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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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sich mit der Zeit so dicht in einander verschlungen, daß sie jetzt ein Netz bilden,
das keine Kraft der Erde aus einander zu trennen vermag. Auf welchem Grunde
nun, frage ich, steht dieser Wald, woher nimmt er die zu seiner Erhaltung nöthige
Nahrung, und wie ergänzt er sich? Liegt hierin nicht reicher Stoff zum Nach¬
denken und zur Forschung?

Durch diesen in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Wald, der fast keinen Schatten
giebt, da er sehr blätterarm ist und die einzelnen Bäume ziemlich weit aus einander
stehen, ritten wir den Berg hinan, der mit jedem Schritt steiler zu werden schien.
Der Weg, oder vielmehr der Fußsteig, über welchen unsre Thiere mit bewunderns¬
würdiger Sicherheit hinwegschritten, war in den felsigen Lavaboden förmlich ein¬
getreten. Daß wir den Weg, der Zeuge so vieler Umwälzungen gewesen sein
muß und der überall noch die grausenerregendem Spuren davon trägt, ohne Un¬
fall zurücklegten, verdankten, wir vorzugsweise dem Jnstincte unsrer Esel, welche
die Führer denn auch nach Gefallen gehen und sich von ihnen leiten ließen.

Je mehr wir vorwärts kamen, desto beschwerlicher und selbst gefahrdrohender
wurde der Weg. Der Sicherheit wegen fiel unser Zug aus der Gruppenform
in den Gänsemarsch, und zog so an Felsblöcken, die schon herabzufallen schienen,
an Schlünden und.Abgründen, in die man hineinzublicken nicht wagte, vorbei in
die Höhe.

Obgleich gegen acht Uhr Abends die Sonne noch sehr hell schien, so fing
es doch an, uns ein wenig zu frösteln; wir schlüpften deshalb in das Habit, wo¬
mit uns Signor Abbate aus Fürsorge versehen hatte. Handschuhe, Strümpfe
und die Nebelkappe ließen wir einstweilen noch bei Seite.

Der Berg stieg bald so steil auf, daß man an ihm wie auf einer Leiter
hinanklettern mußte; der Wald wurde je höher, desto lichter und mißgestalteter,
und die Kälte in Kurzem so empfindlich, daß wir uns alle Augenblicke die Hände
reiben mußten. -- Beinahe mit Sonnenuntergang kamen wir matt und todmüde
bei der Casa del Bosco an.

Das Gebäude mit dem wohltönenden Namen ist die Ruine einer Hütte,
welche einst ein Führer als Obdach für sein Vieh hier ausgestellt hatte, und deren
Wände aus rohen, über einander-gelegten Lavastücken bestehen.' Von Thüren
und Fenstern ist da keine Rede, eben so wenig von einem Dache; die einzige
Annehmlichkeit, welche der Steinhausen bietet, ist diejenige, daß er etwas Schutz
vor dem Winde gewährt. Uns dünkte er jedoch ein Palast, in dem wir uns
denn auch sofort häuslich niederließen. Unsre Führer machten sogleich aus dem
dürren Kastanienreisig ein tüchtiges Feuer an, und wir streckten uns mit Wohl¬
behagen auf die Streu von Maisstroh, das einzige Inventarium, welches die
Casa aufzuweisen hatte. Die mitgebrachten Mundvorräthe wurden auf der Erde
ausgebreitet und ihnen von uns Allen aufs Wackerste zugesprochen.

Nach einer Stunde Aufenthalt, in der wir wenigstens die Bedürfnisse des


sich mit der Zeit so dicht in einander verschlungen, daß sie jetzt ein Netz bilden,
das keine Kraft der Erde aus einander zu trennen vermag. Auf welchem Grunde
nun, frage ich, steht dieser Wald, woher nimmt er die zu seiner Erhaltung nöthige
Nahrung, und wie ergänzt er sich? Liegt hierin nicht reicher Stoff zum Nach¬
denken und zur Forschung?

Durch diesen in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Wald, der fast keinen Schatten
giebt, da er sehr blätterarm ist und die einzelnen Bäume ziemlich weit aus einander
stehen, ritten wir den Berg hinan, der mit jedem Schritt steiler zu werden schien.
Der Weg, oder vielmehr der Fußsteig, über welchen unsre Thiere mit bewunderns¬
würdiger Sicherheit hinwegschritten, war in den felsigen Lavaboden förmlich ein¬
getreten. Daß wir den Weg, der Zeuge so vieler Umwälzungen gewesen sein
muß und der überall noch die grausenerregendem Spuren davon trägt, ohne Un¬
fall zurücklegten, verdankten, wir vorzugsweise dem Jnstincte unsrer Esel, welche
die Führer denn auch nach Gefallen gehen und sich von ihnen leiten ließen.

Je mehr wir vorwärts kamen, desto beschwerlicher und selbst gefahrdrohender
wurde der Weg. Der Sicherheit wegen fiel unser Zug aus der Gruppenform
in den Gänsemarsch, und zog so an Felsblöcken, die schon herabzufallen schienen,
an Schlünden und.Abgründen, in die man hineinzublicken nicht wagte, vorbei in
die Höhe.

Obgleich gegen acht Uhr Abends die Sonne noch sehr hell schien, so fing
es doch an, uns ein wenig zu frösteln; wir schlüpften deshalb in das Habit, wo¬
mit uns Signor Abbate aus Fürsorge versehen hatte. Handschuhe, Strümpfe
und die Nebelkappe ließen wir einstweilen noch bei Seite.

Der Berg stieg bald so steil auf, daß man an ihm wie auf einer Leiter
hinanklettern mußte; der Wald wurde je höher, desto lichter und mißgestalteter,
und die Kälte in Kurzem so empfindlich, daß wir uns alle Augenblicke die Hände
reiben mußten. — Beinahe mit Sonnenuntergang kamen wir matt und todmüde
bei der Casa del Bosco an.

Das Gebäude mit dem wohltönenden Namen ist die Ruine einer Hütte,
welche einst ein Führer als Obdach für sein Vieh hier ausgestellt hatte, und deren
Wände aus rohen, über einander-gelegten Lavastücken bestehen.' Von Thüren
und Fenstern ist da keine Rede, eben so wenig von einem Dache; die einzige
Annehmlichkeit, welche der Steinhausen bietet, ist diejenige, daß er etwas Schutz
vor dem Winde gewährt. Uns dünkte er jedoch ein Palast, in dem wir uns
denn auch sofort häuslich niederließen. Unsre Führer machten sogleich aus dem
dürren Kastanienreisig ein tüchtiges Feuer an, und wir streckten uns mit Wohl¬
behagen auf die Streu von Maisstroh, das einzige Inventarium, welches die
Casa aufzuweisen hatte. Die mitgebrachten Mundvorräthe wurden auf der Erde
ausgebreitet und ihnen von uns Allen aufs Wackerste zugesprochen.

Nach einer Stunde Aufenthalt, in der wir wenigstens die Bedürfnisse des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/81>, abgerufen am 20.10.2024.