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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Blätter arbeiten, sind vollends zu Tode gehetzt, und so wurde, um nur ein Factum
zu nennen, ein bekannter ungarischer Flüchtling auf die bloße Denunciation, für
deutsche Journale zu arbeiten, des Landes verwiesen und mußte binnen vierund¬
zwanzig Stunden seineu Paß holen. Das ist aber nur ein schwacher Anfang,
und wir sehen Alle der Zeit entgegen, wo wir in, unsrer Berichten das Wort
Politik als ein gefährliches noU me tan^ere meiden müssen. Zum Glücke bleiben
uns in Paris immer noch Ressourcen genug, und wenn uns auch das Kaiserthum
eine politische Mundsperre anlegt, wird es uns doch Gelegenheit zu großen Fest-
beschreibnngen und ähnlichen Sittenschilderungen bieten. Die Theater werden
dann auch vfstciell angespornt werden, und vielleicht erzeugt die neue kaiserliche
Aera sogar auch neue Genies. Vorläufig müssen wir uns noch mit den alten
behelfen und mit den Stücken von Georges Sand zufriedengeben. Der Hauch
kaiserlicher Huld ist aber vorläufig deu Poeten nicht günstig, denn der Prolog¬
schreiber Mvry hat mit seinem Stücke 1v saZe se 1s 5on eclatantes Fiasco ge¬
macht und es auch verdient. Das ist ein Stück Paul de Kock, ein Stück Murger,
ein matter Widerschein von Gozlan'scheu Frivolitäten und Excentrizitäten und
weiter nichts. Die Dichterin der Lelia wurde vom Publicum mit ihrem letzten
Producte I.e äsmon co ko^er weit günstiger aufgenommen. Madame Sand hat
eben keine gute Komödie geliefert, der Stoff ist allgemein ohne entschiedene Fär¬
bung der Charaktere gehalten, und das Sujet eignet sich weder zu einem humo¬
ristischen Lustspiele, noch zu einem sentimentalen Familienbilde -- es hat von
Beidem Etwas, und beide Eigenschaften müssen erst durch das Spiel der Acteure
gehörig hervorgehoben werden, was denn auch geschieht und deu Erfolg des
Stückes sicherte. Einzelne reizende Details, einige gelungene Scenen, hier und
da ein schönes Bild, das fehlt dem neuen dramatischen Producte von Georges
Sand allerdings nicht, allein dasselbe bleibt doch nur ein ausgespannter Rahmen,
in welchen die Schauspieler erst deu reckten Sinn hineinzusticken haben. Mad.
Sand scheint seit den Ferien des Pandolphe die Phantastik im Lustspiele zur
Geltung bringen zu wollen. Es sollen intime Leidenschaften dargestellt werden,
aber ohne Berücksichtigung ans Charaktere unsrer gegebenen Gesellschaft. Es ist
das Theater auf dem Theater, und nur die allgemein menschlichen Saiten, die noth¬
wendiger Weise angeregt werden müssen, sollen uns erinnern, daß wir mit dem Dinge
etwas zu schaffen haben. Es ist eine gewisse Tendenz der deutschen Romantik
auf die Verhältnisse der modernen Gesellschaft angewandt. Das heißt,'das will¬
kürlich Ideale in Stoss und Person wird in den kleinen Kreis der gesellschaftlichen
Leidenschaften gezwängt, ohne besondere Rücksicht auf die Gesellschaft selber.
Georges Sand hat sich den Ingrimm einiger Feuilletonisten und nebenbei auch
eine Polemik mit einem Mitarbeiter eines belgischen Blattes zugezogen. Sie
keimen den Streit, Sie wissen, daß derselbe dadurch entstanden, weil Mad. Sand,
einen italienischen Prinzen von den Journalisten sprechen lassend, ihm den Ans-


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Blätter arbeiten, sind vollends zu Tode gehetzt, und so wurde, um nur ein Factum
zu nennen, ein bekannter ungarischer Flüchtling auf die bloße Denunciation, für
deutsche Journale zu arbeiten, des Landes verwiesen und mußte binnen vierund¬
zwanzig Stunden seineu Paß holen. Das ist aber nur ein schwacher Anfang,
und wir sehen Alle der Zeit entgegen, wo wir in, unsrer Berichten das Wort
Politik als ein gefährliches noU me tan^ere meiden müssen. Zum Glücke bleiben
uns in Paris immer noch Ressourcen genug, und wenn uns auch das Kaiserthum
eine politische Mundsperre anlegt, wird es uns doch Gelegenheit zu großen Fest-
beschreibnngen und ähnlichen Sittenschilderungen bieten. Die Theater werden
dann auch vfstciell angespornt werden, und vielleicht erzeugt die neue kaiserliche
Aera sogar auch neue Genies. Vorläufig müssen wir uns noch mit den alten
behelfen und mit den Stücken von Georges Sand zufriedengeben. Der Hauch
kaiserlicher Huld ist aber vorläufig deu Poeten nicht günstig, denn der Prolog¬
schreiber Mvry hat mit seinem Stücke 1v saZe se 1s 5on eclatantes Fiasco ge¬
macht und es auch verdient. Das ist ein Stück Paul de Kock, ein Stück Murger,
ein matter Widerschein von Gozlan'scheu Frivolitäten und Excentrizitäten und
weiter nichts. Die Dichterin der Lelia wurde vom Publicum mit ihrem letzten
Producte I.e äsmon co ko^er weit günstiger aufgenommen. Madame Sand hat
eben keine gute Komödie geliefert, der Stoff ist allgemein ohne entschiedene Fär¬
bung der Charaktere gehalten, und das Sujet eignet sich weder zu einem humo¬
ristischen Lustspiele, noch zu einem sentimentalen Familienbilde — es hat von
Beidem Etwas, und beide Eigenschaften müssen erst durch das Spiel der Acteure
gehörig hervorgehoben werden, was denn auch geschieht und deu Erfolg des
Stückes sicherte. Einzelne reizende Details, einige gelungene Scenen, hier und
da ein schönes Bild, das fehlt dem neuen dramatischen Producte von Georges
Sand allerdings nicht, allein dasselbe bleibt doch nur ein ausgespannter Rahmen,
in welchen die Schauspieler erst deu reckten Sinn hineinzusticken haben. Mad.
Sand scheint seit den Ferien des Pandolphe die Phantastik im Lustspiele zur
Geltung bringen zu wollen. Es sollen intime Leidenschaften dargestellt werden,
aber ohne Berücksichtigung ans Charaktere unsrer gegebenen Gesellschaft. Es ist
das Theater auf dem Theater, und nur die allgemein menschlichen Saiten, die noth¬
wendiger Weise angeregt werden müssen, sollen uns erinnern, daß wir mit dem Dinge
etwas zu schaffen haben. Es ist eine gewisse Tendenz der deutschen Romantik
auf die Verhältnisse der modernen Gesellschaft angewandt. Das heißt,'das will¬
kürlich Ideale in Stoss und Person wird in den kleinen Kreis der gesellschaftlichen
Leidenschaften gezwängt, ohne besondere Rücksicht auf die Gesellschaft selber.
Georges Sand hat sich den Ingrimm einiger Feuilletonisten und nebenbei auch
eine Polemik mit einem Mitarbeiter eines belgischen Blattes zugezogen. Sie
keimen den Streit, Sie wissen, daß derselbe dadurch entstanden, weil Mad. Sand,
einen italienischen Prinzen von den Journalisten sprechen lassend, ihm den Ans-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/93>, abgerufen am 27.09.2024.