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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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auf den andern gelehnt, sind Gestalten, wie sie die griechische Kunst in ihrer
besten Zeit nicht edler und schöner hätte hervorbringen können.

Fast eben so häusig, als aus den Homerischen, hat Thorvaldsen seine Motive
aus den sogenannten Anakreontischen Gedichten entnommen. Der Amor, der
wehklagend der Mutter die von einer Biene verwundete Hand hinhält, der Amor
mit dem kleinen Bacchus, die einander umfaßt haltend Trauben in einem Kübel
stampfen, sind Darstellungen von der liebenswürdigsten Anmuth. Sehr bedenklich
ist die Darstellung des Amor, der in der stürmischen Regennacht von dem Greise
Anakreon ausgenommen, während dieser ihn wärmt und trocknet, ihm schalkhaft
den Pfeil in die Brust drückt; das symbolische dieser Handlung steht mit dem
übrigens ganz natürlichen Vorgänge in Widerspruch; aber freilich ist die ganze
Auffassung von einer so schönen Natürlichkeit, daß man gern die Principienfrage
vergessen mag. Weit schlimmer macht sich die Uudarstellbarkeit der Allegorie bei
einem andern Anakreontischen Gegenstände geltend. Mars hat Amor's Pfeile ver¬
höhnt, und Amor giebt ihm einen in die Hand, um ihr Gewicht zu prüfen, Mars
findet ihn zu schwer und will ihn zurückgeben, Amor nimmt ihn nicht wieder.
Wer da sich nicht des Gedichtes erinnert, kann der errathen, daß diesem kräftigen
Manne der winzige Pfeil, den er mit zweifelhafter Miene in der Hand wägt,
zu schwer sei? Sonderbarer Weisest Thorvaldsen^ dieses plastisch unmögliche Motiv
in einer lebensgroßen Gruppe wiederholt. Unter den zahlreichen Vorstellungen
von Amor findet sich noch manches völlig Unplastische. Amor flicht ein Netz, um
die Seele zu saugen, zeigt die Rose und verbirgt die Dornen, läßt Blumen aus
steinigem Boden wachsen, bittet Jupiter, die Rose zur Königin der Blumen zu
macheu: man muß freilich wünschen, daß er bessere Gegenstände gewählt hätte,
aber er hat meistens doch seine Allegorien in Erscheinungen verkörpert, die auch,
abgesehen von ihrer symbolischen Bedeutung, durch ihre natürliche Anmuth an¬
ziehen und fesseln. Hier zeigt es sich, daß für das Genie die Schranken der
, Theorie nicht existiren. Auch die "Alter der Liebe" siud eine durchaus allegorische
Vorstellung, aber jede Figur ist so menschlich wahr und schön, daß es wahrlich
feines Kommentars,bedarf, um den Sinn zu verstehe". An den Käfig, in dem
die kleinen Liebesgötter in den possierlichsten Stellungen kauern, tritt ein un¬
erwachsenes Mädchen mit einem kleinen Schwesterchen an der Hand; diese hebt
neugierig den Vorhang des Käfigs auf und betrachtet mit kindischem Vergnügen
die kleinen Geschöpfe, jene tippt lächelnd einem, der sich heraufdrangen will, auf
deu Kopf, und scheint verschämt die Bedeutung des Spiels zu ahnen. Psyche,
die Verkäuferin, hält einem eben erwachsenen Mädchen mit erhobenem Arm einen
Amor hin, den sie an beiden Flügeln gefaßt hat, und zappelnd strebt er aus die
Jungfrau zu, die ihn knieend mit hoffnungsvollen Entzücken in beiden Armen auf¬
fangen will. Dann folgt die Frau, die ihre" Liebesgott zärtlich an die Lippen
drückt, die andere, die mit niedergeschlagenen Blick nachdenklich hiuschreitet und


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auf den andern gelehnt, sind Gestalten, wie sie die griechische Kunst in ihrer
besten Zeit nicht edler und schöner hätte hervorbringen können.

Fast eben so häusig, als aus den Homerischen, hat Thorvaldsen seine Motive
aus den sogenannten Anakreontischen Gedichten entnommen. Der Amor, der
wehklagend der Mutter die von einer Biene verwundete Hand hinhält, der Amor
mit dem kleinen Bacchus, die einander umfaßt haltend Trauben in einem Kübel
stampfen, sind Darstellungen von der liebenswürdigsten Anmuth. Sehr bedenklich
ist die Darstellung des Amor, der in der stürmischen Regennacht von dem Greise
Anakreon ausgenommen, während dieser ihn wärmt und trocknet, ihm schalkhaft
den Pfeil in die Brust drückt; das symbolische dieser Handlung steht mit dem
übrigens ganz natürlichen Vorgänge in Widerspruch; aber freilich ist die ganze
Auffassung von einer so schönen Natürlichkeit, daß man gern die Principienfrage
vergessen mag. Weit schlimmer macht sich die Uudarstellbarkeit der Allegorie bei
einem andern Anakreontischen Gegenstände geltend. Mars hat Amor's Pfeile ver¬
höhnt, und Amor giebt ihm einen in die Hand, um ihr Gewicht zu prüfen, Mars
findet ihn zu schwer und will ihn zurückgeben, Amor nimmt ihn nicht wieder.
Wer da sich nicht des Gedichtes erinnert, kann der errathen, daß diesem kräftigen
Manne der winzige Pfeil, den er mit zweifelhafter Miene in der Hand wägt,
zu schwer sei? Sonderbarer Weisest Thorvaldsen^ dieses plastisch unmögliche Motiv
in einer lebensgroßen Gruppe wiederholt. Unter den zahlreichen Vorstellungen
von Amor findet sich noch manches völlig Unplastische. Amor flicht ein Netz, um
die Seele zu saugen, zeigt die Rose und verbirgt die Dornen, läßt Blumen aus
steinigem Boden wachsen, bittet Jupiter, die Rose zur Königin der Blumen zu
macheu: man muß freilich wünschen, daß er bessere Gegenstände gewählt hätte,
aber er hat meistens doch seine Allegorien in Erscheinungen verkörpert, die auch,
abgesehen von ihrer symbolischen Bedeutung, durch ihre natürliche Anmuth an¬
ziehen und fesseln. Hier zeigt es sich, daß für das Genie die Schranken der
, Theorie nicht existiren. Auch die „Alter der Liebe" siud eine durchaus allegorische
Vorstellung, aber jede Figur ist so menschlich wahr und schön, daß es wahrlich
feines Kommentars,bedarf, um den Sinn zu verstehe». An den Käfig, in dem
die kleinen Liebesgötter in den possierlichsten Stellungen kauern, tritt ein un¬
erwachsenes Mädchen mit einem kleinen Schwesterchen an der Hand; diese hebt
neugierig den Vorhang des Käfigs auf und betrachtet mit kindischem Vergnügen
die kleinen Geschöpfe, jene tippt lächelnd einem, der sich heraufdrangen will, auf
deu Kopf, und scheint verschämt die Bedeutung des Spiels zu ahnen. Psyche,
die Verkäuferin, hält einem eben erwachsenen Mädchen mit erhobenem Arm einen
Amor hin, den sie an beiden Flügeln gefaßt hat, und zappelnd strebt er aus die
Jungfrau zu, die ihn knieend mit hoffnungsvollen Entzücken in beiden Armen auf¬
fangen will. Dann folgt die Frau, die ihre» Liebesgott zärtlich an die Lippen
drückt, die andere, die mit niedergeschlagenen Blick nachdenklich hiuschreitet und


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[0507] auf den andern gelehnt, sind Gestalten, wie sie die griechische Kunst in ihrer besten Zeit nicht edler und schöner hätte hervorbringen können. Fast eben so häusig, als aus den Homerischen, hat Thorvaldsen seine Motive aus den sogenannten Anakreontischen Gedichten entnommen. Der Amor, der wehklagend der Mutter die von einer Biene verwundete Hand hinhält, der Amor mit dem kleinen Bacchus, die einander umfaßt haltend Trauben in einem Kübel stampfen, sind Darstellungen von der liebenswürdigsten Anmuth. Sehr bedenklich ist die Darstellung des Amor, der in der stürmischen Regennacht von dem Greise Anakreon ausgenommen, während dieser ihn wärmt und trocknet, ihm schalkhaft den Pfeil in die Brust drückt; das symbolische dieser Handlung steht mit dem übrigens ganz natürlichen Vorgänge in Widerspruch; aber freilich ist die ganze Auffassung von einer so schönen Natürlichkeit, daß man gern die Principienfrage vergessen mag. Weit schlimmer macht sich die Uudarstellbarkeit der Allegorie bei einem andern Anakreontischen Gegenstände geltend. Mars hat Amor's Pfeile ver¬ höhnt, und Amor giebt ihm einen in die Hand, um ihr Gewicht zu prüfen, Mars findet ihn zu schwer und will ihn zurückgeben, Amor nimmt ihn nicht wieder. Wer da sich nicht des Gedichtes erinnert, kann der errathen, daß diesem kräftigen Manne der winzige Pfeil, den er mit zweifelhafter Miene in der Hand wägt, zu schwer sei? Sonderbarer Weisest Thorvaldsen^ dieses plastisch unmögliche Motiv in einer lebensgroßen Gruppe wiederholt. Unter den zahlreichen Vorstellungen von Amor findet sich noch manches völlig Unplastische. Amor flicht ein Netz, um die Seele zu saugen, zeigt die Rose und verbirgt die Dornen, läßt Blumen aus steinigem Boden wachsen, bittet Jupiter, die Rose zur Königin der Blumen zu macheu: man muß freilich wünschen, daß er bessere Gegenstände gewählt hätte, aber er hat meistens doch seine Allegorien in Erscheinungen verkörpert, die auch, abgesehen von ihrer symbolischen Bedeutung, durch ihre natürliche Anmuth an¬ ziehen und fesseln. Hier zeigt es sich, daß für das Genie die Schranken der , Theorie nicht existiren. Auch die „Alter der Liebe" siud eine durchaus allegorische Vorstellung, aber jede Figur ist so menschlich wahr und schön, daß es wahrlich feines Kommentars,bedarf, um den Sinn zu verstehe». An den Käfig, in dem die kleinen Liebesgötter in den possierlichsten Stellungen kauern, tritt ein un¬ erwachsenes Mädchen mit einem kleinen Schwesterchen an der Hand; diese hebt neugierig den Vorhang des Käfigs auf und betrachtet mit kindischem Vergnügen die kleinen Geschöpfe, jene tippt lächelnd einem, der sich heraufdrangen will, auf deu Kopf, und scheint verschämt die Bedeutung des Spiels zu ahnen. Psyche, die Verkäuferin, hält einem eben erwachsenen Mädchen mit erhobenem Arm einen Amor hin, den sie an beiden Flügeln gefaßt hat, und zappelnd strebt er aus die Jungfrau zu, die ihn knieend mit hoffnungsvollen Entzücken in beiden Armen auf¬ fangen will. Dann folgt die Frau, die ihre» Liebesgott zärtlich an die Lippen drückt, die andere, die mit niedergeschlagenen Blick nachdenklich hiuschreitet und Grenzboten. IV. . 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/507>, abgerufen am 27.09.2024.