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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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den ruhigen Entwickelungsgang. Jetzt, wo diese Stimmen zum Schweigen ge¬
bracht sind, erhebt sich eine andere Klasse von Individuen, deren politische Bildung
in Folge jener Versäumniß ebenfalls im Rückstand geblieben ist, die Klasse der
Rittergutsbesitzer; hätten diese durch frühzeitige Theilnahme an dem Gemeiudelebeu
Gelegenheit gehabt, sich selbst praktisch davon zu überzeugen, wie ihnen dadurch ein
weiterer und dankbarerer Wirkungskreis eröffnet wird, als bei der Jsolirung auf
ihre "kleinen Monarchien", so würden sie sich jetzt schwerlich mit starrsinnigem
Particularismus einer Entwickelung entgegenstemmen, welche den Einfluß des
großen Grundbesitzes auch über die Zeit der nächsten politischen Sündfluth hin-
aus sicher zu stellen geeignet^ ist.

Der Unstern, der über der Ordnung unsres Gemeindewesens waltete, ging
anch IKitt noch nicht unter. Wie sehr man auch, damals ans allen Seiten, die
Dringlichkeit der Angelegenheit anerkannte l in der Nationalversammlung kam
weder der Negieruugseutwurf, noch die von der Linken ausgearbeitete Vorlage zur
Berathung. Der darauf folgenden (ausgelösten) zweiten Kammer lag kein Ge-
meiudeordnungseitzwurf vor. Erst in der Session von 18i9-- 60 wurde ein
Negiernngöentwurf berathe", und unter dem 11. März -1860 sanctionirt. Dieses
Gesetz, welches noch zur Stunde in Preußen rechtskräftig ist, ordnet das Ge¬
meindewesen in der gauzeu Monarchie, für die Städte und für das platte Land,
in gleichmäßiger Weise, doch dergestalt, daß für Gemeinde", die weniger als
1300 Seele" zählen, einfachere Formen festgesetzt sind.

Es ist hier nicht der Ort, ein so umfangreiches Gesetz in seinen einzelnen,
wenn auch noch so wichtige" Bestimmungen zu beleuchte". Wir beschräiike" uns
auf die Frage, ob daS Gesetz im Große" und Ganzen zweckentsprechend war,
und müssen dabei auf die Achillesferse desselben hinweisen.

Für die Städte und die westlichen Provinzen war ein neues Gesetz nicht
dringlich; hier genügte" leichte Modifikationen der bestehenden Ordnungen; aber
für das platte Land der östlichen Provinzen war eine umfassende Organisation
um so nothwendiger, je mehr hier die dürftigen Neste des Cvmmnnalwesenö
einem völligen Zerfall entgegengeeilt waren. Wenn hier das neue Gesetz als
zweckmäßig erachtet werden sollte, so mußte es die zahllosen kleinen Ortschaften,
Güter, vereinzelte Etablissements zu Verbänden zusammenlegen, die dnrch ge¬
meinsame und belangreicheJntcrefsen zusammengehalten würden und die in sich
die geistigen und materiellen Mittel vereinigten, für jene Interesse" erfolgreich
Sorge tragen zu tonnen. Das war der Angelpunkt in der neuen Organisation;
denn da, wo es sich nur um unbedeutende, nichtsnutzige Gegenstände handelt,
wird sich nie Theilnahme für das Gemeindewesen entzünden; und da, wo man
anßer Stande ist, den Gcmeindepflichten zu genügen, wird die Theilnahme bald
erlöschen; sie nährt sich von ihren Erfolgen. Vor dieser Präjndicialfragc, ob
Verbände mit wirklichen, bedeutsamen Interessen, und mit der Möglichkeit, sie


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den ruhigen Entwickelungsgang. Jetzt, wo diese Stimmen zum Schweigen ge¬
bracht sind, erhebt sich eine andere Klasse von Individuen, deren politische Bildung
in Folge jener Versäumniß ebenfalls im Rückstand geblieben ist, die Klasse der
Rittergutsbesitzer; hätten diese durch frühzeitige Theilnahme an dem Gemeiudelebeu
Gelegenheit gehabt, sich selbst praktisch davon zu überzeugen, wie ihnen dadurch ein
weiterer und dankbarerer Wirkungskreis eröffnet wird, als bei der Jsolirung auf
ihre „kleinen Monarchien", so würden sie sich jetzt schwerlich mit starrsinnigem
Particularismus einer Entwickelung entgegenstemmen, welche den Einfluß des
großen Grundbesitzes auch über die Zeit der nächsten politischen Sündfluth hin-
aus sicher zu stellen geeignet^ ist.

Der Unstern, der über der Ordnung unsres Gemeindewesens waltete, ging
anch IKitt noch nicht unter. Wie sehr man auch, damals ans allen Seiten, die
Dringlichkeit der Angelegenheit anerkannte l in der Nationalversammlung kam
weder der Negieruugseutwurf, noch die von der Linken ausgearbeitete Vorlage zur
Berathung. Der darauf folgenden (ausgelösten) zweiten Kammer lag kein Ge-
meiudeordnungseitzwurf vor. Erst in der Session von 18i9— 60 wurde ein
Negiernngöentwurf berathe», und unter dem 11. März -1860 sanctionirt. Dieses
Gesetz, welches noch zur Stunde in Preußen rechtskräftig ist, ordnet das Ge¬
meindewesen in der gauzeu Monarchie, für die Städte und für das platte Land,
in gleichmäßiger Weise, doch dergestalt, daß für Gemeinde», die weniger als
1300 Seele» zählen, einfachere Formen festgesetzt sind.

Es ist hier nicht der Ort, ein so umfangreiches Gesetz in seinen einzelnen,
wenn auch noch so wichtige» Bestimmungen zu beleuchte». Wir beschräiike» uns
auf die Frage, ob daS Gesetz im Große» und Ganzen zweckentsprechend war,
und müssen dabei auf die Achillesferse desselben hinweisen.

Für die Städte und die westlichen Provinzen war ein neues Gesetz nicht
dringlich; hier genügte» leichte Modifikationen der bestehenden Ordnungen; aber
für das platte Land der östlichen Provinzen war eine umfassende Organisation
um so nothwendiger, je mehr hier die dürftigen Neste des Cvmmnnalwesenö
einem völligen Zerfall entgegengeeilt waren. Wenn hier das neue Gesetz als
zweckmäßig erachtet werden sollte, so mußte es die zahllosen kleinen Ortschaften,
Güter, vereinzelte Etablissements zu Verbänden zusammenlegen, die dnrch ge¬
meinsame und belangreicheJntcrefsen zusammengehalten würden und die in sich
die geistigen und materiellen Mittel vereinigten, für jene Interesse» erfolgreich
Sorge tragen zu tonnen. Das war der Angelpunkt in der neuen Organisation;
denn da, wo es sich nur um unbedeutende, nichtsnutzige Gegenstände handelt,
wird sich nie Theilnahme für das Gemeindewesen entzünden; und da, wo man
anßer Stande ist, den Gcmeindepflichten zu genügen, wird die Theilnahme bald
erlöschen; sie nährt sich von ihren Erfolgen. Vor dieser Präjndicialfragc, ob
Verbände mit wirklichen, bedeutsamen Interessen, und mit der Möglichkeit, sie


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[0185] den ruhigen Entwickelungsgang. Jetzt, wo diese Stimmen zum Schweigen ge¬ bracht sind, erhebt sich eine andere Klasse von Individuen, deren politische Bildung in Folge jener Versäumniß ebenfalls im Rückstand geblieben ist, die Klasse der Rittergutsbesitzer; hätten diese durch frühzeitige Theilnahme an dem Gemeiudelebeu Gelegenheit gehabt, sich selbst praktisch davon zu überzeugen, wie ihnen dadurch ein weiterer und dankbarerer Wirkungskreis eröffnet wird, als bei der Jsolirung auf ihre „kleinen Monarchien", so würden sie sich jetzt schwerlich mit starrsinnigem Particularismus einer Entwickelung entgegenstemmen, welche den Einfluß des großen Grundbesitzes auch über die Zeit der nächsten politischen Sündfluth hin- aus sicher zu stellen geeignet^ ist. Der Unstern, der über der Ordnung unsres Gemeindewesens waltete, ging anch IKitt noch nicht unter. Wie sehr man auch, damals ans allen Seiten, die Dringlichkeit der Angelegenheit anerkannte l in der Nationalversammlung kam weder der Negieruugseutwurf, noch die von der Linken ausgearbeitete Vorlage zur Berathung. Der darauf folgenden (ausgelösten) zweiten Kammer lag kein Ge- meiudeordnungseitzwurf vor. Erst in der Session von 18i9— 60 wurde ein Negiernngöentwurf berathe», und unter dem 11. März -1860 sanctionirt. Dieses Gesetz, welches noch zur Stunde in Preußen rechtskräftig ist, ordnet das Ge¬ meindewesen in der gauzeu Monarchie, für die Städte und für das platte Land, in gleichmäßiger Weise, doch dergestalt, daß für Gemeinde», die weniger als 1300 Seele» zählen, einfachere Formen festgesetzt sind. Es ist hier nicht der Ort, ein so umfangreiches Gesetz in seinen einzelnen, wenn auch noch so wichtige» Bestimmungen zu beleuchte». Wir beschräiike» uns auf die Frage, ob daS Gesetz im Große» und Ganzen zweckentsprechend war, und müssen dabei auf die Achillesferse desselben hinweisen. Für die Städte und die westlichen Provinzen war ein neues Gesetz nicht dringlich; hier genügte» leichte Modifikationen der bestehenden Ordnungen; aber für das platte Land der östlichen Provinzen war eine umfassende Organisation um so nothwendiger, je mehr hier die dürftigen Neste des Cvmmnnalwesenö einem völligen Zerfall entgegengeeilt waren. Wenn hier das neue Gesetz als zweckmäßig erachtet werden sollte, so mußte es die zahllosen kleinen Ortschaften, Güter, vereinzelte Etablissements zu Verbänden zusammenlegen, die dnrch ge¬ meinsame und belangreicheJntcrefsen zusammengehalten würden und die in sich die geistigen und materiellen Mittel vereinigten, für jene Interesse» erfolgreich Sorge tragen zu tonnen. Das war der Angelpunkt in der neuen Organisation; denn da, wo es sich nur um unbedeutende, nichtsnutzige Gegenstände handelt, wird sich nie Theilnahme für das Gemeindewesen entzünden; und da, wo man anßer Stande ist, den Gcmeindepflichten zu genügen, wird die Theilnahme bald erlöschen; sie nährt sich von ihren Erfolgen. Vor dieser Präjndicialfragc, ob Verbände mit wirklichen, bedeutsamen Interessen, und mit der Möglichkeit, sie Grenzboten. >. ->8in!. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/185>, abgerufen am 24.07.2024.