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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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eines unsichtbaren Chors von Schulkindern vermochte nicht die Größe des
Eindruckes im mindesten zu beeinträchtigen. Sie ist ein Werk des Architekten
Hansen, und in ihrer schmucklosen, der antiken Form sich nähernden Einfachheit
der Meisterwerke ganz würdig, die sie enthalt. Die kolossalen Marmorstatuen
der Apostel stehen, sechs an. jeder Seite vor den breiten weißen Pfeilern des
Hauptschiffes, in der Mitte des Chors knieet ein Engel mit dem als Muschel¬
schale geformten Taufbecken, und hinter ihm breitet der Erlöser seine Arme
gegen die Gemeinde aus. Die Gefahr der Monotonie, die bei, so vielen männ¬
lichen Gewandfiguren von nicht sehr verschiedenem Charakter sehr nahe lag, ist
glücklich vermieden, es sind lauter bestimmt charakteristrte interessante Persönlich¬
keiten. schlicht und ernst steht Matthäus bereit, die trauervolle Geschichte
niederzuschreiben; entzückt, mit aufgerichtetem Antlitz empfängt Johannes die
Offenbarung, die er verkünden soll. Von der Größe seiner Sendung erfüllt
geht Jakobus aus und blickt voll Muth in die Ferne; auf das Schwert gestützt,
die rechte Hand erhoben, die männlich schönen geiht- und charaktervoller Züge
von der Gluth der Begeisterung erleuchtet, predigt Paulus das Evangelium. Er
dürste den ersten Platz unter Thorvaldsen's (wie uuter Peter Vischer's) Aposteln
einnehme". Aber bei Christus selbst ist der Künstler hinter seiner Intention
zurückgeblieben, obwol oder weil er fünf Modelle verwarf und erst das sechste
ausgeführt wurde. Es sollte der Weltheiland sein, der die Müden und Bela-
denen auffordert, bei ihm Ruhe zu suchen, aber die traditionellen Züge sind nicht
von dem Geiste der allumfassenden Liebe beseelt, und ihre.Milde streift fast an's
schläfrige/ -- Das Museum ertheilt Abgüsse, sowol von diesen Figuren, wie
von der Predigt des Johannes, bei denen sich auch einige nicht zur Ausführung
gekommene befinden.

Wenn Thorvaldsen vorzugsweise berufen war, auf der Bahn zu gehn, die
die antike Kunst geebnet hat, den menschlich schönen Erscheinungen des Lebens
von allen Entstellungen des Zufalls entkleidet, den reinsten Ausdruck zu gebe",
so stand er der Richtung natürlich serner, deren Ziel charakteristische Darstellung
der Individualität ist und die durch Rauch so glänzend vertreten wird. Thor¬
valdsen's Arbeiten sind größtenteils in Marmor ausgeführt, dem gleichsam weib¬
lichen, für die Darstellung der Formenschönheit geeigneten Material, während die
Schule Rauch's die Bronze vorzieht, die eine größere Schärfe und Bestimmtheit
des Ausdrucks möglich macht, so wie im Alterthum Praxiteles lieber in Marmor,
Myron lieber in Bronze arbeitete. Doch ist es natürlich, daß es dem größten Bild¬
hauer seiner Zeit an Bestellungen zu Portraits und Denkmälern nicht gefehlt hat.
Die Monumente in kolossalen Maßstabe für Pius VII., für Poniatowsky, Herzog
von Leuchtenberg sind Thorvaldsen's durchaus würdig, obwol von viel geringe¬
rem Interesse, als seine aus eigenem Antriebe hervorgegangenen Schöpfungen.
Bei weitem anziehender sind die Denkmäler für große Männer vergangener Jahr-


eines unsichtbaren Chors von Schulkindern vermochte nicht die Größe des
Eindruckes im mindesten zu beeinträchtigen. Sie ist ein Werk des Architekten
Hansen, und in ihrer schmucklosen, der antiken Form sich nähernden Einfachheit
der Meisterwerke ganz würdig, die sie enthalt. Die kolossalen Marmorstatuen
der Apostel stehen, sechs an. jeder Seite vor den breiten weißen Pfeilern des
Hauptschiffes, in der Mitte des Chors knieet ein Engel mit dem als Muschel¬
schale geformten Taufbecken, und hinter ihm breitet der Erlöser seine Arme
gegen die Gemeinde aus. Die Gefahr der Monotonie, die bei, so vielen männ¬
lichen Gewandfiguren von nicht sehr verschiedenem Charakter sehr nahe lag, ist
glücklich vermieden, es sind lauter bestimmt charakteristrte interessante Persönlich¬
keiten. schlicht und ernst steht Matthäus bereit, die trauervolle Geschichte
niederzuschreiben; entzückt, mit aufgerichtetem Antlitz empfängt Johannes die
Offenbarung, die er verkünden soll. Von der Größe seiner Sendung erfüllt
geht Jakobus aus und blickt voll Muth in die Ferne; auf das Schwert gestützt,
die rechte Hand erhoben, die männlich schönen geiht- und charaktervoller Züge
von der Gluth der Begeisterung erleuchtet, predigt Paulus das Evangelium. Er
dürste den ersten Platz unter Thorvaldsen's (wie uuter Peter Vischer's) Aposteln
einnehme«. Aber bei Christus selbst ist der Künstler hinter seiner Intention
zurückgeblieben, obwol oder weil er fünf Modelle verwarf und erst das sechste
ausgeführt wurde. Es sollte der Weltheiland sein, der die Müden und Bela-
denen auffordert, bei ihm Ruhe zu suchen, aber die traditionellen Züge sind nicht
von dem Geiste der allumfassenden Liebe beseelt, und ihre.Milde streift fast an's
schläfrige/ — Das Museum ertheilt Abgüsse, sowol von diesen Figuren, wie
von der Predigt des Johannes, bei denen sich auch einige nicht zur Ausführung
gekommene befinden.

Wenn Thorvaldsen vorzugsweise berufen war, auf der Bahn zu gehn, die
die antike Kunst geebnet hat, den menschlich schönen Erscheinungen des Lebens
von allen Entstellungen des Zufalls entkleidet, den reinsten Ausdruck zu gebe«,
so stand er der Richtung natürlich serner, deren Ziel charakteristische Darstellung
der Individualität ist und die durch Rauch so glänzend vertreten wird. Thor¬
valdsen's Arbeiten sind größtenteils in Marmor ausgeführt, dem gleichsam weib¬
lichen, für die Darstellung der Formenschönheit geeigneten Material, während die
Schule Rauch's die Bronze vorzieht, die eine größere Schärfe und Bestimmtheit
des Ausdrucks möglich macht, so wie im Alterthum Praxiteles lieber in Marmor,
Myron lieber in Bronze arbeitete. Doch ist es natürlich, daß es dem größten Bild¬
hauer seiner Zeit an Bestellungen zu Portraits und Denkmälern nicht gefehlt hat.
Die Monumente in kolossalen Maßstabe für Pius VII., für Poniatowsky, Herzog
von Leuchtenberg sind Thorvaldsen's durchaus würdig, obwol von viel geringe¬
rem Interesse, als seine aus eigenem Antriebe hervorgegangenen Schöpfungen.
Bei weitem anziehender sind die Denkmäler für große Männer vergangener Jahr-


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[0512] eines unsichtbaren Chors von Schulkindern vermochte nicht die Größe des Eindruckes im mindesten zu beeinträchtigen. Sie ist ein Werk des Architekten Hansen, und in ihrer schmucklosen, der antiken Form sich nähernden Einfachheit der Meisterwerke ganz würdig, die sie enthalt. Die kolossalen Marmorstatuen der Apostel stehen, sechs an. jeder Seite vor den breiten weißen Pfeilern des Hauptschiffes, in der Mitte des Chors knieet ein Engel mit dem als Muschel¬ schale geformten Taufbecken, und hinter ihm breitet der Erlöser seine Arme gegen die Gemeinde aus. Die Gefahr der Monotonie, die bei, so vielen männ¬ lichen Gewandfiguren von nicht sehr verschiedenem Charakter sehr nahe lag, ist glücklich vermieden, es sind lauter bestimmt charakteristrte interessante Persönlich¬ keiten. schlicht und ernst steht Matthäus bereit, die trauervolle Geschichte niederzuschreiben; entzückt, mit aufgerichtetem Antlitz empfängt Johannes die Offenbarung, die er verkünden soll. Von der Größe seiner Sendung erfüllt geht Jakobus aus und blickt voll Muth in die Ferne; auf das Schwert gestützt, die rechte Hand erhoben, die männlich schönen geiht- und charaktervoller Züge von der Gluth der Begeisterung erleuchtet, predigt Paulus das Evangelium. Er dürste den ersten Platz unter Thorvaldsen's (wie uuter Peter Vischer's) Aposteln einnehme«. Aber bei Christus selbst ist der Künstler hinter seiner Intention zurückgeblieben, obwol oder weil er fünf Modelle verwarf und erst das sechste ausgeführt wurde. Es sollte der Weltheiland sein, der die Müden und Bela- denen auffordert, bei ihm Ruhe zu suchen, aber die traditionellen Züge sind nicht von dem Geiste der allumfassenden Liebe beseelt, und ihre.Milde streift fast an's schläfrige/ — Das Museum ertheilt Abgüsse, sowol von diesen Figuren, wie von der Predigt des Johannes, bei denen sich auch einige nicht zur Ausführung gekommene befinden. Wenn Thorvaldsen vorzugsweise berufen war, auf der Bahn zu gehn, die die antike Kunst geebnet hat, den menschlich schönen Erscheinungen des Lebens von allen Entstellungen des Zufalls entkleidet, den reinsten Ausdruck zu gebe«, so stand er der Richtung natürlich serner, deren Ziel charakteristische Darstellung der Individualität ist und die durch Rauch so glänzend vertreten wird. Thor¬ valdsen's Arbeiten sind größtenteils in Marmor ausgeführt, dem gleichsam weib¬ lichen, für die Darstellung der Formenschönheit geeigneten Material, während die Schule Rauch's die Bronze vorzieht, die eine größere Schärfe und Bestimmtheit des Ausdrucks möglich macht, so wie im Alterthum Praxiteles lieber in Marmor, Myron lieber in Bronze arbeitete. Doch ist es natürlich, daß es dem größten Bild¬ hauer seiner Zeit an Bestellungen zu Portraits und Denkmälern nicht gefehlt hat. Die Monumente in kolossalen Maßstabe für Pius VII., für Poniatowsky, Herzog von Leuchtenberg sind Thorvaldsen's durchaus würdig, obwol von viel geringe¬ rem Interesse, als seine aus eigenem Antriebe hervorgegangenen Schöpfungen. Bei weitem anziehender sind die Denkmäler für große Männer vergangener Jahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/512>, abgerufen am 27.09.2024.