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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Schale tränkt; die Venus, die mit einer Art überaus anmuthiger Neugier und
bescheidener Freude den Apfel betrachtet, der ihr als Preis der Schönheit zuerkannt
ist, der Merkur, der, die Rohrflöte absetzend, sich aus seiner sitzenden Stellung
erhebt, während er zugleich vorsichtig das Schwert zieht, das dem tausendäugigen
Argus den Tod geben soll. Dieses nebenbei ein merkwürdiges Beispiel, wie die
Erscheinungen der Wirklichkeit sich vor dem Auge des Künstlers zu Gegenständen
seiner Kunst verklären; denn der Anblick eines Lastträgers, den er im Corso zu
Rom auf einem Steine sitzen sah, war die Veranlassung zu dieser Conception.
Und wer kennt nicht, die beiden herrlichen Rundbilder Nacht und Morgen, die
"ach einer monatelangen, schwermuthvollen Unthätigkeit an einem Sommertage
geschaffen wurden? Sie haben eine Verbreitung gesunden, deren sich wol kein
anderes Werk der modernen Sculptur rühmen kann.

Ist Thorvaldsen im Allgemeinen in der Wahl seiner Stoffe höchst glücklich
zu nennen, so hat er doch, wie erwähnt ist, sich hin und wieder aus das bedenk-
liche Gebiet der Allegorie gewagt, und aus diesem mitunter geradezu die Grenzen
seiner Kunst überschritten. Die "", ^mio lumen" genannte Composttion, wo
die Kunst als eine sitzende weibliche Figur sinnend auf eine Tafel zeichnet, wäh¬
rend ein geflügelter Genius Oel in die auf einem Postamente stehende Lampe
gießt -- hat sich eines allgemeinen Beifalls erfreut, und ist zum Avers einer aus
Thorvaldsen geprägten Medaille benutzt worden. Obwol der Gegenstand kein
Lob verdient, wird man ihn noch nicht geradezu verwerfen; denn er giebt ein
anmuthiges Bild, an dem man sich erfreuen kann, ohne den beabsichtigten Sinn
zu ahnen. Mehr als bedenklich ist schon der Gegenstand sür das Monument von
Sir Thomas Maitland aus Zarte: Minerva, das Laster entschleiernd, nimmt die
Unschuld in Schutz. Minerva hält mit dem rechten Arm eine jugendliche weib¬
liche Gestalt umfaßt, die mit erhobenem Haupt frei aufblickt, während sie mit
dem linken Arm einer andern Figur das Gewand vom Kopfe zieht, die nun zu
entfliehen sucht. Die Figur des Lasters durch symbolische Attribute zu bezeichnen,
ging nicht wohl' an, sie geradezu häßlich erscheinen zu lassen, verbot dem Künstler
sein ästhetisches Gewissen, er hat sich begnügt, ihr einen leidenschaftlichen Ausdruck
zu geben. Aber wodurch erfährt man nun, wer diese leidenschaftlich aussehende
Entschleierte ist, und weshalb sie die Flucht sucht? Gewiß nur, indem man den
Katalog nachsteht. Doch dieses Basrelief ist auf Bestellung gemacht, dagegen ein
anderes: "Nemesis aus einem Zweigespann, gefolgt von den Genien der Strafe
und Belohnung," so viel ich weiß, aus eigenem Antriebe hervorgegangen. Thor¬
valdsen hat selbst gefühlt, daß diese seltsame Allegorie völlig unverständlich ist
und sich zu ihrer Erklärung des allernaivsten Mittels bedient) nämlich beigeschriebe¬
ner Worte. Auf den Gurten der beiden Pferde vor dem Wagen der Nemesis,
wovon das eine sich bäumt, das andere ruhig geht, steht ubdiSiensg. und üis-
ublMieni-ig., aus den Speichen der Wagenräder abbonäa^a, xsumm und tgi.,


Schale tränkt; die Venus, die mit einer Art überaus anmuthiger Neugier und
bescheidener Freude den Apfel betrachtet, der ihr als Preis der Schönheit zuerkannt
ist, der Merkur, der, die Rohrflöte absetzend, sich aus seiner sitzenden Stellung
erhebt, während er zugleich vorsichtig das Schwert zieht, das dem tausendäugigen
Argus den Tod geben soll. Dieses nebenbei ein merkwürdiges Beispiel, wie die
Erscheinungen der Wirklichkeit sich vor dem Auge des Künstlers zu Gegenständen
seiner Kunst verklären; denn der Anblick eines Lastträgers, den er im Corso zu
Rom auf einem Steine sitzen sah, war die Veranlassung zu dieser Conception.
Und wer kennt nicht, die beiden herrlichen Rundbilder Nacht und Morgen, die
«ach einer monatelangen, schwermuthvollen Unthätigkeit an einem Sommertage
geschaffen wurden? Sie haben eine Verbreitung gesunden, deren sich wol kein
anderes Werk der modernen Sculptur rühmen kann.

Ist Thorvaldsen im Allgemeinen in der Wahl seiner Stoffe höchst glücklich
zu nennen, so hat er doch, wie erwähnt ist, sich hin und wieder aus das bedenk-
liche Gebiet der Allegorie gewagt, und aus diesem mitunter geradezu die Grenzen
seiner Kunst überschritten. Die „», ^mio lumen" genannte Composttion, wo
die Kunst als eine sitzende weibliche Figur sinnend auf eine Tafel zeichnet, wäh¬
rend ein geflügelter Genius Oel in die auf einem Postamente stehende Lampe
gießt — hat sich eines allgemeinen Beifalls erfreut, und ist zum Avers einer aus
Thorvaldsen geprägten Medaille benutzt worden. Obwol der Gegenstand kein
Lob verdient, wird man ihn noch nicht geradezu verwerfen; denn er giebt ein
anmuthiges Bild, an dem man sich erfreuen kann, ohne den beabsichtigten Sinn
zu ahnen. Mehr als bedenklich ist schon der Gegenstand sür das Monument von
Sir Thomas Maitland aus Zarte: Minerva, das Laster entschleiernd, nimmt die
Unschuld in Schutz. Minerva hält mit dem rechten Arm eine jugendliche weib¬
liche Gestalt umfaßt, die mit erhobenem Haupt frei aufblickt, während sie mit
dem linken Arm einer andern Figur das Gewand vom Kopfe zieht, die nun zu
entfliehen sucht. Die Figur des Lasters durch symbolische Attribute zu bezeichnen,
ging nicht wohl' an, sie geradezu häßlich erscheinen zu lassen, verbot dem Künstler
sein ästhetisches Gewissen, er hat sich begnügt, ihr einen leidenschaftlichen Ausdruck
zu geben. Aber wodurch erfährt man nun, wer diese leidenschaftlich aussehende
Entschleierte ist, und weshalb sie die Flucht sucht? Gewiß nur, indem man den
Katalog nachsteht. Doch dieses Basrelief ist auf Bestellung gemacht, dagegen ein
anderes: „Nemesis aus einem Zweigespann, gefolgt von den Genien der Strafe
und Belohnung," so viel ich weiß, aus eigenem Antriebe hervorgegangen. Thor¬
valdsen hat selbst gefühlt, daß diese seltsame Allegorie völlig unverständlich ist
und sich zu ihrer Erklärung des allernaivsten Mittels bedient) nämlich beigeschriebe¬
ner Worte. Auf den Gurten der beiden Pferde vor dem Wagen der Nemesis,
wovon das eine sich bäumt, das andere ruhig geht, steht ubdiSiensg. und üis-
ublMieni-ig., aus den Speichen der Wagenräder abbonäa^a, xsumm und tgi.,


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[0509] Schale tränkt; die Venus, die mit einer Art überaus anmuthiger Neugier und bescheidener Freude den Apfel betrachtet, der ihr als Preis der Schönheit zuerkannt ist, der Merkur, der, die Rohrflöte absetzend, sich aus seiner sitzenden Stellung erhebt, während er zugleich vorsichtig das Schwert zieht, das dem tausendäugigen Argus den Tod geben soll. Dieses nebenbei ein merkwürdiges Beispiel, wie die Erscheinungen der Wirklichkeit sich vor dem Auge des Künstlers zu Gegenständen seiner Kunst verklären; denn der Anblick eines Lastträgers, den er im Corso zu Rom auf einem Steine sitzen sah, war die Veranlassung zu dieser Conception. Und wer kennt nicht, die beiden herrlichen Rundbilder Nacht und Morgen, die «ach einer monatelangen, schwermuthvollen Unthätigkeit an einem Sommertage geschaffen wurden? Sie haben eine Verbreitung gesunden, deren sich wol kein anderes Werk der modernen Sculptur rühmen kann. Ist Thorvaldsen im Allgemeinen in der Wahl seiner Stoffe höchst glücklich zu nennen, so hat er doch, wie erwähnt ist, sich hin und wieder aus das bedenk- liche Gebiet der Allegorie gewagt, und aus diesem mitunter geradezu die Grenzen seiner Kunst überschritten. Die „», ^mio lumen" genannte Composttion, wo die Kunst als eine sitzende weibliche Figur sinnend auf eine Tafel zeichnet, wäh¬ rend ein geflügelter Genius Oel in die auf einem Postamente stehende Lampe gießt — hat sich eines allgemeinen Beifalls erfreut, und ist zum Avers einer aus Thorvaldsen geprägten Medaille benutzt worden. Obwol der Gegenstand kein Lob verdient, wird man ihn noch nicht geradezu verwerfen; denn er giebt ein anmuthiges Bild, an dem man sich erfreuen kann, ohne den beabsichtigten Sinn zu ahnen. Mehr als bedenklich ist schon der Gegenstand sür das Monument von Sir Thomas Maitland aus Zarte: Minerva, das Laster entschleiernd, nimmt die Unschuld in Schutz. Minerva hält mit dem rechten Arm eine jugendliche weib¬ liche Gestalt umfaßt, die mit erhobenem Haupt frei aufblickt, während sie mit dem linken Arm einer andern Figur das Gewand vom Kopfe zieht, die nun zu entfliehen sucht. Die Figur des Lasters durch symbolische Attribute zu bezeichnen, ging nicht wohl' an, sie geradezu häßlich erscheinen zu lassen, verbot dem Künstler sein ästhetisches Gewissen, er hat sich begnügt, ihr einen leidenschaftlichen Ausdruck zu geben. Aber wodurch erfährt man nun, wer diese leidenschaftlich aussehende Entschleierte ist, und weshalb sie die Flucht sucht? Gewiß nur, indem man den Katalog nachsteht. Doch dieses Basrelief ist auf Bestellung gemacht, dagegen ein anderes: „Nemesis aus einem Zweigespann, gefolgt von den Genien der Strafe und Belohnung," so viel ich weiß, aus eigenem Antriebe hervorgegangen. Thor¬ valdsen hat selbst gefühlt, daß diese seltsame Allegorie völlig unverständlich ist und sich zu ihrer Erklärung des allernaivsten Mittels bedient) nämlich beigeschriebe¬ ner Worte. Auf den Gurten der beiden Pferde vor dem Wagen der Nemesis, wovon das eine sich bäumt, das andere ruhig geht, steht ubdiSiensg. und üis- ublMieni-ig., aus den Speichen der Wagenräder abbonäa^a, xsumm und tgi.,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/509>, abgerufen am 27.09.2024.