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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Gratulanten mit gekrümmten Händen massenhaft durch die Gassen. Dieser alte,
den Antritt des neuen Jahres vergällende Brauch hat sich wohl in keiner ein¬
zigen Stadt in gleichem Umfang und Maßstab erhalten, als eben hier. Die
sonst so streng verpönte Bettelei steigt in'ö wahrhaft Angemessene und z. B. vor
dem Rothschild'schen Hanse sind Polizeiwachen aufgestellt, um nnr einige Ordnung
in den Hunderten zu halten/ welche ihren Nenjahrszvll fordern. -- Die Zeile
hin bewegt sich auch ein Stück alter Herkommenschast, noch dazu in neuem Ge¬
wände. Es ist die goldstrotzcnde Bürgermeisterkutsche mit ncubcschirrteu Galla-
Pferden bespannt, von purpnrrvther Dienerschaft beinah überdeckt. Sie führt zur
altherkömmlichen Nathssitzuug, welche am ersten Morgen des Jahres abgehalten
wird. Moderner und mit weniger auffallendem Ceremonie!! fand aber in der¬
selben Zeit die Gratulationscour bei dem preußischen Gesandten und derzeitigen
Bundcstagspräsidcntcn Herr v. Bismark-Schönhausen statt. Daß man anßer
den Equipagen der Diplomatie anch sonstige Equipagen bemerkte, anßer den
Uniformen der Officiere sämmtlicher Besatzuugsthcilc auch den nichtvfficiellen
schwarzen Frack, ist natürlich. Hatte in den Salons der frühern Gräfin Bergen,
jetzigen Gräfin Hohenthal nur die Geldaristokratie neben der Diplomatie und dein
Officiercorps Zutritt gehabt, waren auch vom Grafen Thun die Gesellschaftskreise
kaum weiter gezogen worden, so öffnen sich die Gesellschaftszimmer des Herrn v.
Bismark, außer für Jene auch für alle Notabilitäten der Kunst und Wissenschaft,
Dies giebt seinen Abenden eine wohlthuende Ungezwungenheit, welcher derartige
Kreise sonst wol mirnnter entbehren, während treffliche Musik (z. B. neulich
daS Quartettspiel der Gebrüder Müller) die Gesammtheit in einem gemeinsamen
Interesse vereinigt. Hatten früher einzelne, vielleicht nicht nnbeeinflnßte Stimmen
wegen des Wegganges des Grafen Thun, sowie der Gräfin Bergen-Hohenthal
einen gesellschaftlich stillen Winter prophezeiht, so stellt man jetzt die Gesellschaften
des preußischen Gesandte" denen zur Seite, welche Herr Ludwig Brentano im
Winter alle vierzehn Tage zu versammeln pflegte. Sie waren bisher
noch unerreicht geblieben. Denn im strengen Sinne kann man doch nicht jene
außerordentlichen Fälle zum Vergleich heranziehen, wo die Familie von Bethmann
sich veranlaßt fühlte, die Honneurs im Namen der Stadt zu machen, wie es z. B.
der Vater zu Ehren der Naturforscherversammlung und 1846 der Sohn
für die Germanistengcsellschast gethan hat.




Gratulanten mit gekrümmten Händen massenhaft durch die Gassen. Dieser alte,
den Antritt des neuen Jahres vergällende Brauch hat sich wohl in keiner ein¬
zigen Stadt in gleichem Umfang und Maßstab erhalten, als eben hier. Die
sonst so streng verpönte Bettelei steigt in'ö wahrhaft Angemessene und z. B. vor
dem Rothschild'schen Hanse sind Polizeiwachen aufgestellt, um nnr einige Ordnung
in den Hunderten zu halten/ welche ihren Nenjahrszvll fordern. — Die Zeile
hin bewegt sich auch ein Stück alter Herkommenschast, noch dazu in neuem Ge¬
wände. Es ist die goldstrotzcnde Bürgermeisterkutsche mit ncubcschirrteu Galla-
Pferden bespannt, von purpnrrvther Dienerschaft beinah überdeckt. Sie führt zur
altherkömmlichen Nathssitzuug, welche am ersten Morgen des Jahres abgehalten
wird. Moderner und mit weniger auffallendem Ceremonie!! fand aber in der¬
selben Zeit die Gratulationscour bei dem preußischen Gesandten und derzeitigen
Bundcstagspräsidcntcn Herr v. Bismark-Schönhausen statt. Daß man anßer
den Equipagen der Diplomatie anch sonstige Equipagen bemerkte, anßer den
Uniformen der Officiere sämmtlicher Besatzuugsthcilc auch den nichtvfficiellen
schwarzen Frack, ist natürlich. Hatte in den Salons der frühern Gräfin Bergen,
jetzigen Gräfin Hohenthal nur die Geldaristokratie neben der Diplomatie und dein
Officiercorps Zutritt gehabt, waren auch vom Grafen Thun die Gesellschaftskreise
kaum weiter gezogen worden, so öffnen sich die Gesellschaftszimmer des Herrn v.
Bismark, außer für Jene auch für alle Notabilitäten der Kunst und Wissenschaft,
Dies giebt seinen Abenden eine wohlthuende Ungezwungenheit, welcher derartige
Kreise sonst wol mirnnter entbehren, während treffliche Musik (z. B. neulich
daS Quartettspiel der Gebrüder Müller) die Gesammtheit in einem gemeinsamen
Interesse vereinigt. Hatten früher einzelne, vielleicht nicht nnbeeinflnßte Stimmen
wegen des Wegganges des Grafen Thun, sowie der Gräfin Bergen-Hohenthal
einen gesellschaftlich stillen Winter prophezeiht, so stellt man jetzt die Gesellschaften
des preußischen Gesandte» denen zur Seite, welche Herr Ludwig Brentano im
Winter alle vierzehn Tage zu versammeln pflegte. Sie waren bisher
noch unerreicht geblieben. Denn im strengen Sinne kann man doch nicht jene
außerordentlichen Fälle zum Vergleich heranziehen, wo die Familie von Bethmann
sich veranlaßt fühlte, die Honneurs im Namen der Stadt zu machen, wie es z. B.
der Vater zu Ehren der Naturforscherversammlung und 1846 der Sohn
für die Germanistengcsellschast gethan hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/160>, abgerufen am 04.07.2024.