Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gemeindeordmmgen in Preußen.
2.

Wir haben hervorgehoben, wie sich das ländliche Gemeindewesen im Laufe
dieses Jahrhunderts auf dem platten Lande immer mehr und mehr in seine Atome
zersetzte, und daraus die Nothwendigkeit hergeleitet, durch eine umfassende Reor¬
ganisation desselben diesem Auflösungsproceß entgegen zu wirken. Die Principien
der Agrargesetzgebung sollten nach der Absicht der Staatsmänner, welche den
Grund zur Wiedergeburt Preußens legten, nicht isolirt, sondern in Verbindung
mit den Ideen der Selbstverwaltung und Nationalrepräsentation zur Ausführung
kommen; je länger man den innern Zusammenhang dieser Materien zu berücksich¬
tigen verabsäumte, desto fühlbarer wurde es, daß die Agrargesetzgebung ihres
nothwendigen Komplements und Cvrrectivs beraubt war, -- eines Gesetzes,
welches die sich verflüchtigende" Elemente des ländlichen GcmeindelebenS "ach den
Principien der Städteordnung wieder zusammenfaßte.

Die seit dem Jahre 1840 wieder stark hervortretende Tendenz, den Staat
i" die constitutionelle Bahn hinüberzuleiten oder hinüberzudräugeu, konnte, un-
befangen gewürdigt, nnr als ein neuer und mächtiger Antrieb betrachtet werde",
die Organisation des Gemcindeweseus endlich zu vollenden; denn es war nicht
zweifelhaft, daß jene Tendenz früher oder später sich als unwiderstehlich erweisen
würde. Und wer das Vergangene übersah, erkannte anch, daß das Streben der
gebildeten Klassen, "an den Operationen des Staats Theil zu nehmen," die
beabsichtigte Wirkung der in den Jahren -1808---I811 aufgestellten, und in
der Gesetzgebung der späteren Jahre zum Theil ausgeführten Grundsätze war,
daß es eine durch die Landesgesetze erzeugte und gezeitigte, also eine im eigent-
lichen Sinne des Worts legitime Frucht war. Um so mehr war es Pflicht,
das damals sich kundgebende Streben in Bahnen zu lenken,' in denen es nutz¬
bringend wirken und zugleich sich läutern konnte, durch Heranziehen der Bürger
zur Gemeindeverwaltung den Sinn sür wohl überlegte Operationen zu stärke",
ehe das Volk in die allgemeine" Staatsangelegenheiten eiugnff.

Die Vernachlässigung dieser Pflicht trug sehr bittere Früchte. Als die Er¬
eignisse des Jahres 18i8 hereinbrachen, warf sich im unklaren Nencrungsdrang
eine große Masse von Kräften, die man in beschränkteren Kreisen mit Nutzen hätte
verwende" können, auf die allgemeine Weltverbcsseruug, mit einer Leidenschaft,
die bei dem Mangel der Erfahrung, daß jede, auch die beste Theorie durch die
bei der menschlichen Schwäche nnn einmal unvermeidliche Mangelhaftigkeit der zu
ihrer Ausführung erforderlichen Organe stets einen beträchtlichen Abbruch erleidet,
nur zu erklärlich war, und störte durch eine ungestüme und verworrene Thätigkeit


Die Gemeindeordmmgen in Preußen.
2.

Wir haben hervorgehoben, wie sich das ländliche Gemeindewesen im Laufe
dieses Jahrhunderts auf dem platten Lande immer mehr und mehr in seine Atome
zersetzte, und daraus die Nothwendigkeit hergeleitet, durch eine umfassende Reor¬
ganisation desselben diesem Auflösungsproceß entgegen zu wirken. Die Principien
der Agrargesetzgebung sollten nach der Absicht der Staatsmänner, welche den
Grund zur Wiedergeburt Preußens legten, nicht isolirt, sondern in Verbindung
mit den Ideen der Selbstverwaltung und Nationalrepräsentation zur Ausführung
kommen; je länger man den innern Zusammenhang dieser Materien zu berücksich¬
tigen verabsäumte, desto fühlbarer wurde es, daß die Agrargesetzgebung ihres
nothwendigen Komplements und Cvrrectivs beraubt war, — eines Gesetzes,
welches die sich verflüchtigende» Elemente des ländlichen GcmeindelebenS »ach den
Principien der Städteordnung wieder zusammenfaßte.

Die seit dem Jahre 1840 wieder stark hervortretende Tendenz, den Staat
i» die constitutionelle Bahn hinüberzuleiten oder hinüberzudräugeu, konnte, un-
befangen gewürdigt, nnr als ein neuer und mächtiger Antrieb betrachtet werde»,
die Organisation des Gemcindeweseus endlich zu vollenden; denn es war nicht
zweifelhaft, daß jene Tendenz früher oder später sich als unwiderstehlich erweisen
würde. Und wer das Vergangene übersah, erkannte anch, daß das Streben der
gebildeten Klassen, „an den Operationen des Staats Theil zu nehmen," die
beabsichtigte Wirkung der in den Jahren -1808—-I811 aufgestellten, und in
der Gesetzgebung der späteren Jahre zum Theil ausgeführten Grundsätze war,
daß es eine durch die Landesgesetze erzeugte und gezeitigte, also eine im eigent-
lichen Sinne des Worts legitime Frucht war. Um so mehr war es Pflicht,
das damals sich kundgebende Streben in Bahnen zu lenken,' in denen es nutz¬
bringend wirken und zugleich sich läutern konnte, durch Heranziehen der Bürger
zur Gemeindeverwaltung den Sinn sür wohl überlegte Operationen zu stärke»,
ehe das Volk in die allgemeine» Staatsangelegenheiten eiugnff.

Die Vernachlässigung dieser Pflicht trug sehr bittere Früchte. Als die Er¬
eignisse des Jahres 18i8 hereinbrachen, warf sich im unklaren Nencrungsdrang
eine große Masse von Kräften, die man in beschränkteren Kreisen mit Nutzen hätte
verwende» können, auf die allgemeine Weltverbcsseruug, mit einer Leidenschaft,
die bei dem Mangel der Erfahrung, daß jede, auch die beste Theorie durch die
bei der menschlichen Schwäche nnn einmal unvermeidliche Mangelhaftigkeit der zu
ihrer Ausführung erforderlichen Organe stets einen beträchtlichen Abbruch erleidet,
nur zu erklärlich war, und störte durch eine ungestüme und verworrene Thätigkeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186060"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Gemeindeordmmgen in Preußen.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 2.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_523"> Wir haben hervorgehoben, wie sich das ländliche Gemeindewesen im Laufe<lb/>
dieses Jahrhunderts auf dem platten Lande immer mehr und mehr in seine Atome<lb/>
zersetzte, und daraus die Nothwendigkeit hergeleitet, durch eine umfassende Reor¬<lb/>
ganisation desselben diesem Auflösungsproceß entgegen zu wirken. Die Principien<lb/>
der Agrargesetzgebung sollten nach der Absicht der Staatsmänner, welche den<lb/>
Grund zur Wiedergeburt Preußens legten, nicht isolirt, sondern in Verbindung<lb/>
mit den Ideen der Selbstverwaltung und Nationalrepräsentation zur Ausführung<lb/>
kommen; je länger man den innern Zusammenhang dieser Materien zu berücksich¬<lb/>
tigen verabsäumte, desto fühlbarer wurde es, daß die Agrargesetzgebung ihres<lb/>
nothwendigen Komplements und Cvrrectivs beraubt war, &#x2014; eines Gesetzes,<lb/>
welches die sich verflüchtigende» Elemente des ländlichen GcmeindelebenS »ach den<lb/>
Principien der Städteordnung wieder zusammenfaßte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_524"> Die seit dem Jahre 1840 wieder stark hervortretende Tendenz, den Staat<lb/>
i» die constitutionelle Bahn hinüberzuleiten oder hinüberzudräugeu, konnte, un-<lb/>
befangen gewürdigt, nnr als ein neuer und mächtiger Antrieb betrachtet werde»,<lb/>
die Organisation des Gemcindeweseus endlich zu vollenden; denn es war nicht<lb/>
zweifelhaft, daß jene Tendenz früher oder später sich als unwiderstehlich erweisen<lb/>
würde. Und wer das Vergangene übersah, erkannte anch, daß das Streben der<lb/>
gebildeten Klassen, &#x201E;an den Operationen des Staats Theil zu nehmen," die<lb/>
beabsichtigte Wirkung der in den Jahren -1808&#x2014;-I811 aufgestellten, und in<lb/>
der Gesetzgebung der späteren Jahre zum Theil ausgeführten Grundsätze war,<lb/>
daß es eine durch die Landesgesetze erzeugte und gezeitigte, also eine im eigent-<lb/>
lichen Sinne des Worts legitime Frucht war. Um so mehr war es Pflicht,<lb/>
das damals sich kundgebende Streben in Bahnen zu lenken,' in denen es nutz¬<lb/>
bringend wirken und zugleich sich läutern konnte, durch Heranziehen der Bürger<lb/>
zur Gemeindeverwaltung den Sinn sür wohl überlegte Operationen zu stärke»,<lb/>
ehe das Volk in die allgemeine» Staatsangelegenheiten eiugnff.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_525" next="#ID_526"> Die Vernachlässigung dieser Pflicht trug sehr bittere Früchte. Als die Er¬<lb/>
eignisse des Jahres 18i8 hereinbrachen, warf sich im unklaren Nencrungsdrang<lb/>
eine große Masse von Kräften, die man in beschränkteren Kreisen mit Nutzen hätte<lb/>
verwende» können, auf die allgemeine Weltverbcsseruug, mit einer Leidenschaft,<lb/>
die bei dem Mangel der Erfahrung, daß jede, auch die beste Theorie durch die<lb/>
bei der menschlichen Schwäche nnn einmal unvermeidliche Mangelhaftigkeit der zu<lb/>
ihrer Ausführung erforderlichen Organe stets einen beträchtlichen Abbruch erleidet,<lb/>
nur zu erklärlich war, und störte durch eine ungestüme und verworrene Thätigkeit</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0184] Die Gemeindeordmmgen in Preußen. 2. Wir haben hervorgehoben, wie sich das ländliche Gemeindewesen im Laufe dieses Jahrhunderts auf dem platten Lande immer mehr und mehr in seine Atome zersetzte, und daraus die Nothwendigkeit hergeleitet, durch eine umfassende Reor¬ ganisation desselben diesem Auflösungsproceß entgegen zu wirken. Die Principien der Agrargesetzgebung sollten nach der Absicht der Staatsmänner, welche den Grund zur Wiedergeburt Preußens legten, nicht isolirt, sondern in Verbindung mit den Ideen der Selbstverwaltung und Nationalrepräsentation zur Ausführung kommen; je länger man den innern Zusammenhang dieser Materien zu berücksich¬ tigen verabsäumte, desto fühlbarer wurde es, daß die Agrargesetzgebung ihres nothwendigen Komplements und Cvrrectivs beraubt war, — eines Gesetzes, welches die sich verflüchtigende» Elemente des ländlichen GcmeindelebenS »ach den Principien der Städteordnung wieder zusammenfaßte. Die seit dem Jahre 1840 wieder stark hervortretende Tendenz, den Staat i» die constitutionelle Bahn hinüberzuleiten oder hinüberzudräugeu, konnte, un- befangen gewürdigt, nnr als ein neuer und mächtiger Antrieb betrachtet werde», die Organisation des Gemcindeweseus endlich zu vollenden; denn es war nicht zweifelhaft, daß jene Tendenz früher oder später sich als unwiderstehlich erweisen würde. Und wer das Vergangene übersah, erkannte anch, daß das Streben der gebildeten Klassen, „an den Operationen des Staats Theil zu nehmen," die beabsichtigte Wirkung der in den Jahren -1808—-I811 aufgestellten, und in der Gesetzgebung der späteren Jahre zum Theil ausgeführten Grundsätze war, daß es eine durch die Landesgesetze erzeugte und gezeitigte, also eine im eigent- lichen Sinne des Worts legitime Frucht war. Um so mehr war es Pflicht, das damals sich kundgebende Streben in Bahnen zu lenken,' in denen es nutz¬ bringend wirken und zugleich sich läutern konnte, durch Heranziehen der Bürger zur Gemeindeverwaltung den Sinn sür wohl überlegte Operationen zu stärke», ehe das Volk in die allgemeine» Staatsangelegenheiten eiugnff. Die Vernachlässigung dieser Pflicht trug sehr bittere Früchte. Als die Er¬ eignisse des Jahres 18i8 hereinbrachen, warf sich im unklaren Nencrungsdrang eine große Masse von Kräften, die man in beschränkteren Kreisen mit Nutzen hätte verwende» können, auf die allgemeine Weltverbcsseruug, mit einer Leidenschaft, die bei dem Mangel der Erfahrung, daß jede, auch die beste Theorie durch die bei der menschlichen Schwäche nnn einmal unvermeidliche Mangelhaftigkeit der zu ihrer Ausführung erforderlichen Organe stets einen beträchtlichen Abbruch erleidet, nur zu erklärlich war, und störte durch eine ungestüme und verworrene Thätigkeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/184
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/184>, abgerufen am 24.07.2024.