Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kraft der Nation getragen wird, das endlich seinem Einfluß auch die Factoren
unterwirft, auf welche die Regierung sich stützt. Entbehren formell noch so scharf¬
sinnig festgestellte und noch so feierlich beschworeue Verfassungen dieser breiten
Grundlage, so bedeuten sie wenig; dafür giebt die Geschichte unsrer Tage nur zu
viel Beispiele.

Diese unerläßliche und erste Bedingung scheint jedoch die Junkerpartei bis
jetzt nicht zu kennen. Ihre Jmpopularität bei allen Klassen der Nation ist bei
weitem großer, als sie jemals gewesen. Alle kleinlichen Leidenschaften der mensch¬
lichen Natur und alle edleren Ideen, die im Volke leben, vereinigen sich, um Neid
und Erbitterung gegen sie zu erwecken. Ihre Macht besteht nicht etwa darin, daß
sie die Gemüther für sich und ihre Zwecke gewonnen hat, sondern nnr in der
tiefen, aber vorübergehenden Gleichgiltigkeit für öffentliche Angelegenheiten, welche
den Erschütterungen der letzten Jahre gefolgt ist. Dies und der Anhalt, den sie
bei Hofe besitzt, kann die phantastischen Projecte der Gerlach-Stahlschen Politik zur
Verwirklichung bringen. Die Täuschung dürfte aber nur zu schnell zerrinnen.
Sind die Junker erst mit Rechten, wie sie seit dem großen Kurfürsten sie nicht
mehr besessen, Meister in den gesetzgebenden Körperschaften, auf den Provinzial-
landtagen, in den Kreisversammlungen, so wird die Meinung des Landes sich
plötzlich und energisch gegen sie erheben. Ein Kampf wird beginnen, dessen Aus¬
gang nicht zweifelhaft sein kann, und der eine Reaction gegen den Adel und die
Ritterschaft herbeiführen muß, die sie schwerer treffen wird, als die Katastrophen
vo.n 1806 und 1848 es gethan haben-

Eben so wenig wird sich die Krone eine wirkliche Beschränkung Seitens des
Junkerthnms dauernd gefallen lassen. Jetzt ist die Ritterschaft noch der Bundes¬
genosse gegen die sogenannte "Revolution" und wird außerdem noch durch die
persönliche Vorliebe des Königs begünstigt. Ist das parlamentarische System
erst besiegt, so dürsten die ständischen Prätensionen bald eben so mißliebig werden.
Die Vorzeichen dafür sind jetzt schon unverkennbar. Der Nation verhaßt und
der Krone lästig, worauf wird die Ritterschaft sich dann stützen können? Fällt sie
nicht in einer staatlichen Krisis, wie nach den Tagen von Jena und der März¬
revolution, erstürbe wirklich jedes politische Leben im Volke, so wird sie nnter den
Streichen der Absolutie fallen. Ein 18. Brumaire gege" ein Junkerparlament
erfordert keinen Bonaparte.

Mißlingt der preußischen Adelspartei die von ihr jetzt angestrebte Umwand¬
lung der Verfassung, so ist es möglich, daß ihr eine Zukunft vorbehalten ist.
Sie hat bereits an den jetzt bestehenden Institutionen mehr Antheil, als ihrer
wirklichen Bedeutung im Volke gebührt. Ständen weise und weitblickende Politiker,
statt eitler und verblendeter Doctrinaire an ihrer Spitze, so würden diese die
leidenschaftliche Beschränktheit ihrer Anhänger zu mäßigen und aufzuklären suchen,
statt ihr zu schmeicheln und sie noch weiter aufzureizen.


Kraft der Nation getragen wird, das endlich seinem Einfluß auch die Factoren
unterwirft, auf welche die Regierung sich stützt. Entbehren formell noch so scharf¬
sinnig festgestellte und noch so feierlich beschworeue Verfassungen dieser breiten
Grundlage, so bedeuten sie wenig; dafür giebt die Geschichte unsrer Tage nur zu
viel Beispiele.

Diese unerläßliche und erste Bedingung scheint jedoch die Junkerpartei bis
jetzt nicht zu kennen. Ihre Jmpopularität bei allen Klassen der Nation ist bei
weitem großer, als sie jemals gewesen. Alle kleinlichen Leidenschaften der mensch¬
lichen Natur und alle edleren Ideen, die im Volke leben, vereinigen sich, um Neid
und Erbitterung gegen sie zu erwecken. Ihre Macht besteht nicht etwa darin, daß
sie die Gemüther für sich und ihre Zwecke gewonnen hat, sondern nnr in der
tiefen, aber vorübergehenden Gleichgiltigkeit für öffentliche Angelegenheiten, welche
den Erschütterungen der letzten Jahre gefolgt ist. Dies und der Anhalt, den sie
bei Hofe besitzt, kann die phantastischen Projecte der Gerlach-Stahlschen Politik zur
Verwirklichung bringen. Die Täuschung dürfte aber nur zu schnell zerrinnen.
Sind die Junker erst mit Rechten, wie sie seit dem großen Kurfürsten sie nicht
mehr besessen, Meister in den gesetzgebenden Körperschaften, auf den Provinzial-
landtagen, in den Kreisversammlungen, so wird die Meinung des Landes sich
plötzlich und energisch gegen sie erheben. Ein Kampf wird beginnen, dessen Aus¬
gang nicht zweifelhaft sein kann, und der eine Reaction gegen den Adel und die
Ritterschaft herbeiführen muß, die sie schwerer treffen wird, als die Katastrophen
vo.n 1806 und 1848 es gethan haben-

Eben so wenig wird sich die Krone eine wirkliche Beschränkung Seitens des
Junkerthnms dauernd gefallen lassen. Jetzt ist die Ritterschaft noch der Bundes¬
genosse gegen die sogenannte „Revolution" und wird außerdem noch durch die
persönliche Vorliebe des Königs begünstigt. Ist das parlamentarische System
erst besiegt, so dürsten die ständischen Prätensionen bald eben so mißliebig werden.
Die Vorzeichen dafür sind jetzt schon unverkennbar. Der Nation verhaßt und
der Krone lästig, worauf wird die Ritterschaft sich dann stützen können? Fällt sie
nicht in einer staatlichen Krisis, wie nach den Tagen von Jena und der März¬
revolution, erstürbe wirklich jedes politische Leben im Volke, so wird sie nnter den
Streichen der Absolutie fallen. Ein 18. Brumaire gege» ein Junkerparlament
erfordert keinen Bonaparte.

Mißlingt der preußischen Adelspartei die von ihr jetzt angestrebte Umwand¬
lung der Verfassung, so ist es möglich, daß ihr eine Zukunft vorbehalten ist.
Sie hat bereits an den jetzt bestehenden Institutionen mehr Antheil, als ihrer
wirklichen Bedeutung im Volke gebührt. Ständen weise und weitblickende Politiker,
statt eitler und verblendeter Doctrinaire an ihrer Spitze, so würden diese die
leidenschaftliche Beschränktheit ihrer Anhänger zu mäßigen und aufzuklären suchen,
statt ihr zu schmeicheln und sie noch weiter aufzureizen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0500" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95481"/>
          <p xml:id="ID_1462" prev="#ID_1461"> Kraft der Nation getragen wird, das endlich seinem Einfluß auch die Factoren<lb/>
unterwirft, auf welche die Regierung sich stützt. Entbehren formell noch so scharf¬<lb/>
sinnig festgestellte und noch so feierlich beschworeue Verfassungen dieser breiten<lb/>
Grundlage, so bedeuten sie wenig; dafür giebt die Geschichte unsrer Tage nur zu<lb/>
viel Beispiele.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1463"> Diese unerläßliche und erste Bedingung scheint jedoch die Junkerpartei bis<lb/>
jetzt nicht zu kennen. Ihre Jmpopularität bei allen Klassen der Nation ist bei<lb/>
weitem großer, als sie jemals gewesen. Alle kleinlichen Leidenschaften der mensch¬<lb/>
lichen Natur und alle edleren Ideen, die im Volke leben, vereinigen sich, um Neid<lb/>
und Erbitterung gegen sie zu erwecken. Ihre Macht besteht nicht etwa darin, daß<lb/>
sie die Gemüther für sich und ihre Zwecke gewonnen hat, sondern nnr in der<lb/>
tiefen, aber vorübergehenden Gleichgiltigkeit für öffentliche Angelegenheiten, welche<lb/>
den Erschütterungen der letzten Jahre gefolgt ist. Dies und der Anhalt, den sie<lb/>
bei Hofe besitzt, kann die phantastischen Projecte der Gerlach-Stahlschen Politik zur<lb/>
Verwirklichung bringen. Die Täuschung dürfte aber nur zu schnell zerrinnen.<lb/>
Sind die Junker erst mit Rechten, wie sie seit dem großen Kurfürsten sie nicht<lb/>
mehr besessen, Meister in den gesetzgebenden Körperschaften, auf den Provinzial-<lb/>
landtagen, in den Kreisversammlungen, so wird die Meinung des Landes sich<lb/>
plötzlich und energisch gegen sie erheben. Ein Kampf wird beginnen, dessen Aus¬<lb/>
gang nicht zweifelhaft sein kann, und der eine Reaction gegen den Adel und die<lb/>
Ritterschaft herbeiführen muß, die sie schwerer treffen wird, als die Katastrophen<lb/>
vo.n 1806 und 1848 es gethan haben-</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1464"> Eben so wenig wird sich die Krone eine wirkliche Beschränkung Seitens des<lb/>
Junkerthnms dauernd gefallen lassen. Jetzt ist die Ritterschaft noch der Bundes¬<lb/>
genosse gegen die sogenannte &#x201E;Revolution" und wird außerdem noch durch die<lb/>
persönliche Vorliebe des Königs begünstigt. Ist das parlamentarische System<lb/>
erst besiegt, so dürsten die ständischen Prätensionen bald eben so mißliebig werden.<lb/>
Die Vorzeichen dafür sind jetzt schon unverkennbar. Der Nation verhaßt und<lb/>
der Krone lästig, worauf wird die Ritterschaft sich dann stützen können? Fällt sie<lb/>
nicht in einer staatlichen Krisis, wie nach den Tagen von Jena und der März¬<lb/>
revolution, erstürbe wirklich jedes politische Leben im Volke, so wird sie nnter den<lb/>
Streichen der Absolutie fallen. Ein 18. Brumaire gege» ein Junkerparlament<lb/>
erfordert keinen Bonaparte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1465"> Mißlingt der preußischen Adelspartei die von ihr jetzt angestrebte Umwand¬<lb/>
lung der Verfassung, so ist es möglich, daß ihr eine Zukunft vorbehalten ist.<lb/>
Sie hat bereits an den jetzt bestehenden Institutionen mehr Antheil, als ihrer<lb/>
wirklichen Bedeutung im Volke gebührt. Ständen weise und weitblickende Politiker,<lb/>
statt eitler und verblendeter Doctrinaire an ihrer Spitze, so würden diese die<lb/>
leidenschaftliche Beschränktheit ihrer Anhänger zu mäßigen und aufzuklären suchen,<lb/>
statt ihr zu schmeicheln und sie noch weiter aufzureizen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0500] Kraft der Nation getragen wird, das endlich seinem Einfluß auch die Factoren unterwirft, auf welche die Regierung sich stützt. Entbehren formell noch so scharf¬ sinnig festgestellte und noch so feierlich beschworeue Verfassungen dieser breiten Grundlage, so bedeuten sie wenig; dafür giebt die Geschichte unsrer Tage nur zu viel Beispiele. Diese unerläßliche und erste Bedingung scheint jedoch die Junkerpartei bis jetzt nicht zu kennen. Ihre Jmpopularität bei allen Klassen der Nation ist bei weitem großer, als sie jemals gewesen. Alle kleinlichen Leidenschaften der mensch¬ lichen Natur und alle edleren Ideen, die im Volke leben, vereinigen sich, um Neid und Erbitterung gegen sie zu erwecken. Ihre Macht besteht nicht etwa darin, daß sie die Gemüther für sich und ihre Zwecke gewonnen hat, sondern nnr in der tiefen, aber vorübergehenden Gleichgiltigkeit für öffentliche Angelegenheiten, welche den Erschütterungen der letzten Jahre gefolgt ist. Dies und der Anhalt, den sie bei Hofe besitzt, kann die phantastischen Projecte der Gerlach-Stahlschen Politik zur Verwirklichung bringen. Die Täuschung dürfte aber nur zu schnell zerrinnen. Sind die Junker erst mit Rechten, wie sie seit dem großen Kurfürsten sie nicht mehr besessen, Meister in den gesetzgebenden Körperschaften, auf den Provinzial- landtagen, in den Kreisversammlungen, so wird die Meinung des Landes sich plötzlich und energisch gegen sie erheben. Ein Kampf wird beginnen, dessen Aus¬ gang nicht zweifelhaft sein kann, und der eine Reaction gegen den Adel und die Ritterschaft herbeiführen muß, die sie schwerer treffen wird, als die Katastrophen vo.n 1806 und 1848 es gethan haben- Eben so wenig wird sich die Krone eine wirkliche Beschränkung Seitens des Junkerthnms dauernd gefallen lassen. Jetzt ist die Ritterschaft noch der Bundes¬ genosse gegen die sogenannte „Revolution" und wird außerdem noch durch die persönliche Vorliebe des Königs begünstigt. Ist das parlamentarische System erst besiegt, so dürsten die ständischen Prätensionen bald eben so mißliebig werden. Die Vorzeichen dafür sind jetzt schon unverkennbar. Der Nation verhaßt und der Krone lästig, worauf wird die Ritterschaft sich dann stützen können? Fällt sie nicht in einer staatlichen Krisis, wie nach den Tagen von Jena und der März¬ revolution, erstürbe wirklich jedes politische Leben im Volke, so wird sie nnter den Streichen der Absolutie fallen. Ein 18. Brumaire gege» ein Junkerparlament erfordert keinen Bonaparte. Mißlingt der preußischen Adelspartei die von ihr jetzt angestrebte Umwand¬ lung der Verfassung, so ist es möglich, daß ihr eine Zukunft vorbehalten ist. Sie hat bereits an den jetzt bestehenden Institutionen mehr Antheil, als ihrer wirklichen Bedeutung im Volke gebührt. Ständen weise und weitblickende Politiker, statt eitler und verblendeter Doctrinaire an ihrer Spitze, so würden diese die leidenschaftliche Beschränktheit ihrer Anhänger zu mäßigen und aufzuklären suchen, statt ihr zu schmeicheln und sie noch weiter aufzureizen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/500
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/500>, abgerufen am 27.09.2024.