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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Sphäre versetzt, sich des Einflusses derselben erwehren könnte. Herr v. Arnim
kann daher den ehemaligen Bureaukraten nicht verläugnen. Es kommt dazu, daß
er, ein Mann von unbestreitbar bedeutenden Fähigkeiten, politischen Ehrgeiz be¬
sitzt. Seine Parteiführung liebäugelt immer etwas mit dem Portefeuille und ver¬
meidet es, gewissen Ortes zu großen Anstoß zu geben. Bei den Conflicten, die
über die Verfassungsrevision zwischen der Regierung und der Junkerpartei in Aus¬
sicht stehn, wird er, wie kaum zu zweifeln, das Amt des Vermittlers übernehmen.

In den Herren v. Kleist-Retzow und Bismark-Schönhausen ist die politische
Intelligenz'repräsentirt, welche die Junkerpartei selbst aufzubringen vermag, und
muß man das Maß derselben ziemlich bescheiden nennen. Der Erstere ist fanatisch,
rücksichtslos, kaum weniger cynisch als Herr v. Gerlach in seiner Verachtung des
Rechtsprincips gegenüber dem Parteiprincip, aber ohne jede Zugabe von Geist
und Witz, die jenem nicht abzusprechen sind. Herr v. Bismark ist eben so ober¬
flächlich, doch nicht ganz so trivial und bei weitem nicht so langweilig. Im nebli¬
gen ist er in seiner Erscheinung, wie in Charakter und Manieren, das eigentliche
Urbild des preußischen Junkers, wie er denn auch diese Bezeichnung mit Stolz
acceptirt hat. Beide werden auch darin vermuthlich ihren Ursprung nicht ver¬
läugnen, daß sie unter dem Einflüsse der hohen Posten, mit denen sie betraut
sind, ihn allmählich vergessen. Herr v. Bismark-Schönhausen hat bereits in einem
Moment sich dem parlamentarischen Leben entzogen, wo die wichtigsten Fragen
für die zukünftige Stellung seines Standes zur Entscheidung kommen sollen. Herr
v. Kleist-Retzow fungirt allerdings noch unter dem Patronat des Herrn v. Gerlach
aus der äußersten Rechten der zweiten Kammer, und es wäre nicht ganz undenk¬
bar, daß er, vorkommenden Falles, jetzt noch den Staatsdienst der Partei zum
Opfer brächte.

Die Bestrebungen des Junkerthums und des politischen Systems, welches
die Herren v. Gerlach und Stahl darauf begründet haben, leiden an einer völligen
Verkennung der staatlichen und gesellschaftlichen Zustände. Es ist immerhin möglich,
durch die Benutzung der augenblicklich günstigen Constellation und die Geneigtheit
des Königs sür ständische Einrichtungen eine Verfassung herzustellen, welche die
corporative Gliederung wenigstens äußerlich wieder einführt und die Ritterschaft
mit prädominirenden Vorrechten ausstattet. Diese Verfassung würde aber in sich
selbst nicht die mindeste Garantie des Bestehens haben. In früheren Zeiten
hatten die Stände eine wirkliche Macht und die der Fürsten stand in keinem
Vergleich mit den jetzt einer Negierung zu Gebote stehenden Mitteln. In Preußen,
wie in den meisten anderen Continentalstaaten giebt es heute nur Eine organisirte
materielle Macht, das ist die Krone. Ist es überhaupt möglich, einer Regierung, die
über ein ungeheures Budget, ein starkes Heer und über eine zahlreiche, abhängige
Beamtenschaft verfügt, eine wirksame Beschränkung aufzulegen, so kann es nur
geschehen, indem man ihr ein Parlament gegenüberstellt, das von der moralischen


Grenzboten, IV. 62

Sphäre versetzt, sich des Einflusses derselben erwehren könnte. Herr v. Arnim
kann daher den ehemaligen Bureaukraten nicht verläugnen. Es kommt dazu, daß
er, ein Mann von unbestreitbar bedeutenden Fähigkeiten, politischen Ehrgeiz be¬
sitzt. Seine Parteiführung liebäugelt immer etwas mit dem Portefeuille und ver¬
meidet es, gewissen Ortes zu großen Anstoß zu geben. Bei den Conflicten, die
über die Verfassungsrevision zwischen der Regierung und der Junkerpartei in Aus¬
sicht stehn, wird er, wie kaum zu zweifeln, das Amt des Vermittlers übernehmen.

In den Herren v. Kleist-Retzow und Bismark-Schönhausen ist die politische
Intelligenz'repräsentirt, welche die Junkerpartei selbst aufzubringen vermag, und
muß man das Maß derselben ziemlich bescheiden nennen. Der Erstere ist fanatisch,
rücksichtslos, kaum weniger cynisch als Herr v. Gerlach in seiner Verachtung des
Rechtsprincips gegenüber dem Parteiprincip, aber ohne jede Zugabe von Geist
und Witz, die jenem nicht abzusprechen sind. Herr v. Bismark ist eben so ober¬
flächlich, doch nicht ganz so trivial und bei weitem nicht so langweilig. Im nebli¬
gen ist er in seiner Erscheinung, wie in Charakter und Manieren, das eigentliche
Urbild des preußischen Junkers, wie er denn auch diese Bezeichnung mit Stolz
acceptirt hat. Beide werden auch darin vermuthlich ihren Ursprung nicht ver¬
läugnen, daß sie unter dem Einflüsse der hohen Posten, mit denen sie betraut
sind, ihn allmählich vergessen. Herr v. Bismark-Schönhausen hat bereits in einem
Moment sich dem parlamentarischen Leben entzogen, wo die wichtigsten Fragen
für die zukünftige Stellung seines Standes zur Entscheidung kommen sollen. Herr
v. Kleist-Retzow fungirt allerdings noch unter dem Patronat des Herrn v. Gerlach
aus der äußersten Rechten der zweiten Kammer, und es wäre nicht ganz undenk¬
bar, daß er, vorkommenden Falles, jetzt noch den Staatsdienst der Partei zum
Opfer brächte.

Die Bestrebungen des Junkerthums und des politischen Systems, welches
die Herren v. Gerlach und Stahl darauf begründet haben, leiden an einer völligen
Verkennung der staatlichen und gesellschaftlichen Zustände. Es ist immerhin möglich,
durch die Benutzung der augenblicklich günstigen Constellation und die Geneigtheit
des Königs sür ständische Einrichtungen eine Verfassung herzustellen, welche die
corporative Gliederung wenigstens äußerlich wieder einführt und die Ritterschaft
mit prädominirenden Vorrechten ausstattet. Diese Verfassung würde aber in sich
selbst nicht die mindeste Garantie des Bestehens haben. In früheren Zeiten
hatten die Stände eine wirkliche Macht und die der Fürsten stand in keinem
Vergleich mit den jetzt einer Negierung zu Gebote stehenden Mitteln. In Preußen,
wie in den meisten anderen Continentalstaaten giebt es heute nur Eine organisirte
materielle Macht, das ist die Krone. Ist es überhaupt möglich, einer Regierung, die
über ein ungeheures Budget, ein starkes Heer und über eine zahlreiche, abhängige
Beamtenschaft verfügt, eine wirksame Beschränkung aufzulegen, so kann es nur
geschehen, indem man ihr ein Parlament gegenüberstellt, das von der moralischen


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[0499] Sphäre versetzt, sich des Einflusses derselben erwehren könnte. Herr v. Arnim kann daher den ehemaligen Bureaukraten nicht verläugnen. Es kommt dazu, daß er, ein Mann von unbestreitbar bedeutenden Fähigkeiten, politischen Ehrgeiz be¬ sitzt. Seine Parteiführung liebäugelt immer etwas mit dem Portefeuille und ver¬ meidet es, gewissen Ortes zu großen Anstoß zu geben. Bei den Conflicten, die über die Verfassungsrevision zwischen der Regierung und der Junkerpartei in Aus¬ sicht stehn, wird er, wie kaum zu zweifeln, das Amt des Vermittlers übernehmen. In den Herren v. Kleist-Retzow und Bismark-Schönhausen ist die politische Intelligenz'repräsentirt, welche die Junkerpartei selbst aufzubringen vermag, und muß man das Maß derselben ziemlich bescheiden nennen. Der Erstere ist fanatisch, rücksichtslos, kaum weniger cynisch als Herr v. Gerlach in seiner Verachtung des Rechtsprincips gegenüber dem Parteiprincip, aber ohne jede Zugabe von Geist und Witz, die jenem nicht abzusprechen sind. Herr v. Bismark ist eben so ober¬ flächlich, doch nicht ganz so trivial und bei weitem nicht so langweilig. Im nebli¬ gen ist er in seiner Erscheinung, wie in Charakter und Manieren, das eigentliche Urbild des preußischen Junkers, wie er denn auch diese Bezeichnung mit Stolz acceptirt hat. Beide werden auch darin vermuthlich ihren Ursprung nicht ver¬ läugnen, daß sie unter dem Einflüsse der hohen Posten, mit denen sie betraut sind, ihn allmählich vergessen. Herr v. Bismark-Schönhausen hat bereits in einem Moment sich dem parlamentarischen Leben entzogen, wo die wichtigsten Fragen für die zukünftige Stellung seines Standes zur Entscheidung kommen sollen. Herr v. Kleist-Retzow fungirt allerdings noch unter dem Patronat des Herrn v. Gerlach aus der äußersten Rechten der zweiten Kammer, und es wäre nicht ganz undenk¬ bar, daß er, vorkommenden Falles, jetzt noch den Staatsdienst der Partei zum Opfer brächte. Die Bestrebungen des Junkerthums und des politischen Systems, welches die Herren v. Gerlach und Stahl darauf begründet haben, leiden an einer völligen Verkennung der staatlichen und gesellschaftlichen Zustände. Es ist immerhin möglich, durch die Benutzung der augenblicklich günstigen Constellation und die Geneigtheit des Königs sür ständische Einrichtungen eine Verfassung herzustellen, welche die corporative Gliederung wenigstens äußerlich wieder einführt und die Ritterschaft mit prädominirenden Vorrechten ausstattet. Diese Verfassung würde aber in sich selbst nicht die mindeste Garantie des Bestehens haben. In früheren Zeiten hatten die Stände eine wirkliche Macht und die der Fürsten stand in keinem Vergleich mit den jetzt einer Negierung zu Gebote stehenden Mitteln. In Preußen, wie in den meisten anderen Continentalstaaten giebt es heute nur Eine organisirte materielle Macht, das ist die Krone. Ist es überhaupt möglich, einer Regierung, die über ein ungeheures Budget, ein starkes Heer und über eine zahlreiche, abhängige Beamtenschaft verfügt, eine wirksame Beschränkung aufzulegen, so kann es nur geschehen, indem man ihr ein Parlament gegenüberstellt, das von der moralischen Grenzboten, IV. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/499>, abgerufen am 27.09.2024.