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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Stahl respectirt wenigstens äußerlich die Principien, ans deren Negation seine
politische Lehre hinausläuft, Herr v. Gerlach trägt unverhohlen eine cynische Ver¬
achtung dagegen zur Schau. Schon aus diesem Grunde ist der Einfluß des Er¬
ster" tiefer und gefährlicher. Seine ungleich größere Bildung und Begabung,
sein seltenes Rednertalent haben ihm eine fast unbegrenzte geistige Herrschaft über
seine Partei verschafft. Die letzten Wahlen zur ersten Kammer gaben Zeugniß
davon; er wurde von uicht weniger, als sieben Bezirken zum Abgeordneten er¬
nannt. Eine solche Ovation, gerade dieser Persönlichkeit Seitens der Ritterschaft
dargebracht, hat ihre komische, aber bezeichnende Seite. Nicht in ihren eigenen
Reihen findet sie ihren Führer, nicht aus ihr heraus hat sich ihr Programm ent¬
wickelt, es ist ihr vorgetragen worden vom Katheder, gleich Collegienschülcrn, und
mit einem gläubigen, mit Ausnahme weniger dem Verständniß weit vorangeeilten
Vertrauen schaart sie sich um ihren Lehrer. Herr v. Gerlach erfreut sich so großer
Verehrung nicht; sein persönliches Auftreten hat zu viel Possenhaftes, um nicht
selbst in seiner Partei zuweilen Anstoß zu erregen, und der nackte Cynismus,
dem er sich oft überläßt, verletzt die Gewissen Vieler, deren politischer Eigennutz
sie zwar zu Selbsttäuschungen verleitet, die aber dieser Selbsttäuschungen bedürfen.

Man muß bei alledem den Herren v. Gerlach und Stahl das Zugeständniß
machen, daß sie, so weit man ans ihrer bisherigen Laufbahn schließen kann, per¬
sönliche Zwecke bei ihren politischen Bestrebungen nicht verfolgen. Es ist wirklich,
wie es scheint, nur der traurige Fanatismus dvctriuairer Eitelkeit, der sich in
diesen Männern allmählich so gesteigert hat, um ihre politische Lehre in Conflict
mit den ewigen Gesetzen des Rechtes und der Moral zu bringen. Eine ganz
entgegengesetzte Erscheinung ist der Graf v. Arnim-Bvitzeuburg, der, wenn auch
uicht in so enger Beziehung, doch in einem sehr einflußreichen Verhältniß zur
Junkcrpartei steht. Daß der edle Graf am Fanatismus der Doctrin nicht leidet,
hat er unwiderleglich in den Märztagen bewiesen, und seine Versuche, seine da¬
maligen Handlungen mit seinen früher und später documenlirten Principien in
Einklang zu bringen, sind unzulänglich geblieben. Die Junkerpartei wird auch
niemals die von ihm im März gespickte Rolle ganz vergessen oder vergeben. Bei
dem Mangel an Kapacitäten, die ans ihrem Schooß hervorgegangen sind, bleibt
ihr Herr v. Arnim-Boitzeuburg gleichwol unentbehrlich. Ohne ihr volles Vertrauen
zu genießen, war er bisher ihr parlamentarischer Führer in der zweiten Kammer
> und wird jetzt mit Herrn Stahl die Führung in der'ersten theilen. Er ist eigent¬
lich der vermittelnde Factor der Jnnkerpartei mit der Regierung, oder, richtiger
gesagt, mit der Bureaukratie. Er hat in dieser eine glänzende Carriere gemacht,
und sast niemals ist ein preußischer Junker in das Beamtenthum eingetreten, ohne
nicht vom Geiste desselben angesteckt zu werden. Das Junkerthum selbst hat zu
wenig sittlichen und intellectuellen Inhalt, es fußt zu ausschließlich ans kleinlichen
Vorurtheilen und Interessen, als daß eines seiner Mitglieder, in eine andere


Stahl respectirt wenigstens äußerlich die Principien, ans deren Negation seine
politische Lehre hinausläuft, Herr v. Gerlach trägt unverhohlen eine cynische Ver¬
achtung dagegen zur Schau. Schon aus diesem Grunde ist der Einfluß des Er¬
ster» tiefer und gefährlicher. Seine ungleich größere Bildung und Begabung,
sein seltenes Rednertalent haben ihm eine fast unbegrenzte geistige Herrschaft über
seine Partei verschafft. Die letzten Wahlen zur ersten Kammer gaben Zeugniß
davon; er wurde von uicht weniger, als sieben Bezirken zum Abgeordneten er¬
nannt. Eine solche Ovation, gerade dieser Persönlichkeit Seitens der Ritterschaft
dargebracht, hat ihre komische, aber bezeichnende Seite. Nicht in ihren eigenen
Reihen findet sie ihren Führer, nicht aus ihr heraus hat sich ihr Programm ent¬
wickelt, es ist ihr vorgetragen worden vom Katheder, gleich Collegienschülcrn, und
mit einem gläubigen, mit Ausnahme weniger dem Verständniß weit vorangeeilten
Vertrauen schaart sie sich um ihren Lehrer. Herr v. Gerlach erfreut sich so großer
Verehrung nicht; sein persönliches Auftreten hat zu viel Possenhaftes, um nicht
selbst in seiner Partei zuweilen Anstoß zu erregen, und der nackte Cynismus,
dem er sich oft überläßt, verletzt die Gewissen Vieler, deren politischer Eigennutz
sie zwar zu Selbsttäuschungen verleitet, die aber dieser Selbsttäuschungen bedürfen.

Man muß bei alledem den Herren v. Gerlach und Stahl das Zugeständniß
machen, daß sie, so weit man ans ihrer bisherigen Laufbahn schließen kann, per¬
sönliche Zwecke bei ihren politischen Bestrebungen nicht verfolgen. Es ist wirklich,
wie es scheint, nur der traurige Fanatismus dvctriuairer Eitelkeit, der sich in
diesen Männern allmählich so gesteigert hat, um ihre politische Lehre in Conflict
mit den ewigen Gesetzen des Rechtes und der Moral zu bringen. Eine ganz
entgegengesetzte Erscheinung ist der Graf v. Arnim-Bvitzeuburg, der, wenn auch
uicht in so enger Beziehung, doch in einem sehr einflußreichen Verhältniß zur
Junkcrpartei steht. Daß der edle Graf am Fanatismus der Doctrin nicht leidet,
hat er unwiderleglich in den Märztagen bewiesen, und seine Versuche, seine da¬
maligen Handlungen mit seinen früher und später documenlirten Principien in
Einklang zu bringen, sind unzulänglich geblieben. Die Junkerpartei wird auch
niemals die von ihm im März gespickte Rolle ganz vergessen oder vergeben. Bei
dem Mangel an Kapacitäten, die ans ihrem Schooß hervorgegangen sind, bleibt
ihr Herr v. Arnim-Boitzeuburg gleichwol unentbehrlich. Ohne ihr volles Vertrauen
zu genießen, war er bisher ihr parlamentarischer Führer in der zweiten Kammer
> und wird jetzt mit Herrn Stahl die Führung in der'ersten theilen. Er ist eigent¬
lich der vermittelnde Factor der Jnnkerpartei mit der Regierung, oder, richtiger
gesagt, mit der Bureaukratie. Er hat in dieser eine glänzende Carriere gemacht,
und sast niemals ist ein preußischer Junker in das Beamtenthum eingetreten, ohne
nicht vom Geiste desselben angesteckt zu werden. Das Junkerthum selbst hat zu
wenig sittlichen und intellectuellen Inhalt, es fußt zu ausschließlich ans kleinlichen
Vorurtheilen und Interessen, als daß eines seiner Mitglieder, in eine andere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/498>, abgerufen am 27.09.2024.