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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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wird. Dies ist der Plan, welchen die Führer jener Partei verfolgen, und welcher
der Masse derselben mehr oder weniger unklar vorschwebt. Denn die letztere
befindet sich zum Theil noch in den ersten Stadien dieser keimenden Entwickelung.
Der Respect vor der Krone ist noch bei Vielen im Streit mit dem Verlangen
nach einer politischen Stellung im Staate. Für sie hat noch jedes politische Recht
des Unterthans, jede Beschränkung des Fürsten eine sündhafte Verwandtschaft mit
der Revolution. In jeder Art von parlamentarischer Institution, auch in der
ständischen, sieht sie die, wenn anch noch so entfernte Gefahr einstiger Ausschrei¬
tungen. Das Staudesinteresse treibt sie vorwärts, die Tradition des Gehorsams
hält sie zurück.

Wäre nicht nach der Natur und Organisation des preußischen Staates das
Beamtenthum der Arm der Absolutie, und drohte derselbe der Ritterschaft nicht
stets mit mißliebigen Gesetzen.und Reformen, belästigte er sie nicht mit seiner
unausgesetzten Einmischung und Vielregiererei, sie würde noch heute in ihrer
großen Mehrheit ihre Interessen lieber unter den Schutz des unumschränkten Königs
stellen, als sie selbst in die Hand nehmen. In ihren Kreisen ist daher die Bewun¬
derung Rußlands Mode geworden. Rußland hat der Revolution widerstanden,
es hat ihre ritterschaftlichen Brüder in den Ostseeprovinzen im Besitz von Pri¬
vilegien geschützt, nach deren ehemaligem Besitz Viele noch heute wie nach dem
verlorenen Paradiese sehnsüchtig zurückblicken, es hält jede Regung der verhaßten
liberalen Principien unerbittlich nieder, Rußland und sein Kaiser, sind somit für
die Meisten der preußischen Junker Gegenstände eines wahrhaften Cultus. "Am
besten ist die Knute," so lautet oft bei ihnen der reactionaire Stoßseufzer, womit
das Für und Wider constitutioneller, bureankratischer oder ständischer Institutionen
erledigt wird.

Daß den gegenwärtigen Bestrebungen der Jnnkerpartei jeder ideelle Gehalt
fehlt, daß sie nur aus engherzig aufgefaßten Interessen beruhen, ist hiernach ein¬
leuchtend. Der hohe Sinn einer wahren Aristokratie, ihr Stolz, ihr Unabhängig-
keitsgesühl gehen ihr . bis jetzt uoch ganz ab. So weit sie des Idealismus über¬
haupt sähig ist, ist er in ihren realistischen Sympathien vorhanden. Diese sind
das festeste Band, was sie an den Staat knüpft, in ihnen wurzelt ihr Patriotis¬
mus für Preußen, ihr Bewußtsein einer nationalen Gemeinschaft. selbstsüchtige
Furcht und selbstsüchtige Begierde, aufgeregt durch die Erschütterungen der letzten
Jahre, sind mit jenen Sympathien in Streit getreten, und haben die Ritterschaft
so weit gebracht, nach einer höhern Berechtigung im Staate selbst der Krone
gegenüber zu streben. Ein politischer Fortschritt, aus solchen Motiven entsprungen,
muß seine bedenkliche moralische Seite haben. Die rücksichtslose und hitzige Ver¬
folgung von Parteiinteressen hat das Interesse für den Staat bei der Junkerpartei
tief herabgedrückt. Seit dem November 1848, d. h. seitdem sie thätig und organisirt
wieder aus dem politischen Schauplatz erschienen ist, ging ihr eifrigstes Bestreben


wird. Dies ist der Plan, welchen die Führer jener Partei verfolgen, und welcher
der Masse derselben mehr oder weniger unklar vorschwebt. Denn die letztere
befindet sich zum Theil noch in den ersten Stadien dieser keimenden Entwickelung.
Der Respect vor der Krone ist noch bei Vielen im Streit mit dem Verlangen
nach einer politischen Stellung im Staate. Für sie hat noch jedes politische Recht
des Unterthans, jede Beschränkung des Fürsten eine sündhafte Verwandtschaft mit
der Revolution. In jeder Art von parlamentarischer Institution, auch in der
ständischen, sieht sie die, wenn anch noch so entfernte Gefahr einstiger Ausschrei¬
tungen. Das Staudesinteresse treibt sie vorwärts, die Tradition des Gehorsams
hält sie zurück.

Wäre nicht nach der Natur und Organisation des preußischen Staates das
Beamtenthum der Arm der Absolutie, und drohte derselbe der Ritterschaft nicht
stets mit mißliebigen Gesetzen.und Reformen, belästigte er sie nicht mit seiner
unausgesetzten Einmischung und Vielregiererei, sie würde noch heute in ihrer
großen Mehrheit ihre Interessen lieber unter den Schutz des unumschränkten Königs
stellen, als sie selbst in die Hand nehmen. In ihren Kreisen ist daher die Bewun¬
derung Rußlands Mode geworden. Rußland hat der Revolution widerstanden,
es hat ihre ritterschaftlichen Brüder in den Ostseeprovinzen im Besitz von Pri¬
vilegien geschützt, nach deren ehemaligem Besitz Viele noch heute wie nach dem
verlorenen Paradiese sehnsüchtig zurückblicken, es hält jede Regung der verhaßten
liberalen Principien unerbittlich nieder, Rußland und sein Kaiser, sind somit für
die Meisten der preußischen Junker Gegenstände eines wahrhaften Cultus. „Am
besten ist die Knute," so lautet oft bei ihnen der reactionaire Stoßseufzer, womit
das Für und Wider constitutioneller, bureankratischer oder ständischer Institutionen
erledigt wird.

Daß den gegenwärtigen Bestrebungen der Jnnkerpartei jeder ideelle Gehalt
fehlt, daß sie nur aus engherzig aufgefaßten Interessen beruhen, ist hiernach ein¬
leuchtend. Der hohe Sinn einer wahren Aristokratie, ihr Stolz, ihr Unabhängig-
keitsgesühl gehen ihr . bis jetzt uoch ganz ab. So weit sie des Idealismus über¬
haupt sähig ist, ist er in ihren realistischen Sympathien vorhanden. Diese sind
das festeste Band, was sie an den Staat knüpft, in ihnen wurzelt ihr Patriotis¬
mus für Preußen, ihr Bewußtsein einer nationalen Gemeinschaft. selbstsüchtige
Furcht und selbstsüchtige Begierde, aufgeregt durch die Erschütterungen der letzten
Jahre, sind mit jenen Sympathien in Streit getreten, und haben die Ritterschaft
so weit gebracht, nach einer höhern Berechtigung im Staate selbst der Krone
gegenüber zu streben. Ein politischer Fortschritt, aus solchen Motiven entsprungen,
muß seine bedenkliche moralische Seite haben. Die rücksichtslose und hitzige Ver¬
folgung von Parteiinteressen hat das Interesse für den Staat bei der Junkerpartei
tief herabgedrückt. Seit dem November 1848, d. h. seitdem sie thätig und organisirt
wieder aus dem politischen Schauplatz erschienen ist, ging ihr eifrigstes Bestreben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/496>, abgerufen am 27.09.2024.