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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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empor, um im nächsten Augenblicke eben so tief hinabzusinken; führt aber der
Kiel des Schiffes hindurch, so theilt er die obere Schicht; rechts und links weicht
der Mississippi aus, und in den verlassenen Raum tritt er unter das grüne Wasser
des Meeres. Immer schmaler und schmaler wurde der grüne Streifen, bis er
allmählich Farbe und Klarheit verlor; das Meer war hinter uns, und in weiter
Ferne entdeckte das spähende Auge die flache Küste des Festlandes von Amerika.

Land! zum letzten Male: Land! Aber hat mir der geringe Theil von Phan¬
tasie, womit die Natur mich ausgestattet hat, wiederur'n ein Trugbild vorgehalten?
Lange, lange vorher, ehe ich daran dachte, daß mein Fuß einmal den gesegneten
Boden Amerika's betreten sollte, träumte ich von dem himmlischen Gefühl, welches
sich der Herzen der Auswanderer bemächtigen mußte, wenn sie nach wochenlanger,
enger Einkerkerung zwischen den Planken eines gebrechlichen Schisses, rings-
nmgeben von dem unsteten, bodenlosen Meere, den mannichfachsten Entbehrungen
unterworfen, von der Spitze des Mastes, wie vom Himmel herab der Ruf: Land!
Land! vernehmen, wenn dann nach einem kurzen Zwischenraume zuerst als eine
ferne Wolke, dann immer klarer und klarer die Hügel und Bäume am Horizonte
ans dem Meere hervortauchen, wenn von derselben Richtung her ein Kahn sich
ihnen nähert, wenn die Bewohner des ersehnten Landes ihnen gastfreundlich die
Hand entgegenstrecken, und sich, als neue Landsleute, als Freunde, als Brüder
bewillkommnen. Nichts von Allem dem! Kein Matrose bestieg den hohen Mast
und spähte gierig nach Land. Wozu auch dieses? Der Capitain wußte ja genau,
um welche Stunde, sobald der Wind mit derselben Kraft und in derselben Rich¬
tung cmsdanerte, das Laud in Sicht kommen würde; er hatte oft und abermals
sein Heimathsland verlassen und war auf demselben Wege mit Hilfe von Compaß
und Quadrant aus dem fernen Welttheile dahin zurückgekehrt; er hatte die
Passagiere von der Annäherung der Küste in Kenntniß gesetzt -- also keine
Ueberraschung! Anstatt der geträumten Freude prägte sich aber eine Beklemmung,
eine Aengstlichkeit, eine eigenthümliche Verlegenheit in den Gesichtszügen eines
Jeden aus. "Noch eine kurze Spanne Zeit", dachten sie, "so sind wir der
Vormundschaft des Capitains enthoben, so sind wir selbstständig, aber selbstständig
in einem fremden Lande, ohne Kenntniß der Sprache und der Sitten der Ein¬
wohner; wo werden wir, wenn wir mit Koffern und Kisten, mit Frau und Kin¬
dern abgesetzt sind, unser müdes Haupt hinlegen? wer wird unser Hab' und
Gut vor Dieben und Betrügern schützen? wer wird uns freundlich ohne eigen¬
nützige Absichten mit Rath und That beistehen? wer wird uns Pflegen, wenn wir,
des Klima's und der fremden Nahrung ungewohnt, von Krankheit heimgesucht
werden? wo werden wir Arbeit und Verdienst, oder wo den Boden finden, der
uns für die fernere Zeit unsres Lebens Speise, Trank, Kleidung und alle sonstigen
Bedürfnisse, welche das Leben erfordert, darbieten soll?" "Wir wissen es nicht,"
sagten kleinmüthig die Einen, während in dem Geiste Anderer eine Menge von


Grenzboten. IV. -I8ö2. 8

empor, um im nächsten Augenblicke eben so tief hinabzusinken; führt aber der
Kiel des Schiffes hindurch, so theilt er die obere Schicht; rechts und links weicht
der Mississippi aus, und in den verlassenen Raum tritt er unter das grüne Wasser
des Meeres. Immer schmaler und schmaler wurde der grüne Streifen, bis er
allmählich Farbe und Klarheit verlor; das Meer war hinter uns, und in weiter
Ferne entdeckte das spähende Auge die flache Küste des Festlandes von Amerika.

Land! zum letzten Male: Land! Aber hat mir der geringe Theil von Phan¬
tasie, womit die Natur mich ausgestattet hat, wiederur'n ein Trugbild vorgehalten?
Lange, lange vorher, ehe ich daran dachte, daß mein Fuß einmal den gesegneten
Boden Amerika's betreten sollte, träumte ich von dem himmlischen Gefühl, welches
sich der Herzen der Auswanderer bemächtigen mußte, wenn sie nach wochenlanger,
enger Einkerkerung zwischen den Planken eines gebrechlichen Schisses, rings-
nmgeben von dem unsteten, bodenlosen Meere, den mannichfachsten Entbehrungen
unterworfen, von der Spitze des Mastes, wie vom Himmel herab der Ruf: Land!
Land! vernehmen, wenn dann nach einem kurzen Zwischenraume zuerst als eine
ferne Wolke, dann immer klarer und klarer die Hügel und Bäume am Horizonte
ans dem Meere hervortauchen, wenn von derselben Richtung her ein Kahn sich
ihnen nähert, wenn die Bewohner des ersehnten Landes ihnen gastfreundlich die
Hand entgegenstrecken, und sich, als neue Landsleute, als Freunde, als Brüder
bewillkommnen. Nichts von Allem dem! Kein Matrose bestieg den hohen Mast
und spähte gierig nach Land. Wozu auch dieses? Der Capitain wußte ja genau,
um welche Stunde, sobald der Wind mit derselben Kraft und in derselben Rich¬
tung cmsdanerte, das Laud in Sicht kommen würde; er hatte oft und abermals
sein Heimathsland verlassen und war auf demselben Wege mit Hilfe von Compaß
und Quadrant aus dem fernen Welttheile dahin zurückgekehrt; er hatte die
Passagiere von der Annäherung der Küste in Kenntniß gesetzt — also keine
Ueberraschung! Anstatt der geträumten Freude prägte sich aber eine Beklemmung,
eine Aengstlichkeit, eine eigenthümliche Verlegenheit in den Gesichtszügen eines
Jeden aus. „Noch eine kurze Spanne Zeit", dachten sie, „so sind wir der
Vormundschaft des Capitains enthoben, so sind wir selbstständig, aber selbstständig
in einem fremden Lande, ohne Kenntniß der Sprache und der Sitten der Ein¬
wohner; wo werden wir, wenn wir mit Koffern und Kisten, mit Frau und Kin¬
dern abgesetzt sind, unser müdes Haupt hinlegen? wer wird unser Hab' und
Gut vor Dieben und Betrügern schützen? wer wird uns freundlich ohne eigen¬
nützige Absichten mit Rath und That beistehen? wer wird uns Pflegen, wenn wir,
des Klima's und der fremden Nahrung ungewohnt, von Krankheit heimgesucht
werden? wo werden wir Arbeit und Verdienst, oder wo den Boden finden, der
uns für die fernere Zeit unsres Lebens Speise, Trank, Kleidung und alle sonstigen
Bedürfnisse, welche das Leben erfordert, darbieten soll?" „Wir wissen es nicht,"
sagten kleinmüthig die Einen, während in dem Geiste Anderer eine Menge von


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[0067] empor, um im nächsten Augenblicke eben so tief hinabzusinken; führt aber der Kiel des Schiffes hindurch, so theilt er die obere Schicht; rechts und links weicht der Mississippi aus, und in den verlassenen Raum tritt er unter das grüne Wasser des Meeres. Immer schmaler und schmaler wurde der grüne Streifen, bis er allmählich Farbe und Klarheit verlor; das Meer war hinter uns, und in weiter Ferne entdeckte das spähende Auge die flache Küste des Festlandes von Amerika. Land! zum letzten Male: Land! Aber hat mir der geringe Theil von Phan¬ tasie, womit die Natur mich ausgestattet hat, wiederur'n ein Trugbild vorgehalten? Lange, lange vorher, ehe ich daran dachte, daß mein Fuß einmal den gesegneten Boden Amerika's betreten sollte, träumte ich von dem himmlischen Gefühl, welches sich der Herzen der Auswanderer bemächtigen mußte, wenn sie nach wochenlanger, enger Einkerkerung zwischen den Planken eines gebrechlichen Schisses, rings- nmgeben von dem unsteten, bodenlosen Meere, den mannichfachsten Entbehrungen unterworfen, von der Spitze des Mastes, wie vom Himmel herab der Ruf: Land! Land! vernehmen, wenn dann nach einem kurzen Zwischenraume zuerst als eine ferne Wolke, dann immer klarer und klarer die Hügel und Bäume am Horizonte ans dem Meere hervortauchen, wenn von derselben Richtung her ein Kahn sich ihnen nähert, wenn die Bewohner des ersehnten Landes ihnen gastfreundlich die Hand entgegenstrecken, und sich, als neue Landsleute, als Freunde, als Brüder bewillkommnen. Nichts von Allem dem! Kein Matrose bestieg den hohen Mast und spähte gierig nach Land. Wozu auch dieses? Der Capitain wußte ja genau, um welche Stunde, sobald der Wind mit derselben Kraft und in derselben Rich¬ tung cmsdanerte, das Laud in Sicht kommen würde; er hatte oft und abermals sein Heimathsland verlassen und war auf demselben Wege mit Hilfe von Compaß und Quadrant aus dem fernen Welttheile dahin zurückgekehrt; er hatte die Passagiere von der Annäherung der Küste in Kenntniß gesetzt — also keine Ueberraschung! Anstatt der geträumten Freude prägte sich aber eine Beklemmung, eine Aengstlichkeit, eine eigenthümliche Verlegenheit in den Gesichtszügen eines Jeden aus. „Noch eine kurze Spanne Zeit", dachten sie, „so sind wir der Vormundschaft des Capitains enthoben, so sind wir selbstständig, aber selbstständig in einem fremden Lande, ohne Kenntniß der Sprache und der Sitten der Ein¬ wohner; wo werden wir, wenn wir mit Koffern und Kisten, mit Frau und Kin¬ dern abgesetzt sind, unser müdes Haupt hinlegen? wer wird unser Hab' und Gut vor Dieben und Betrügern schützen? wer wird uns freundlich ohne eigen¬ nützige Absichten mit Rath und That beistehen? wer wird uns Pflegen, wenn wir, des Klima's und der fremden Nahrung ungewohnt, von Krankheit heimgesucht werden? wo werden wir Arbeit und Verdienst, oder wo den Boden finden, der uns für die fernere Zeit unsres Lebens Speise, Trank, Kleidung und alle sonstigen Bedürfnisse, welche das Leben erfordert, darbieten soll?" „Wir wissen es nicht," sagten kleinmüthig die Einen, während in dem Geiste Anderer eine Menge von Grenzboten. IV. -I8ö2. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/67>, abgerufen am 20.10.2024.