßig erachten." Der An¬
trag auf Tagesordnung wurde mit -l-i? gegen 99 Stimmen abgelehnt, die bean¬
tragte Declaration mit -133 gegen 99 Stimmen angenommen. Aber die
Entscheidung fiel in den Brunnen. Herr von Westphalen faßte seinen organisa¬
torischen Beruf dahin ans, „Eigenthümlichkeiten" zu pflegen, d. h. die alte Arm¬
seligkeit des ländlichen Cvmmnualweseus möglichst zu conserviren. Nur, wie ge¬
sagt, für die Polizciverwaltung sollte besser gesorgt werden.

Daß sich nnter der Bevölkerung im Allgemeinen keine große Neigung zeigte,
von ihrem Recht Gebrauch zu machen, und sich auch ungeachtet der Gegenwir¬
kung der Regierung zu Sammtgemeinden zu verbinden, darf nicht verwundern.
Uuter den Rittergutsbesitzern herrscht größtentheils zu viel Kastcustvlz, der sich
nicht überwinden kann, auf derselben Bank mit dem Bauer über das Wohl der
Commnn zu berathe», und der Bauer ist meist nicht im Stande, die Folgen einer
größern Vereinigung zu übersehen; er hält lieber an dem Bestehenden fest, selbst
wenn eS ihm ungenügend erscheint, als daß er sich ans eine Neuerung einläßt,
von der sein Mißtrauen eher Schlimmes als Gutes erwartet. Dazu kam, daß,
wo mau die Bildung von Sammtgemeindcn wünschte, der Versuch meistens nnr
in solchen Fällen und in so zaghafter, kleinlicher Weise unternommen wurde, daß
er unmöglich ans Anklang rechnen durfte. Gern hatte man nämlich hier und
dort ein heruntergekommenes Dorf, das mit seiner Armenpflege dem Kreise zur
Last fiel, mit einem Gute, oder einer besser arrangirten Dorfgemeinde vereinigt,
und hingegen zeigte sich natürlich ein energischer Widerstand, den kein billiger
Beurtheiler dein Gutsbesitzer oder der wohlhabender» Dorfgemeinde verargen
wird; den» eine Vereinigung in so kleinlichen Maßstabe würde die Pest des Pau¬
perismus uur in gesunde,Körper hinübertragen, ohne daß die Kräfte der letztern
so weit gestärkt wären, daß sie den Krankheitsstoff überwinden könnten. Bildet


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186065"/>
            <p xml:id="ID_540"> Herr von Westphalen schlug dein entgegengesetzten Weg ein. Damit war<lb/>
der Versuch, der Städteordnung von -1808 ihre Ergänzung zu. geben, als ge¬<lb/>
scheitert zu betrachten, und es drängte sich die Besorgnis; ans, daß vielleicht auch<lb/>
jenes Denkmal einer großen Zeit, in den Schiff^es der neuen Schöpfung<lb/>
hineingezogen werden könnte. Bald nämlich mußte eS sich nnn herausstellen,<lb/>
daß das Gesetz von 1830 nicht brauchbar war; denn für diese Art der Aus¬<lb/>
führung war es allerdings nicht berechnet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_541"> Zwar versuchte die Linke der zweite» Kammer in der denkwürdigen Sitzung<lb/>
vom 1-1. April 1831 noch einmal, sich dem Untergang des Gesetzes entgegen zu<lb/>
stemmen, indem sie durch deu Abg. v. Nichthofc» eine Deklaration dahin bean¬<lb/>
tragte, daß die Zusammenlegung vereinzelter Grundstücke die Regel bilden, daß<lb/>
es uur &#x201E;ausnahmsweise" gestattet sein sollte, &#x201E;ans ihnen selbstständige Gcmcindc-<lb/>
bezirke zu bilden; wenn wegen ihrer isolirten Lage und ihrer übrigen örtlichen<lb/>
Beschaffenheit und Größe die betreffenden Kreis - und Bezirks - Commissionen eine<lb/>
Vereinigung mit irgend einer Gemeinde sür unzweckmäßig erachten." Der An¬<lb/>
trag auf Tagesordnung wurde mit -l-i? gegen 99 Stimmen abgelehnt, die bean¬<lb/>
tragte Declaration mit -133 gegen 99 Stimmen angenommen. Aber die<lb/>
Entscheidung fiel in den Brunnen. Herr von Westphalen faßte seinen organisa¬<lb/>
torischen Beruf dahin ans, &#x201E;Eigenthümlichkeiten" zu pflegen, d. h. die alte Arm¬<lb/>
seligkeit des ländlichen Cvmmnualweseus möglichst zu conserviren. Nur, wie ge¬<lb/>
sagt, für die Polizciverwaltung sollte besser gesorgt werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_542" next="#ID_543"> Daß sich nnter der Bevölkerung im Allgemeinen keine große Neigung zeigte,<lb/>
von ihrem Recht Gebrauch zu machen, und sich auch ungeachtet der Gegenwir¬<lb/>
kung der Regierung zu Sammtgemeinden zu verbinden, darf nicht verwundern.<lb/>
Uuter den Rittergutsbesitzern herrscht größtentheils zu viel Kastcustvlz, der sich<lb/>
nicht überwinden kann, auf derselben Bank mit dem Bauer über das Wohl der<lb/>
Commnn zu berathe», und der Bauer ist meist nicht im Stande, die Folgen einer<lb/>
größern Vereinigung zu übersehen; er hält lieber an dem Bestehenden fest, selbst<lb/>
wenn eS ihm ungenügend erscheint, als daß er sich ans eine Neuerung einläßt,<lb/>
von der sein Mißtrauen eher Schlimmes als Gutes erwartet. Dazu kam, daß,<lb/>
wo mau die Bildung von Sammtgemeindcn wünschte, der Versuch meistens nnr<lb/>
in solchen Fällen und in so zaghafter, kleinlicher Weise unternommen wurde, daß<lb/>
er unmöglich ans Anklang rechnen durfte. Gern hatte man nämlich hier und<lb/>
dort ein heruntergekommenes Dorf, das mit seiner Armenpflege dem Kreise zur<lb/>
Last fiel, mit einem Gute, oder einer besser arrangirten Dorfgemeinde vereinigt,<lb/>
und hingegen zeigte sich natürlich ein energischer Widerstand, den kein billiger<lb/>
Beurtheiler dein Gutsbesitzer oder der wohlhabender» Dorfgemeinde verargen<lb/>
wird; den» eine Vereinigung in so kleinlichen Maßstabe würde die Pest des Pau¬<lb/>
perismus uur in gesunde,Körper hinübertragen, ohne daß die Kräfte der letztern<lb/>
so weit gestärkt wären, daß sie den Krankheitsstoff überwinden könnten. Bildet</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] Herr von Westphalen schlug dein entgegengesetzten Weg ein. Damit war der Versuch, der Städteordnung von -1808 ihre Ergänzung zu. geben, als ge¬ scheitert zu betrachten, und es drängte sich die Besorgnis; ans, daß vielleicht auch jenes Denkmal einer großen Zeit, in den Schiff^es der neuen Schöpfung hineingezogen werden könnte. Bald nämlich mußte eS sich nnn herausstellen, daß das Gesetz von 1830 nicht brauchbar war; denn für diese Art der Aus¬ führung war es allerdings nicht berechnet. Zwar versuchte die Linke der zweite» Kammer in der denkwürdigen Sitzung vom 1-1. April 1831 noch einmal, sich dem Untergang des Gesetzes entgegen zu stemmen, indem sie durch deu Abg. v. Nichthofc» eine Deklaration dahin bean¬ tragte, daß die Zusammenlegung vereinzelter Grundstücke die Regel bilden, daß es uur „ausnahmsweise" gestattet sein sollte, „ans ihnen selbstständige Gcmcindc- bezirke zu bilden; wenn wegen ihrer isolirten Lage und ihrer übrigen örtlichen Beschaffenheit und Größe die betreffenden Kreis - und Bezirks - Commissionen eine Vereinigung mit irgend einer Gemeinde sür unzweckmäßig erachten." Der An¬ trag auf Tagesordnung wurde mit -l-i? gegen 99 Stimmen abgelehnt, die bean¬ tragte Declaration mit -133 gegen 99 Stimmen angenommen. Aber die Entscheidung fiel in den Brunnen. Herr von Westphalen faßte seinen organisa¬ torischen Beruf dahin ans, „Eigenthümlichkeiten" zu pflegen, d. h. die alte Arm¬ seligkeit des ländlichen Cvmmnualweseus möglichst zu conserviren. Nur, wie ge¬ sagt, für die Polizciverwaltung sollte besser gesorgt werden. Daß sich nnter der Bevölkerung im Allgemeinen keine große Neigung zeigte, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, und sich auch ungeachtet der Gegenwir¬ kung der Regierung zu Sammtgemeinden zu verbinden, darf nicht verwundern. Uuter den Rittergutsbesitzern herrscht größtentheils zu viel Kastcustvlz, der sich nicht überwinden kann, auf derselben Bank mit dem Bauer über das Wohl der Commnn zu berathe», und der Bauer ist meist nicht im Stande, die Folgen einer größern Vereinigung zu übersehen; er hält lieber an dem Bestehenden fest, selbst wenn eS ihm ungenügend erscheint, als daß er sich ans eine Neuerung einläßt, von der sein Mißtrauen eher Schlimmes als Gutes erwartet. Dazu kam, daß, wo mau die Bildung von Sammtgemeindcn wünschte, der Versuch meistens nnr in solchen Fällen und in so zaghafter, kleinlicher Weise unternommen wurde, daß er unmöglich ans Anklang rechnen durfte. Gern hatte man nämlich hier und dort ein heruntergekommenes Dorf, das mit seiner Armenpflege dem Kreise zur Last fiel, mit einem Gute, oder einer besser arrangirten Dorfgemeinde vereinigt, und hingegen zeigte sich natürlich ein energischer Widerstand, den kein billiger Beurtheiler dein Gutsbesitzer oder der wohlhabender» Dorfgemeinde verargen wird; den» eine Vereinigung in so kleinlichen Maßstabe würde die Pest des Pau¬ perismus uur in gesunde,Körper hinübertragen, ohne daß die Kräfte der letztern so weit gestärkt wären, daß sie den Krankheitsstoff überwinden könnten. Bildet

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/189>, abgerufen am 24.07.2024.