Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in Anwendung zu bringen. 'Wenn nun dadurch der Aufenthalt in dem unteren
Raume eiuen großen Theil des Abschreckenden verloren holte, so wurde er doch
jetzt weit weniger gesucht als früher; denn in noch höherem Grade hatte das Verdeck,
während das Schiff, von dem milden Passatwinde getrieben, seinen Lauf in süd¬
westlicher Richtung fortsetzte, eine Meuge von Reizen entwickelt, gegen welche
weder die Schwachen noch die Starken unempfindlich bleiben konnten -- die Reize
eines westindischen Januars.

Es war ein heiterer Jannarmorgen -- der gelbe Kaffee mit dem dunkelbraunen
Schiffsbrode hatte die nüchternen Magen gefüllt, die zum Mittagsmahle bestimmten
Kartoffeln waren geschält, das Verdeck war gewaschen, der Wind blies ruhig und
ununterbrochen in die geschwollenen Segel, und die steigenden und sinkenden
Wellen vermochten nicht das Schiff in so große Schwingungen zu versetzen, daß
dadurch das Gehen, Stehen und Sitzen bedeutend erschwert worden wäre. Ans
der Capitainscajüte, an den Seitenwänden, um die Masten herum, auf dem
Schiffsschnabel saß die Bevölkerung, in größeren und kleineren Gruppen vereinigt.
Mit gespannter Aufmerksamkeit waren alle Blicke nach vorn gerichtet. Endlich
zeigte sich am Horizonte eine Wolke, und eine halbe Stunde später konnten wir deutlich
Berge und Thäler, Bäume und Häuser unterscheiden. Von dem Lande löste sich ein
Kahn; bald tanzte er auf der Spitze der Wellen, bald versank er in die Tiefe und
verschwand unsren Blicken, dann stieg er wieder empor, und immer näher und
näher kamen sie angefahren sieben Schwarze und ein Weißer. Wir hatten von
süßen Südfrüchten und von frischem Fleische geträumt, aber statt dessen tönte uns
vom Steuer des Bootes entgegen: vo z?c>u v-iirl g, Mol? ,M" war die prosaische
Antwort unsres Capitains ans die prosaische Frage -- prosaisch im eigentlichen
Sinne: denn sie gab nicht allein der Einbildungskraft nicht die dürftigste Nahrung,
sondern zerstörte noch die Bilder, welche unsre Phantasie in den lebhaftesten
Farben gemalt hatte. Europa war nach und uach sür uus in deu Hintergrund
getreten, aber die Stelle, welche unser heimatlicher Welttheil verlassen hatte, war
noch nicht durch ein neues Vaterland ersetzt. Der Vordergrund war leer, eine
einförmig bewegte Wasserfläche -- da erheben sich langsam in undeutlichen Um¬
rissen die Felsen von Kolumbus' Inseln, das Bild gewinnt einen Vordergrund,
und alle Gedanken, alle Gefühle concentriren sich auf das neue Schauspiel. Amerika/
das Ziel unsrer Hoffnungen, unsers Sehnens ist erreicht, unsre Blicke ruhen auf
amerikanischer Erde, aus amerikanischen Bergen und Thälern, ans amerikanischen '
Menschen; Thränen der Freude in den Augen reichen wir uns die Hände, weh¬
müthig denken wir an unsre fernen Verwandten und Freunde, und freuen uus,
in unsre Tagebücher die Notiz eintragen zu können: hente betraten wir zuerst,
wenn auch nur wenige Stunden, amerikanischen Boden. Da hören wir die
Stimme des amerikanischen Lootsen; unsre Blicke hängen an dem Munde des
Capitains, als ob er ein Urtheil über Leben und Tod aussprechen sollte, wir


in Anwendung zu bringen. 'Wenn nun dadurch der Aufenthalt in dem unteren
Raume eiuen großen Theil des Abschreckenden verloren holte, so wurde er doch
jetzt weit weniger gesucht als früher; denn in noch höherem Grade hatte das Verdeck,
während das Schiff, von dem milden Passatwinde getrieben, seinen Lauf in süd¬
westlicher Richtung fortsetzte, eine Meuge von Reizen entwickelt, gegen welche
weder die Schwachen noch die Starken unempfindlich bleiben konnten — die Reize
eines westindischen Januars.

Es war ein heiterer Jannarmorgen — der gelbe Kaffee mit dem dunkelbraunen
Schiffsbrode hatte die nüchternen Magen gefüllt, die zum Mittagsmahle bestimmten
Kartoffeln waren geschält, das Verdeck war gewaschen, der Wind blies ruhig und
ununterbrochen in die geschwollenen Segel, und die steigenden und sinkenden
Wellen vermochten nicht das Schiff in so große Schwingungen zu versetzen, daß
dadurch das Gehen, Stehen und Sitzen bedeutend erschwert worden wäre. Ans
der Capitainscajüte, an den Seitenwänden, um die Masten herum, auf dem
Schiffsschnabel saß die Bevölkerung, in größeren und kleineren Gruppen vereinigt.
Mit gespannter Aufmerksamkeit waren alle Blicke nach vorn gerichtet. Endlich
zeigte sich am Horizonte eine Wolke, und eine halbe Stunde später konnten wir deutlich
Berge und Thäler, Bäume und Häuser unterscheiden. Von dem Lande löste sich ein
Kahn; bald tanzte er auf der Spitze der Wellen, bald versank er in die Tiefe und
verschwand unsren Blicken, dann stieg er wieder empor, und immer näher und
näher kamen sie angefahren sieben Schwarze und ein Weißer. Wir hatten von
süßen Südfrüchten und von frischem Fleische geträumt, aber statt dessen tönte uns
vom Steuer des Bootes entgegen: vo z?c>u v-iirl g, Mol? ,M" war die prosaische
Antwort unsres Capitains ans die prosaische Frage — prosaisch im eigentlichen
Sinne: denn sie gab nicht allein der Einbildungskraft nicht die dürftigste Nahrung,
sondern zerstörte noch die Bilder, welche unsre Phantasie in den lebhaftesten
Farben gemalt hatte. Europa war nach und uach sür uus in deu Hintergrund
getreten, aber die Stelle, welche unser heimatlicher Welttheil verlassen hatte, war
noch nicht durch ein neues Vaterland ersetzt. Der Vordergrund war leer, eine
einförmig bewegte Wasserfläche — da erheben sich langsam in undeutlichen Um¬
rissen die Felsen von Kolumbus' Inseln, das Bild gewinnt einen Vordergrund,
und alle Gedanken, alle Gefühle concentriren sich auf das neue Schauspiel. Amerika/
das Ziel unsrer Hoffnungen, unsers Sehnens ist erreicht, unsre Blicke ruhen auf
amerikanischer Erde, aus amerikanischen Bergen und Thälern, ans amerikanischen '
Menschen; Thränen der Freude in den Augen reichen wir uns die Hände, weh¬
müthig denken wir an unsre fernen Verwandten und Freunde, und freuen uus,
in unsre Tagebücher die Notiz eintragen zu können: hente betraten wir zuerst,
wenn auch nur wenige Stunden, amerikanischen Boden. Da hören wir die
Stimme des amerikanischen Lootsen; unsre Blicke hängen an dem Munde des
Capitains, als ob er ein Urtheil über Leben und Tod aussprechen sollte, wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95043"/>
            <p xml:id="ID_115" prev="#ID_114"> in Anwendung zu bringen. 'Wenn nun dadurch der Aufenthalt in dem unteren<lb/>
Raume eiuen großen Theil des Abschreckenden verloren holte, so wurde er doch<lb/>
jetzt weit weniger gesucht als früher; denn in noch höherem Grade hatte das Verdeck,<lb/>
während das Schiff, von dem milden Passatwinde getrieben, seinen Lauf in süd¬<lb/>
westlicher Richtung fortsetzte, eine Meuge von Reizen entwickelt, gegen welche<lb/>
weder die Schwachen noch die Starken unempfindlich bleiben konnten &#x2014; die Reize<lb/>
eines westindischen Januars.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_116" next="#ID_117"> Es war ein heiterer Jannarmorgen &#x2014; der gelbe Kaffee mit dem dunkelbraunen<lb/>
Schiffsbrode hatte die nüchternen Magen gefüllt, die zum Mittagsmahle bestimmten<lb/>
Kartoffeln waren geschält, das Verdeck war gewaschen, der Wind blies ruhig und<lb/>
ununterbrochen in die geschwollenen Segel, und die steigenden und sinkenden<lb/>
Wellen vermochten nicht das Schiff in so große Schwingungen zu versetzen, daß<lb/>
dadurch das Gehen, Stehen und Sitzen bedeutend erschwert worden wäre. Ans<lb/>
der Capitainscajüte, an den Seitenwänden, um die Masten herum, auf dem<lb/>
Schiffsschnabel saß die Bevölkerung, in größeren und kleineren Gruppen vereinigt.<lb/>
Mit gespannter Aufmerksamkeit waren alle Blicke nach vorn gerichtet. Endlich<lb/>
zeigte sich am Horizonte eine Wolke, und eine halbe Stunde später konnten wir deutlich<lb/>
Berge und Thäler, Bäume und Häuser unterscheiden. Von dem Lande löste sich ein<lb/>
Kahn; bald tanzte er auf der Spitze der Wellen, bald versank er in die Tiefe und<lb/>
verschwand unsren Blicken, dann stieg er wieder empor, und immer näher und<lb/>
näher kamen sie angefahren sieben Schwarze und ein Weißer. Wir hatten von<lb/>
süßen Südfrüchten und von frischem Fleische geträumt, aber statt dessen tönte uns<lb/>
vom Steuer des Bootes entgegen: vo z?c&gt;u v-iirl g, Mol? ,M" war die prosaische<lb/>
Antwort unsres Capitains ans die prosaische Frage &#x2014; prosaisch im eigentlichen<lb/>
Sinne: denn sie gab nicht allein der Einbildungskraft nicht die dürftigste Nahrung,<lb/>
sondern zerstörte noch die Bilder, welche unsre Phantasie in den lebhaftesten<lb/>
Farben gemalt hatte. Europa war nach und uach sür uus in deu Hintergrund<lb/>
getreten, aber die Stelle, welche unser heimatlicher Welttheil verlassen hatte, war<lb/>
noch nicht durch ein neues Vaterland ersetzt. Der Vordergrund war leer, eine<lb/>
einförmig bewegte Wasserfläche &#x2014; da erheben sich langsam in undeutlichen Um¬<lb/>
rissen die Felsen von Kolumbus' Inseln, das Bild gewinnt einen Vordergrund,<lb/>
und alle Gedanken, alle Gefühle concentriren sich auf das neue Schauspiel. Amerika/<lb/>
das Ziel unsrer Hoffnungen, unsers Sehnens ist erreicht, unsre Blicke ruhen auf<lb/>
amerikanischer Erde, aus amerikanischen Bergen und Thälern, ans amerikanischen '<lb/>
Menschen; Thränen der Freude in den Augen reichen wir uns die Hände, weh¬<lb/>
müthig denken wir an unsre fernen Verwandten und Freunde, und freuen uus,<lb/>
in unsre Tagebücher die Notiz eintragen zu können: hente betraten wir zuerst,<lb/>
wenn auch nur wenige Stunden, amerikanischen Boden. Da hören wir die<lb/>
Stimme des amerikanischen Lootsen; unsre Blicke hängen an dem Munde des<lb/>
Capitains, als ob er ein Urtheil über Leben und Tod aussprechen sollte, wir</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0062] in Anwendung zu bringen. 'Wenn nun dadurch der Aufenthalt in dem unteren Raume eiuen großen Theil des Abschreckenden verloren holte, so wurde er doch jetzt weit weniger gesucht als früher; denn in noch höherem Grade hatte das Verdeck, während das Schiff, von dem milden Passatwinde getrieben, seinen Lauf in süd¬ westlicher Richtung fortsetzte, eine Meuge von Reizen entwickelt, gegen welche weder die Schwachen noch die Starken unempfindlich bleiben konnten — die Reize eines westindischen Januars. Es war ein heiterer Jannarmorgen — der gelbe Kaffee mit dem dunkelbraunen Schiffsbrode hatte die nüchternen Magen gefüllt, die zum Mittagsmahle bestimmten Kartoffeln waren geschält, das Verdeck war gewaschen, der Wind blies ruhig und ununterbrochen in die geschwollenen Segel, und die steigenden und sinkenden Wellen vermochten nicht das Schiff in so große Schwingungen zu versetzen, daß dadurch das Gehen, Stehen und Sitzen bedeutend erschwert worden wäre. Ans der Capitainscajüte, an den Seitenwänden, um die Masten herum, auf dem Schiffsschnabel saß die Bevölkerung, in größeren und kleineren Gruppen vereinigt. Mit gespannter Aufmerksamkeit waren alle Blicke nach vorn gerichtet. Endlich zeigte sich am Horizonte eine Wolke, und eine halbe Stunde später konnten wir deutlich Berge und Thäler, Bäume und Häuser unterscheiden. Von dem Lande löste sich ein Kahn; bald tanzte er auf der Spitze der Wellen, bald versank er in die Tiefe und verschwand unsren Blicken, dann stieg er wieder empor, und immer näher und näher kamen sie angefahren sieben Schwarze und ein Weißer. Wir hatten von süßen Südfrüchten und von frischem Fleische geträumt, aber statt dessen tönte uns vom Steuer des Bootes entgegen: vo z?c>u v-iirl g, Mol? ,M" war die prosaische Antwort unsres Capitains ans die prosaische Frage — prosaisch im eigentlichen Sinne: denn sie gab nicht allein der Einbildungskraft nicht die dürftigste Nahrung, sondern zerstörte noch die Bilder, welche unsre Phantasie in den lebhaftesten Farben gemalt hatte. Europa war nach und uach sür uus in deu Hintergrund getreten, aber die Stelle, welche unser heimatlicher Welttheil verlassen hatte, war noch nicht durch ein neues Vaterland ersetzt. Der Vordergrund war leer, eine einförmig bewegte Wasserfläche — da erheben sich langsam in undeutlichen Um¬ rissen die Felsen von Kolumbus' Inseln, das Bild gewinnt einen Vordergrund, und alle Gedanken, alle Gefühle concentriren sich auf das neue Schauspiel. Amerika/ das Ziel unsrer Hoffnungen, unsers Sehnens ist erreicht, unsre Blicke ruhen auf amerikanischer Erde, aus amerikanischen Bergen und Thälern, ans amerikanischen ' Menschen; Thränen der Freude in den Augen reichen wir uns die Hände, weh¬ müthig denken wir an unsre fernen Verwandten und Freunde, und freuen uus, in unsre Tagebücher die Notiz eintragen zu können: hente betraten wir zuerst, wenn auch nur wenige Stunden, amerikanischen Boden. Da hören wir die Stimme des amerikanischen Lootsen; unsre Blicke hängen an dem Munde des Capitains, als ob er ein Urtheil über Leben und Tod aussprechen sollte, wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/62
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/62>, abgerufen am 27.09.2024.