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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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dem Schiffe blieben, so konnte es mancher Andere, unter ihnen auch ich, leicht
wagen, sich von dem Gepäcke zu trennen, sobald wir nur Einen oder den Andern
unsrer Freunde um die Gefälligkeit baten, auf unser Gepäck etwas Acht zu geben.
Diese Vorsicht stellte sich auch in der folgenden Nacht als völlig nothwendig her¬
aus; denn als wir am andern Morgen unsre alte Wohnstätte besuchten, erzählte
man uns, daß sich während der Nacht Diebe hereingeschlichen hatten, daß diese
aber noch zeitig genug bemerkt, gefaßt, tüchtig durchgebläuet und dann wieder
entlassen worden wären. Durch die Sprache hatten sich die Diebe als Lands¬
leute verrathen.

Ich hatte mich einer Familie angeschlossen, die ich schon in Deutschland zu
meinen Bekannten zählte; mit dieser verließ ich sogleich nach der Landung das
Schiff, um eiuen nahen Verwandten derselben, welcher sich um diese Zeit in der
Eigenschaft als Musiklehrer in New-Orleans aufhielt, auszukundschaften. Der
Tag neigte sich seinem Ende zu; dessen ungeachtet beschlossen wir, den Versuch zu
machen. In einem frühern Briefe hatte der Musiklehrer den Seinigen mitgetheilt,
daß er in einem deutschen Boardinghause logirt, und daß er den Wirth als ehr¬
lichen Mann und die Wirthschaft wohl eingerichtet und wohlfeil befunden habe;
er hatte uns den Namen der Straße angegeben, und daher waren wir fest über¬
zeugt, daß unsre Bemühungen durch eiuen glücklichen Erfolg gekrönt werden
würden. Se. Philip - Street war bald gefunden. Da ich der englischen Sprache
mächtiger war, als meine Begleiter, so unternahm ich es, in einigen öffentlichen
Localen mich nach der bezeichneten Adresse zu erkundigen; Niemand wollte Etwas
davon wissen, bis mir endlich eine Dame, welche aus einem Fenster des untern
Stockwerks eines Hauses heraussah, den Bescheid gab, daß das fragliche Boardiug-
haus nicht mehr existire. Zwar war dies nur ein negativer Bescheid, aber doch
immer besser, als gar kein Bescheid; ich beeilte mich daher, das Resultat meiner
Forschungen der Gesellschaft mitzutheilen, fand sie aber wegen der schwer zu be¬
friedigenden Anforderungen, welche die Kinder an sie stellten, theils wegen des
ungenügenden Ausfalls meiner Erkundigungen höchst übel gelaunt, und der Gentle¬
man warf mir geradezu vor, ich habe es nicht recht angefangen, denn er wisse
ganz genau, daß das besagte Boardinghaus in der besagten Straße liege, und
deshalb müsse es auch zu finden sein. Natürlicherweise war ich über dieses Mi߬
trauungsvotum nicht gerade entzückt, hielt aber an mich, und forderte meinen Freund
auf, selbst aus Erkundigungen auszugehen. Er that es; da er aber weder eng¬
lisch noch französisch sprechen konnte, so kam er erst recht zu keinem Resultate.
So war ich gerechtfertigt, und in Folge dessen glaubte ich eine zweite Entdeckungs¬
reise, die nicht auf ein bestimmtes, sondern ans irgend e>in angemessenes
Boardinghaus gerichtet war, unternehmen zu dürfen. Nach mannichfachen frucht¬
losen Versuchen in Etablissements, die sich theils als Matrosenkneipen, theils als
Locale von zweideutigem Charakter herausstellten, lockte mich eine gedeckte Tafel


dem Schiffe blieben, so konnte es mancher Andere, unter ihnen auch ich, leicht
wagen, sich von dem Gepäcke zu trennen, sobald wir nur Einen oder den Andern
unsrer Freunde um die Gefälligkeit baten, auf unser Gepäck etwas Acht zu geben.
Diese Vorsicht stellte sich auch in der folgenden Nacht als völlig nothwendig her¬
aus; denn als wir am andern Morgen unsre alte Wohnstätte besuchten, erzählte
man uns, daß sich während der Nacht Diebe hereingeschlichen hatten, daß diese
aber noch zeitig genug bemerkt, gefaßt, tüchtig durchgebläuet und dann wieder
entlassen worden wären. Durch die Sprache hatten sich die Diebe als Lands¬
leute verrathen.

Ich hatte mich einer Familie angeschlossen, die ich schon in Deutschland zu
meinen Bekannten zählte; mit dieser verließ ich sogleich nach der Landung das
Schiff, um eiuen nahen Verwandten derselben, welcher sich um diese Zeit in der
Eigenschaft als Musiklehrer in New-Orleans aufhielt, auszukundschaften. Der
Tag neigte sich seinem Ende zu; dessen ungeachtet beschlossen wir, den Versuch zu
machen. In einem frühern Briefe hatte der Musiklehrer den Seinigen mitgetheilt,
daß er in einem deutschen Boardinghause logirt, und daß er den Wirth als ehr¬
lichen Mann und die Wirthschaft wohl eingerichtet und wohlfeil befunden habe;
er hatte uns den Namen der Straße angegeben, und daher waren wir fest über¬
zeugt, daß unsre Bemühungen durch eiuen glücklichen Erfolg gekrönt werden
würden. Se. Philip - Street war bald gefunden. Da ich der englischen Sprache
mächtiger war, als meine Begleiter, so unternahm ich es, in einigen öffentlichen
Localen mich nach der bezeichneten Adresse zu erkundigen; Niemand wollte Etwas
davon wissen, bis mir endlich eine Dame, welche aus einem Fenster des untern
Stockwerks eines Hauses heraussah, den Bescheid gab, daß das fragliche Boardiug-
haus nicht mehr existire. Zwar war dies nur ein negativer Bescheid, aber doch
immer besser, als gar kein Bescheid; ich beeilte mich daher, das Resultat meiner
Forschungen der Gesellschaft mitzutheilen, fand sie aber wegen der schwer zu be¬
friedigenden Anforderungen, welche die Kinder an sie stellten, theils wegen des
ungenügenden Ausfalls meiner Erkundigungen höchst übel gelaunt, und der Gentle¬
man warf mir geradezu vor, ich habe es nicht recht angefangen, denn er wisse
ganz genau, daß das besagte Boardinghaus in der besagten Straße liege, und
deshalb müsse es auch zu finden sein. Natürlicherweise war ich über dieses Mi߬
trauungsvotum nicht gerade entzückt, hielt aber an mich, und forderte meinen Freund
auf, selbst aus Erkundigungen auszugehen. Er that es; da er aber weder eng¬
lisch noch französisch sprechen konnte, so kam er erst recht zu keinem Resultate.
So war ich gerechtfertigt, und in Folge dessen glaubte ich eine zweite Entdeckungs¬
reise, die nicht auf ein bestimmtes, sondern ans irgend e>in angemessenes
Boardinghaus gerichtet war, unternehmen zu dürfen. Nach mannichfachen frucht¬
losen Versuchen in Etablissements, die sich theils als Matrosenkneipen, theils als
Locale von zweideutigem Charakter herausstellten, lockte mich eine gedeckte Tafel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/71>, abgerufen am 20.10.2024.