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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Zweifeln aufstiegen: ob die Verwandten und Freunde, von denen sie Rath und
thätige Hilfe erwarteten, noch lebten; ob sie, wenn sie noch lebten, noch so
freundschaftlich, so vertrauungsvoll gesinnt wären, wie früher; ob sie, wenn wirklich
die alten Gesinnungen noch in ihnen wohnten, die Gelegenheit und Kraft besäßen,
um den Anforderungen der deutschen Freunde genügen zu können. -- Das waren
unsre Gedanken, unsre Gefühle -- kein Wunder also, wenn sich nichts von Jubel
und Jauchzen hören ließ, wenn vielmehr die Meisten still und in sich gekehrt,
nach dem auftauchenden Lande blickten und, ergeben in. ihr Geschick, erwarteten,
was es von nun an über sie beschließen würde.

Wenn schon im atlantischen Ocean a fait in 8iM keineswegs zu den Selten¬
heiten gehört, aber doch noch nicht eine so alltägliche Erscheinung ist, als daß
sie nicht, wenn ihre Bahnen sich treffen, einander die traulichen Fragen: ^Vuers
Ap zun ebens trou? ^Voers ne> z?ein to? Mdat ItMwüe? zurufen sollten, so
ist im mexikanischen Meerbusen häufig die Zahl derjenigen, welche man zu gleicher
Zeit übersehen kann, so groß, daß die Einer zur Zählung nicht mehr ausreichen;
aber am Ausflusse des Mississippi war ihre Zahl Legion. Da kamen sie von
Mexiko und deu westindischen Inseln, von New-Uork und Baltimore und von
den Häfen der alten Welt, dort zogen Andere nach den Bestimmungsörtern zu,
welche Jene verlassen hatten, Viele in weiter Ferne, Andere so nahe, daß ihre
Planken sich fast berührten, mitten hindurch aber sausten und ächzten die einstöckigen,
mit hohem Bord versehenen Steamships, und die Tow-boats (Schleppschiffe), Mich
zum Tanze geschmückt, in weißen Gewändern mit grünem Besätze, doppelt so
hoch als ihre Tänzerinnen, umschwärmten die Segel und stritten mit einander
um die Ehre, diese oder jene der Damen ihrem Ruheplätze, dem Hafen von
New-Orleans, zuzuführen. Nicht zufrieden mit einer bot mancher übergalante
Tänzer einer zweiten den andern Arm, und wenn er auch noch so stöhnte und
seufzte, so ließ er sie doch nicht eher wieder los, als bis er deutlich sah, daß der
reißende Strom sie trotz aller Mühe in jeder Minute einige Fuß zurücktrieb.

So wurden auch wir engagirt.' Dem Tow-boat zur rechten hing unser
Schiff, zur linken eine schwedische Brigg, mit Wein beladen, den sie aus Marseille
der Hauptstadt des amerikanischen Südens zuführte. Jetzt zogen wir ein zum
"Vater der Gewässer", dem stolzen Mississippi; rechts und links Wald, hier und
da ein einzelnes Loghouse, von Holzschlägern bewohnt, dort ein Fort, um dem
Feinde den Eintritt in das Innere des Landes zu verwehren. Weiter hinauf
machte hier und da der Wald einer Zuckerplantage Platz; in derselben das niedrige,
aber geschmackvoll gebaute Herrschaftshaus, und in geringer Entfernung davon
lange Reihen von hölzernen, weiß angestrichenen Häuschen, den Wohnstätten der
Neger. Hunderte bewohnten hier gemeinschaftlich das freundliche Dörfchen; aber
das Dörfchen war heute wie ausgestorben, leer wie das Feld; desto lebendiger
aber war das Ufer. Es war ein Sonntag, ein Tag der Frende, den der Schwarze,


Zweifeln aufstiegen: ob die Verwandten und Freunde, von denen sie Rath und
thätige Hilfe erwarteten, noch lebten; ob sie, wenn sie noch lebten, noch so
freundschaftlich, so vertrauungsvoll gesinnt wären, wie früher; ob sie, wenn wirklich
die alten Gesinnungen noch in ihnen wohnten, die Gelegenheit und Kraft besäßen,
um den Anforderungen der deutschen Freunde genügen zu können. — Das waren
unsre Gedanken, unsre Gefühle — kein Wunder also, wenn sich nichts von Jubel
und Jauchzen hören ließ, wenn vielmehr die Meisten still und in sich gekehrt,
nach dem auftauchenden Lande blickten und, ergeben in. ihr Geschick, erwarteten,
was es von nun an über sie beschließen würde.

Wenn schon im atlantischen Ocean a fait in 8iM keineswegs zu den Selten¬
heiten gehört, aber doch noch nicht eine so alltägliche Erscheinung ist, als daß
sie nicht, wenn ihre Bahnen sich treffen, einander die traulichen Fragen: ^Vuers
Ap zun ebens trou? ^Voers ne> z?ein to? Mdat ItMwüe? zurufen sollten, so
ist im mexikanischen Meerbusen häufig die Zahl derjenigen, welche man zu gleicher
Zeit übersehen kann, so groß, daß die Einer zur Zählung nicht mehr ausreichen;
aber am Ausflusse des Mississippi war ihre Zahl Legion. Da kamen sie von
Mexiko und deu westindischen Inseln, von New-Uork und Baltimore und von
den Häfen der alten Welt, dort zogen Andere nach den Bestimmungsörtern zu,
welche Jene verlassen hatten, Viele in weiter Ferne, Andere so nahe, daß ihre
Planken sich fast berührten, mitten hindurch aber sausten und ächzten die einstöckigen,
mit hohem Bord versehenen Steamships, und die Tow-boats (Schleppschiffe), Mich
zum Tanze geschmückt, in weißen Gewändern mit grünem Besätze, doppelt so
hoch als ihre Tänzerinnen, umschwärmten die Segel und stritten mit einander
um die Ehre, diese oder jene der Damen ihrem Ruheplätze, dem Hafen von
New-Orleans, zuzuführen. Nicht zufrieden mit einer bot mancher übergalante
Tänzer einer zweiten den andern Arm, und wenn er auch noch so stöhnte und
seufzte, so ließ er sie doch nicht eher wieder los, als bis er deutlich sah, daß der
reißende Strom sie trotz aller Mühe in jeder Minute einige Fuß zurücktrieb.

So wurden auch wir engagirt.' Dem Tow-boat zur rechten hing unser
Schiff, zur linken eine schwedische Brigg, mit Wein beladen, den sie aus Marseille
der Hauptstadt des amerikanischen Südens zuführte. Jetzt zogen wir ein zum
„Vater der Gewässer", dem stolzen Mississippi; rechts und links Wald, hier und
da ein einzelnes Loghouse, von Holzschlägern bewohnt, dort ein Fort, um dem
Feinde den Eintritt in das Innere des Landes zu verwehren. Weiter hinauf
machte hier und da der Wald einer Zuckerplantage Platz; in derselben das niedrige,
aber geschmackvoll gebaute Herrschaftshaus, und in geringer Entfernung davon
lange Reihen von hölzernen, weiß angestrichenen Häuschen, den Wohnstätten der
Neger. Hunderte bewohnten hier gemeinschaftlich das freundliche Dörfchen; aber
das Dörfchen war heute wie ausgestorben, leer wie das Feld; desto lebendiger
aber war das Ufer. Es war ein Sonntag, ein Tag der Frende, den der Schwarze,


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[0068] Zweifeln aufstiegen: ob die Verwandten und Freunde, von denen sie Rath und thätige Hilfe erwarteten, noch lebten; ob sie, wenn sie noch lebten, noch so freundschaftlich, so vertrauungsvoll gesinnt wären, wie früher; ob sie, wenn wirklich die alten Gesinnungen noch in ihnen wohnten, die Gelegenheit und Kraft besäßen, um den Anforderungen der deutschen Freunde genügen zu können. — Das waren unsre Gedanken, unsre Gefühle — kein Wunder also, wenn sich nichts von Jubel und Jauchzen hören ließ, wenn vielmehr die Meisten still und in sich gekehrt, nach dem auftauchenden Lande blickten und, ergeben in. ihr Geschick, erwarteten, was es von nun an über sie beschließen würde. Wenn schon im atlantischen Ocean a fait in 8iM keineswegs zu den Selten¬ heiten gehört, aber doch noch nicht eine so alltägliche Erscheinung ist, als daß sie nicht, wenn ihre Bahnen sich treffen, einander die traulichen Fragen: ^Vuers Ap zun ebens trou? ^Voers ne> z?ein to? Mdat ItMwüe? zurufen sollten, so ist im mexikanischen Meerbusen häufig die Zahl derjenigen, welche man zu gleicher Zeit übersehen kann, so groß, daß die Einer zur Zählung nicht mehr ausreichen; aber am Ausflusse des Mississippi war ihre Zahl Legion. Da kamen sie von Mexiko und deu westindischen Inseln, von New-Uork und Baltimore und von den Häfen der alten Welt, dort zogen Andere nach den Bestimmungsörtern zu, welche Jene verlassen hatten, Viele in weiter Ferne, Andere so nahe, daß ihre Planken sich fast berührten, mitten hindurch aber sausten und ächzten die einstöckigen, mit hohem Bord versehenen Steamships, und die Tow-boats (Schleppschiffe), Mich zum Tanze geschmückt, in weißen Gewändern mit grünem Besätze, doppelt so hoch als ihre Tänzerinnen, umschwärmten die Segel und stritten mit einander um die Ehre, diese oder jene der Damen ihrem Ruheplätze, dem Hafen von New-Orleans, zuzuführen. Nicht zufrieden mit einer bot mancher übergalante Tänzer einer zweiten den andern Arm, und wenn er auch noch so stöhnte und seufzte, so ließ er sie doch nicht eher wieder los, als bis er deutlich sah, daß der reißende Strom sie trotz aller Mühe in jeder Minute einige Fuß zurücktrieb. So wurden auch wir engagirt.' Dem Tow-boat zur rechten hing unser Schiff, zur linken eine schwedische Brigg, mit Wein beladen, den sie aus Marseille der Hauptstadt des amerikanischen Südens zuführte. Jetzt zogen wir ein zum „Vater der Gewässer", dem stolzen Mississippi; rechts und links Wald, hier und da ein einzelnes Loghouse, von Holzschlägern bewohnt, dort ein Fort, um dem Feinde den Eintritt in das Innere des Landes zu verwehren. Weiter hinauf machte hier und da der Wald einer Zuckerplantage Platz; in derselben das niedrige, aber geschmackvoll gebaute Herrschaftshaus, und in geringer Entfernung davon lange Reihen von hölzernen, weiß angestrichenen Häuschen, den Wohnstätten der Neger. Hunderte bewohnten hier gemeinschaftlich das freundliche Dörfchen; aber das Dörfchen war heute wie ausgestorben, leer wie das Feld; desto lebendiger aber war das Ufer. Es war ein Sonntag, ein Tag der Frende, den der Schwarze,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/68>, abgerufen am 20.10.2024.