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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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halten, der ihm der Abscheulichste ist. Im Kampfe mit der Seligkeit seines Her¬
zens überwunden sie fcihreu lassen und endlich, um das Vernünftige zu ergreisen,
die Seele nach der unnatürlichsten Lage hinrenken." --

Die einzelnen Personen des Kreises, dessen productive Zeit bis zum Tode
des Prinzen Louis Ferdinand reicht, weil später eigentlich nur noch die Traditio¬
nen festgehalten wurden, hat Varnhagen in seiner "Galerie von Bildnissen aus
Rahel's Umgang" (-1836) gezeichnet. Es waren außer dem Prinzen, Gentz und
Marwitz, die Gräfin Schlaberndorf, eine hochgesinnte Fran voll stolzen Welt¬
schmerzes und in psychologischem Raffinement aufgewachsen (starb 1833); Henriette
Mendelssohn, Schlegel's Schwägerin; die Gemahlin Wilhelm's v. Humboldt, die
Herz; in einiger Beziehung stand auch die schone Herzogin Dorothea von Kur¬
land, die sich fast regelmäßig den Winter in Berlin aushielt, und ihre Schwester
Elise von der Recke; Caroline von Woltmann und einige Andere. Unter den
Männern zeichneten sich aus der Fürst von Ligne, Wilhelm v. Burgsdorf, ein
märkischer Edelmann, der Major Gualtieri, der Maler Hans Genelli, eine Reihe
von Charakteren, die, nach ihren Briefen zu schließen, sich alle wenigstens durch
irgend eine geistige Seite auszeichneten; dann die bekannten Tieck, Schlegel,
Fouqu", der in sehr hohem Ansehen stand und in dessen Sigurd Rahel eine der
größten dramatischen Dichtungen zu finden glaubte; Heinrich v. Kleist, Wilhelm
Neumann n. s. w. Die meisten dieser Männer widmeten Rahel eine ganz un¬
bedingte Huldigung und folgten ihr als einem Leitstern. Bei jüngeren Männern,
wie Varnhagen, der die zwölf Jahr ältere Frau 181i heirathete, verstand sich
das von selbst.

Die Männer, welche dem Kreise seine Richtung gaben, waren Schleiermacher
und Fichte. Es ist das eigentlich eine sonderbare Zusammenstellung. Man wird
nicht leicht zwei Schriftsteller finden, die einen so unbedingten Gegensatz duldeten.
In Schleiermacher findet sich doctriuair ausgesprochen, was Goethe in seiner
Poesie praktisch durchführte: die unbedingte Heiligung des Individuellen, der
Cultus der Eigenthümlichkeit, die Umwandlung' des Lebens in ein Kunstwerk,
welchem Zweck sich sogar die Religion fügen mußte. Schleiermacher war mit
seiner zugleich unendlich anregenden und unendlich receptiven Natur vorzugsweise
für die Frauen gemacht. Seine Reden über die Religion, seine Monologe und
seiue Weihnachtsfeier sind eben so viel Apologien des weiblichen Wesens. --
Fichte dagegen ist ein metaphysischer Revolntionair, der seiner Idee zu Liebe
ohne alle Barmherzigkeit alles Individuelle zu Boden schlägt; und doch nennt ihn
Rahel beständig ihren Herrn und Meister, das zweite Auge Deutschlands neben
Goethe. Wie das zusammenhängt, läßt sich nicht recht ausmachen, vielleicht war
es der religiöse Anstrich seines Enthusiasmus, der trotz seiner Unbestimmtheit
einem weiblichen Herzen imponirte. Er war mit seinen Prophezeiungen einer
neuen Religion im Einverständnis; mit den Romantikern, wenn er sich auch ein


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halten, der ihm der Abscheulichste ist. Im Kampfe mit der Seligkeit seines Her¬
zens überwunden sie fcihreu lassen und endlich, um das Vernünftige zu ergreisen,
die Seele nach der unnatürlichsten Lage hinrenken." —

Die einzelnen Personen des Kreises, dessen productive Zeit bis zum Tode
des Prinzen Louis Ferdinand reicht, weil später eigentlich nur noch die Traditio¬
nen festgehalten wurden, hat Varnhagen in seiner „Galerie von Bildnissen aus
Rahel's Umgang" (-1836) gezeichnet. Es waren außer dem Prinzen, Gentz und
Marwitz, die Gräfin Schlaberndorf, eine hochgesinnte Fran voll stolzen Welt¬
schmerzes und in psychologischem Raffinement aufgewachsen (starb 1833); Henriette
Mendelssohn, Schlegel's Schwägerin; die Gemahlin Wilhelm's v. Humboldt, die
Herz; in einiger Beziehung stand auch die schone Herzogin Dorothea von Kur¬
land, die sich fast regelmäßig den Winter in Berlin aushielt, und ihre Schwester
Elise von der Recke; Caroline von Woltmann und einige Andere. Unter den
Männern zeichneten sich aus der Fürst von Ligne, Wilhelm v. Burgsdorf, ein
märkischer Edelmann, der Major Gualtieri, der Maler Hans Genelli, eine Reihe
von Charakteren, die, nach ihren Briefen zu schließen, sich alle wenigstens durch
irgend eine geistige Seite auszeichneten; dann die bekannten Tieck, Schlegel,
Fouqu«, der in sehr hohem Ansehen stand und in dessen Sigurd Rahel eine der
größten dramatischen Dichtungen zu finden glaubte; Heinrich v. Kleist, Wilhelm
Neumann n. s. w. Die meisten dieser Männer widmeten Rahel eine ganz un¬
bedingte Huldigung und folgten ihr als einem Leitstern. Bei jüngeren Männern,
wie Varnhagen, der die zwölf Jahr ältere Frau 181i heirathete, verstand sich
das von selbst.

Die Männer, welche dem Kreise seine Richtung gaben, waren Schleiermacher
und Fichte. Es ist das eigentlich eine sonderbare Zusammenstellung. Man wird
nicht leicht zwei Schriftsteller finden, die einen so unbedingten Gegensatz duldeten.
In Schleiermacher findet sich doctriuair ausgesprochen, was Goethe in seiner
Poesie praktisch durchführte: die unbedingte Heiligung des Individuellen, der
Cultus der Eigenthümlichkeit, die Umwandlung' des Lebens in ein Kunstwerk,
welchem Zweck sich sogar die Religion fügen mußte. Schleiermacher war mit
seiner zugleich unendlich anregenden und unendlich receptiven Natur vorzugsweise
für die Frauen gemacht. Seine Reden über die Religion, seine Monologe und
seiue Weihnachtsfeier sind eben so viel Apologien des weiblichen Wesens. —
Fichte dagegen ist ein metaphysischer Revolntionair, der seiner Idee zu Liebe
ohne alle Barmherzigkeit alles Individuelle zu Boden schlägt; und doch nennt ihn
Rahel beständig ihren Herrn und Meister, das zweite Auge Deutschlands neben
Goethe. Wie das zusammenhängt, läßt sich nicht recht ausmachen, vielleicht war
es der religiöse Anstrich seines Enthusiasmus, der trotz seiner Unbestimmtheit
einem weiblichen Herzen imponirte. Er war mit seinen Prophezeiungen einer
neuen Religion im Einverständnis; mit den Romantikern, wenn er sich auch ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/59>, abgerufen am 27.09.2024.