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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Flucht wendeten. Gefangene wurden wenige -- nur 86 -- gemacht, indem man
im Anfang des Gefechts keinen Pardon gab. Der kühne Streich hatte solchen
Schreck unter die Franzosen verbreitet, daß sich dem verwundeten Chirurg Kühn,
als er von Gönnern nach Aruburg zurückhumpelte, im Walde beim Försterhause
fünf französische Husaren gefangen gaben. Ein pommerscher Dragoner sprengte
ganz allein gegen zwei Schwadronen Chasseurs an, hieb einen Ofstcicr vom
Pferde, verwundete einen andern, und zeigte der übrigen Gesellschaft mit einer
angemessenen Geberde den Rücken.

Als Uvrk ans dem Marsch zur Schlacht von Lützen bei Pegau sein Corps
vor dem König und Kaiser Alexander destliren ließ, stieg er ab, um sich zu mel¬
den. Kaiser Alexander kam ihm sogleich sehr freundlich entgegen, umarmte und
küßte ihn. Dann erst konnte er sich dem König nähern, der seine Meldung
empfing, aber dann sagte: "Ich habe Ihnen bereits das eiserne Krenz verliehen,
sehe aber, daß Sie es noch nicht tragen." Jork gab zur Antwort: So dank¬
bar er für Sr. Majestät Gnade sei, habe er doch für seine Person das Kreuz
nicht angelegt, weil ihm noch nicht Sr. Majestät Entscheidung über alle die¬
jenigen Ofstciere, Unterofficiere und Gemeine zugegangen sei, die er zu solcher
Auszeichnung vorzuschlagen für Pflicht gehalten, sondern erst über einen Theil
derselben; er werde auch das Kreuz nicht eher tragen, als bis Se. Majestät so
gnädig gewesen seien, es auch denen zu bewilligen, die sich sonst nach dem ge¬
machten Vorschlage gekränkt fühlen müßten. Nichts weniger als gnädig hört der
König diese Entgegnung: "Kann, doch unmöglich gleich Allen das eiserne Kreuz
bewilligen; haben mir überdies immer sehr Viele dazu vorgeschlagen." Aork stand
noch immer entblößten Hauptes vor dem Könige: er habe Sr. Majestät nur solche
Officiere und Soldaten vorgeschlagen, welche sich durch die größte Tapferkeit und
Todesverachtung solcher Auszeichnung würdig erwiesen hätten, und er habe' es
für seine Pflicht gehalten, so zu thun, ohne die Besorgniß, daß die Zahl so vor¬
züglicher Leute zu groß erscheinen könne. Dem peinlichen Gespräch gab zum Glück
das Hinzutreten des Kaisers eine andere Wendung. S.o berichtet Droysen nach
glaubwürdiger mündlicher Quelle. Ueberhaupt scheint Zjork oben viel Anstoß durch
den Eifer, mit dem er die Ansprüche seiner Truppen auf Auszeichnungen vertheidigte,
erregt zu haben, und die dadurch veranlaßten Häkeleien trugen viel dazu bei,
seine erbitterte Stimmung noch zu erhöhen.

Der Plan der Alliirten, Napoleon während seines Marsches von der Saale
nach Leipzig, wo seine Macht meilenweit aus einander gezogen war, zu schlagen,
war vortrefflich gedacht, mißrieth aber in der Ausführung gänzlich, theils wegen
mangelhafter Disposition Wittgenstein's beim ersten Angriff, theils weil die An¬
wesenheit der beiden Monarchen bei der Armee die Einheit des Oberbefehls gänz¬
lich vernichtete. In der Schlacht selbst commandirte, der Kaiser, d'Auvray (Wittgen¬
stein's Generalstabschef), Diebitsch, Blücher, Scharnhorst, ja, die Generaladjutanten


Flucht wendeten. Gefangene wurden wenige — nur 86 — gemacht, indem man
im Anfang des Gefechts keinen Pardon gab. Der kühne Streich hatte solchen
Schreck unter die Franzosen verbreitet, daß sich dem verwundeten Chirurg Kühn,
als er von Gönnern nach Aruburg zurückhumpelte, im Walde beim Försterhause
fünf französische Husaren gefangen gaben. Ein pommerscher Dragoner sprengte
ganz allein gegen zwei Schwadronen Chasseurs an, hieb einen Ofstcicr vom
Pferde, verwundete einen andern, und zeigte der übrigen Gesellschaft mit einer
angemessenen Geberde den Rücken.

Als Uvrk ans dem Marsch zur Schlacht von Lützen bei Pegau sein Corps
vor dem König und Kaiser Alexander destliren ließ, stieg er ab, um sich zu mel¬
den. Kaiser Alexander kam ihm sogleich sehr freundlich entgegen, umarmte und
küßte ihn. Dann erst konnte er sich dem König nähern, der seine Meldung
empfing, aber dann sagte: „Ich habe Ihnen bereits das eiserne Krenz verliehen,
sehe aber, daß Sie es noch nicht tragen." Jork gab zur Antwort: So dank¬
bar er für Sr. Majestät Gnade sei, habe er doch für seine Person das Kreuz
nicht angelegt, weil ihm noch nicht Sr. Majestät Entscheidung über alle die¬
jenigen Ofstciere, Unterofficiere und Gemeine zugegangen sei, die er zu solcher
Auszeichnung vorzuschlagen für Pflicht gehalten, sondern erst über einen Theil
derselben; er werde auch das Kreuz nicht eher tragen, als bis Se. Majestät so
gnädig gewesen seien, es auch denen zu bewilligen, die sich sonst nach dem ge¬
machten Vorschlage gekränkt fühlen müßten. Nichts weniger als gnädig hört der
König diese Entgegnung: „Kann, doch unmöglich gleich Allen das eiserne Kreuz
bewilligen; haben mir überdies immer sehr Viele dazu vorgeschlagen." Aork stand
noch immer entblößten Hauptes vor dem Könige: er habe Sr. Majestät nur solche
Officiere und Soldaten vorgeschlagen, welche sich durch die größte Tapferkeit und
Todesverachtung solcher Auszeichnung würdig erwiesen hätten, und er habe' es
für seine Pflicht gehalten, so zu thun, ohne die Besorgniß, daß die Zahl so vor¬
züglicher Leute zu groß erscheinen könne. Dem peinlichen Gespräch gab zum Glück
das Hinzutreten des Kaisers eine andere Wendung. S.o berichtet Droysen nach
glaubwürdiger mündlicher Quelle. Ueberhaupt scheint Zjork oben viel Anstoß durch
den Eifer, mit dem er die Ansprüche seiner Truppen auf Auszeichnungen vertheidigte,
erregt zu haben, und die dadurch veranlaßten Häkeleien trugen viel dazu bei,
seine erbitterte Stimmung noch zu erhöhen.

Der Plan der Alliirten, Napoleon während seines Marsches von der Saale
nach Leipzig, wo seine Macht meilenweit aus einander gezogen war, zu schlagen,
war vortrefflich gedacht, mißrieth aber in der Ausführung gänzlich, theils wegen
mangelhafter Disposition Wittgenstein's beim ersten Angriff, theils weil die An¬
wesenheit der beiden Monarchen bei der Armee die Einheit des Oberbefehls gänz¬
lich vernichtete. In der Schlacht selbst commandirte, der Kaiser, d'Auvray (Wittgen¬
stein's Generalstabschef), Diebitsch, Blücher, Scharnhorst, ja, die Generaladjutanten


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[0455] Flucht wendeten. Gefangene wurden wenige — nur 86 — gemacht, indem man im Anfang des Gefechts keinen Pardon gab. Der kühne Streich hatte solchen Schreck unter die Franzosen verbreitet, daß sich dem verwundeten Chirurg Kühn, als er von Gönnern nach Aruburg zurückhumpelte, im Walde beim Försterhause fünf französische Husaren gefangen gaben. Ein pommerscher Dragoner sprengte ganz allein gegen zwei Schwadronen Chasseurs an, hieb einen Ofstcicr vom Pferde, verwundete einen andern, und zeigte der übrigen Gesellschaft mit einer angemessenen Geberde den Rücken. Als Uvrk ans dem Marsch zur Schlacht von Lützen bei Pegau sein Corps vor dem König und Kaiser Alexander destliren ließ, stieg er ab, um sich zu mel¬ den. Kaiser Alexander kam ihm sogleich sehr freundlich entgegen, umarmte und küßte ihn. Dann erst konnte er sich dem König nähern, der seine Meldung empfing, aber dann sagte: „Ich habe Ihnen bereits das eiserne Krenz verliehen, sehe aber, daß Sie es noch nicht tragen." Jork gab zur Antwort: So dank¬ bar er für Sr. Majestät Gnade sei, habe er doch für seine Person das Kreuz nicht angelegt, weil ihm noch nicht Sr. Majestät Entscheidung über alle die¬ jenigen Ofstciere, Unterofficiere und Gemeine zugegangen sei, die er zu solcher Auszeichnung vorzuschlagen für Pflicht gehalten, sondern erst über einen Theil derselben; er werde auch das Kreuz nicht eher tragen, als bis Se. Majestät so gnädig gewesen seien, es auch denen zu bewilligen, die sich sonst nach dem ge¬ machten Vorschlage gekränkt fühlen müßten. Nichts weniger als gnädig hört der König diese Entgegnung: „Kann, doch unmöglich gleich Allen das eiserne Kreuz bewilligen; haben mir überdies immer sehr Viele dazu vorgeschlagen." Aork stand noch immer entblößten Hauptes vor dem Könige: er habe Sr. Majestät nur solche Officiere und Soldaten vorgeschlagen, welche sich durch die größte Tapferkeit und Todesverachtung solcher Auszeichnung würdig erwiesen hätten, und er habe' es für seine Pflicht gehalten, so zu thun, ohne die Besorgniß, daß die Zahl so vor¬ züglicher Leute zu groß erscheinen könne. Dem peinlichen Gespräch gab zum Glück das Hinzutreten des Kaisers eine andere Wendung. S.o berichtet Droysen nach glaubwürdiger mündlicher Quelle. Ueberhaupt scheint Zjork oben viel Anstoß durch den Eifer, mit dem er die Ansprüche seiner Truppen auf Auszeichnungen vertheidigte, erregt zu haben, und die dadurch veranlaßten Häkeleien trugen viel dazu bei, seine erbitterte Stimmung noch zu erhöhen. Der Plan der Alliirten, Napoleon während seines Marsches von der Saale nach Leipzig, wo seine Macht meilenweit aus einander gezogen war, zu schlagen, war vortrefflich gedacht, mißrieth aber in der Ausführung gänzlich, theils wegen mangelhafter Disposition Wittgenstein's beim ersten Angriff, theils weil die An¬ wesenheit der beiden Monarchen bei der Armee die Einheit des Oberbefehls gänz¬ lich vernichtete. In der Schlacht selbst commandirte, der Kaiser, d'Auvray (Wittgen¬ stein's Generalstabschef), Diebitsch, Blücher, Scharnhorst, ja, die Generaladjutanten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/455>, abgerufen am 20.10.2024.