Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.Sehr wenig Ausnahmen abgerechnet, wo ein Journal die Kritik mit zum Hauptgegen- Sehr wenig Ausnahmen abgerechnet, wo ein Journal die Kritik mit zum Hauptgegen- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0528" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95509"/> <p xml:id="ID_1534" prev="#ID_1533" next="#ID_1535"> Sehr wenig Ausnahmen abgerechnet, wo ein Journal die Kritik mit zum Hauptgegen-<lb/> stand seiner Thätigkeit macht, wird die Kritik nebenbei ausgeübt, theils von politischen<lb/> Zeitungen, theils von Modejournalen, theils von Localblättern. Die politischen Zeitun¬<lb/> gen müssen solche Recensionen bringen, weil das Publieum erfahren will, was in der<lb/> Kunst oder Literatur in der Stadt Neues vorgekommen ist; in der Regel kommt es<lb/> ihnen aber nicht im Geringsten daraus an, aufweiche Weise das Urtheil ausgeübt wird;<lb/> sie geben das Feuilleton dem Ersten Besten in die Hände, der sich überhaupt bereit¬<lb/> willig erklärt, und wenn sie eine Auswahl treffen, so ist es höchstens die Rücksicht, daß<lb/> der Referent eine gewandte Feder führt und das Publieum zu amusiren versteht. Nur<lb/> in den allerseltensten Fällen wird auch nur darauf gesehen, daß die politische und sittliche<lb/> Ansicht des Referenten wenigstens ungefähr mit der des Blattes Hand in Hand geht.<lb/> Bei den Modejournalen ist es noch schlimmer, denn bei diesen ist es nicht blos Zufall,<lb/> wenn die Form wie der Inhalt des Urtheils absurd ist, sondern eS ist Absicht, denn das<lb/> Publieum derselben verlangt, um überhaupt angeregt zu werden, einen raffinirten Ge¬<lb/> schmack. Bei den Localblättern geht es eigentlich noch am naivsten zu. Der Kundige<lb/> kann sehr leicht die einzelnen Motive durchschauen; aber vielleicht thun gerade diese<lb/> Blätter den meisten Schaden, denn sie sind in vielen Kreisen die einzige Lecture. —<lb/> Wir begnügen uns vorläufig mit diesen Andeutungen. Dem Lustspiel von Heydrich<lb/> hat gegenwärtig der im voraus angefachte künstliche Enthusiasmus geschadet. Nicht<lb/> daß das Stück ein besseres Urtheil verdiente, aber man hätte auf einen begabten<lb/> Dichter größere Rücksicht genommen. — Der Inhalt der Posse ist eine bekannte<lb/> Anekdote, wie in den Zeiten Swgust des Starken ein als Mann verkleidetes Frauen¬<lb/> zimmer von dienstfertigen Behörden für den incognito reisenden Prinzen angesehen und<lb/> einige Tage als solcher gefeiert wurde, bis die Geschichte ein Ende mit Schrecken nahm.<lb/> Der Gegenstand, der an den „verwunschenen Prinzen" erinnert, bietet sehr komische<lb/> Seiten dar, und hätte zu einer erquicklichen Posse verarbeitet werden können. Aber bei<lb/> solchen Stücken, die auf komischen Verwechselungen beruhen, ist die Hauptsache, daß die<lb/> Verwickelung sich bis zum Schluß hin beständig steigert, und daß wir nie aus der<lb/> angemessenen Stimmung kommen. Herr Heydrich hat aber geglaubt, des Guten nicht<lb/> zu viel thun zu können, er hat statt des einen Knotens mehrere Knoten angelegt und<lb/> löst sie alle nach der Reihe aus, so daß das Interesse fast in jedem halben Act aushört<lb/> und immer neue Mittel ausgeboten werden müssen, um die erlahmte Theilnahme des Publicums<lb/> in Spannung zu halten. Das ist aber eine durchaus verfehlte Methode, deun wenn wir an<lb/> einer Anekdote unser Interesse und unsere Stimmung ausgegeben haben, so wird der<lb/> Dichter vergebens versuchen, dieselbe oder eine verwandte bei uns wach zu rufen. Statt<lb/> einfach bei dem Gegenstand zu bleiben und denselben so viel als möglich auszubeuten,<lb/> wie es im „verwunschenen Prinzen" aus die allervortrefflichste Weise geschehen ist, sucht<lb/> Herr Heydrich nach allen möglichen Reizmitteln, die außerhalb des Gegenstandes liegen.<lb/> So führt er ernsthafte Liebesscenen ein, die nicht zu der Stimmung passen, er schließt<lb/> mit einem großen Maskenaufzug und Ballet, und er malt sast zwei Acte hindurch eine<lb/> ganz unnöthige Betrnnkcnhcitssccnc aus. Das Letztere sollte endlich einmal aufhören.<lb/> Wer noch im Leben keinen Betrunkenen gesehen hat, hat sich auf der Bühne jetzt viel¬<lb/> fältig dieses erhebenden Schauspiels erfreue» können. Jeder Schauspieler von einigem<lb/> Nachahmungstalent und einiger Erfahrung kann einen Betrunkenen mit hinreichendem<lb/> Erfolg spielen, davon sind wir jetzt durch hundert Beispiele hinlänglich überzeugt. Die<lb/> Lustspieldichter sollten jetzt darauf denken, der Phantasie andere Bilder vorzuführen. —<lb/> Noch ein Wort an den Dichter. Herr Heydrich möge sich dnrch den Erfolg des<lb/> gegenwärtigen Stücks nicht abschrecken lassen, aber er möge daraus eine Lehre ziehen.<lb/> In seinem „Tiberius Gracchus" hat er das lobenswerthe Streben gezeigt, künstlerische<lb/> Mittel anzuwenden, er-hat sich streng an den Gegenstand gehalten, und wenn auch<lb/> nicht ein klassisches Werk geliefert, wie man damals meinte, doch wenigstens sehr gute<lb/> Versprechungen gegeben. Das Stück hat nicht so glänzenden Erfolg gehabt, als seine</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0528]
Sehr wenig Ausnahmen abgerechnet, wo ein Journal die Kritik mit zum Hauptgegen-
stand seiner Thätigkeit macht, wird die Kritik nebenbei ausgeübt, theils von politischen
Zeitungen, theils von Modejournalen, theils von Localblättern. Die politischen Zeitun¬
gen müssen solche Recensionen bringen, weil das Publieum erfahren will, was in der
Kunst oder Literatur in der Stadt Neues vorgekommen ist; in der Regel kommt es
ihnen aber nicht im Geringsten daraus an, aufweiche Weise das Urtheil ausgeübt wird;
sie geben das Feuilleton dem Ersten Besten in die Hände, der sich überhaupt bereit¬
willig erklärt, und wenn sie eine Auswahl treffen, so ist es höchstens die Rücksicht, daß
der Referent eine gewandte Feder führt und das Publieum zu amusiren versteht. Nur
in den allerseltensten Fällen wird auch nur darauf gesehen, daß die politische und sittliche
Ansicht des Referenten wenigstens ungefähr mit der des Blattes Hand in Hand geht.
Bei den Modejournalen ist es noch schlimmer, denn bei diesen ist es nicht blos Zufall,
wenn die Form wie der Inhalt des Urtheils absurd ist, sondern eS ist Absicht, denn das
Publieum derselben verlangt, um überhaupt angeregt zu werden, einen raffinirten Ge¬
schmack. Bei den Localblättern geht es eigentlich noch am naivsten zu. Der Kundige
kann sehr leicht die einzelnen Motive durchschauen; aber vielleicht thun gerade diese
Blätter den meisten Schaden, denn sie sind in vielen Kreisen die einzige Lecture. —
Wir begnügen uns vorläufig mit diesen Andeutungen. Dem Lustspiel von Heydrich
hat gegenwärtig der im voraus angefachte künstliche Enthusiasmus geschadet. Nicht
daß das Stück ein besseres Urtheil verdiente, aber man hätte auf einen begabten
Dichter größere Rücksicht genommen. — Der Inhalt der Posse ist eine bekannte
Anekdote, wie in den Zeiten Swgust des Starken ein als Mann verkleidetes Frauen¬
zimmer von dienstfertigen Behörden für den incognito reisenden Prinzen angesehen und
einige Tage als solcher gefeiert wurde, bis die Geschichte ein Ende mit Schrecken nahm.
Der Gegenstand, der an den „verwunschenen Prinzen" erinnert, bietet sehr komische
Seiten dar, und hätte zu einer erquicklichen Posse verarbeitet werden können. Aber bei
solchen Stücken, die auf komischen Verwechselungen beruhen, ist die Hauptsache, daß die
Verwickelung sich bis zum Schluß hin beständig steigert, und daß wir nie aus der
angemessenen Stimmung kommen. Herr Heydrich hat aber geglaubt, des Guten nicht
zu viel thun zu können, er hat statt des einen Knotens mehrere Knoten angelegt und
löst sie alle nach der Reihe aus, so daß das Interesse fast in jedem halben Act aushört
und immer neue Mittel ausgeboten werden müssen, um die erlahmte Theilnahme des Publicums
in Spannung zu halten. Das ist aber eine durchaus verfehlte Methode, deun wenn wir an
einer Anekdote unser Interesse und unsere Stimmung ausgegeben haben, so wird der
Dichter vergebens versuchen, dieselbe oder eine verwandte bei uns wach zu rufen. Statt
einfach bei dem Gegenstand zu bleiben und denselben so viel als möglich auszubeuten,
wie es im „verwunschenen Prinzen" aus die allervortrefflichste Weise geschehen ist, sucht
Herr Heydrich nach allen möglichen Reizmitteln, die außerhalb des Gegenstandes liegen.
So führt er ernsthafte Liebesscenen ein, die nicht zu der Stimmung passen, er schließt
mit einem großen Maskenaufzug und Ballet, und er malt sast zwei Acte hindurch eine
ganz unnöthige Betrnnkcnhcitssccnc aus. Das Letztere sollte endlich einmal aufhören.
Wer noch im Leben keinen Betrunkenen gesehen hat, hat sich auf der Bühne jetzt viel¬
fältig dieses erhebenden Schauspiels erfreue» können. Jeder Schauspieler von einigem
Nachahmungstalent und einiger Erfahrung kann einen Betrunkenen mit hinreichendem
Erfolg spielen, davon sind wir jetzt durch hundert Beispiele hinlänglich überzeugt. Die
Lustspieldichter sollten jetzt darauf denken, der Phantasie andere Bilder vorzuführen. —
Noch ein Wort an den Dichter. Herr Heydrich möge sich dnrch den Erfolg des
gegenwärtigen Stücks nicht abschrecken lassen, aber er möge daraus eine Lehre ziehen.
In seinem „Tiberius Gracchus" hat er das lobenswerthe Streben gezeigt, künstlerische
Mittel anzuwenden, er-hat sich streng an den Gegenstand gehalten, und wenn auch
nicht ein klassisches Werk geliefert, wie man damals meinte, doch wenigstens sehr gute
Versprechungen gegeben. Das Stück hat nicht so glänzenden Erfolg gehabt, als seine
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