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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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welche der Verfasser an seinen Gestalten hat, so wie die schlesische Leichtigkeit,
mit welcher er die Sprache gebraucht, haben ihn zu Längen verführt, welche den
guten Eindruck, den der Roman seinem Hauptinhalt nach zu machen berechtigt
-ist, wesentlich beeinträchtigen.

Sein Inhalt bildet einen vollkommenen Gegensatz zu den "Vagabunden".
Er stellt Leben und Schicksale zweier schlesischen Familien dar, von denen die
eine, im Vordergründe stehende, dem kleinen Bürgerstande, die andere dem Land¬
adel angehört. Die Erzählung beginnt in den letzten Jahren des siebenjährigen
Krieges und zieht sich fort bis zum Jahre 18i8.

Die Summa des Inhalts jist folgende: Ein gutherziger Hagestolz, Herr
Magister Nätelius, Schullehrer in einer kleinen Stadt unweit Breslau, erkennt
in einem einarmigen preußischen Husaren, der mit seiner hübschen jungen Frau
und einem Säugling in größter Noth durch das Städtchen zieht, einen Ver¬
wandten und nimmt ihn zu sich; die Frau des Husaren wird Amme in der
Familie eines Gutsbesitzers, welcher die Hausfrau gestorben ist, weiß sich dort durch
ihre Tüchtigkeit Geltung zu verschaffen und begründet ein Verhältniß ihrer An¬
gehörigen zu dem adligen Hause, welches für die Zukunft ihrer Kinder verhäng-
nißvoll wird. Die Verschiedenheit der Religion und der politischen Sympathien
zwischen den Personen des bürgerlichen Haushalts -- Ratel protestantisch und
kaiserlich, Husar protestantisch und preußisch, Marie Anne katholisch und kaiserlich --
wird durch die Vortrefflichkeit der Charaktere und die kräftige. gute Laune des
Husaren immer glücklich überwunden. Ein kleiner Sohn des Husaren, Christian,
der Held des Romans, wird katholisch wie seine Mutter. Christian Lammfell ist
eine weiche, poetische, unendlich gutherzige Natur, voll Liebe, ohne große Körper-
nnd Geisteskraft, eine heilige Einfalt. Neben ihm wächst im Hause eine ältere
Schwester heran, zwei jüngere Schwestern sterben. Ihr Tod und der daraus
folgende des Vaters machen den sinnigen Knaben noch elegischer, als seine ur¬
sprüngliche Anlage ist, er wird nach Breslau auf das Gymnasium geschickt, um
später daselbst Medicin zu studiren. Dort erlebt er als Primaner den Schmerz,
daß ihn ein unwürdiger Freund hintergeht und ihm seine Stndiengelder stiehlt,
daß sein Mädchen, das er schüchtern, aber von ganzer Seele liebte, ihm untreu
wird, und daß seine ältere Schwester durch den Sohn jenes adeligen Hauses,
ihren Milchbruder., verführt wird und verschwindet. So kommt er schon als
Jüngling zu einer schwärmerischen Resignation, welche ihn antreibt, der Welt zu
entsagen und katholischer Prister zu werden. Er wird Kaplan, und wird als
Diener der Kirche in einem langen Erdenleben mit zwei Generationen jener ad¬
ligen Familie in vielfache Beziehungen gebracht. Er hat häufige Gelegenheit,
diesen gegenüber Böses mit Gutem zu vergelten, findet seine ältere Schwester als
Nonne kurz vor ihrem Tode wieder, und stirbt endlich als betagter Greis unter
den Stürmen des Jahres 48 als ein einfältiger christlicher Heiliger, fast als der


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welche der Verfasser an seinen Gestalten hat, so wie die schlesische Leichtigkeit,
mit welcher er die Sprache gebraucht, haben ihn zu Längen verführt, welche den
guten Eindruck, den der Roman seinem Hauptinhalt nach zu machen berechtigt
-ist, wesentlich beeinträchtigen.

Sein Inhalt bildet einen vollkommenen Gegensatz zu den „Vagabunden".
Er stellt Leben und Schicksale zweier schlesischen Familien dar, von denen die
eine, im Vordergründe stehende, dem kleinen Bürgerstande, die andere dem Land¬
adel angehört. Die Erzählung beginnt in den letzten Jahren des siebenjährigen
Krieges und zieht sich fort bis zum Jahre 18i8.

Die Summa des Inhalts jist folgende: Ein gutherziger Hagestolz, Herr
Magister Nätelius, Schullehrer in einer kleinen Stadt unweit Breslau, erkennt
in einem einarmigen preußischen Husaren, der mit seiner hübschen jungen Frau
und einem Säugling in größter Noth durch das Städtchen zieht, einen Ver¬
wandten und nimmt ihn zu sich; die Frau des Husaren wird Amme in der
Familie eines Gutsbesitzers, welcher die Hausfrau gestorben ist, weiß sich dort durch
ihre Tüchtigkeit Geltung zu verschaffen und begründet ein Verhältniß ihrer An¬
gehörigen zu dem adligen Hause, welches für die Zukunft ihrer Kinder verhäng-
nißvoll wird. Die Verschiedenheit der Religion und der politischen Sympathien
zwischen den Personen des bürgerlichen Haushalts — Ratel protestantisch und
kaiserlich, Husar protestantisch und preußisch, Marie Anne katholisch und kaiserlich —
wird durch die Vortrefflichkeit der Charaktere und die kräftige. gute Laune des
Husaren immer glücklich überwunden. Ein kleiner Sohn des Husaren, Christian,
der Held des Romans, wird katholisch wie seine Mutter. Christian Lammfell ist
eine weiche, poetische, unendlich gutherzige Natur, voll Liebe, ohne große Körper-
nnd Geisteskraft, eine heilige Einfalt. Neben ihm wächst im Hause eine ältere
Schwester heran, zwei jüngere Schwestern sterben. Ihr Tod und der daraus
folgende des Vaters machen den sinnigen Knaben noch elegischer, als seine ur¬
sprüngliche Anlage ist, er wird nach Breslau auf das Gymnasium geschickt, um
später daselbst Medicin zu studiren. Dort erlebt er als Primaner den Schmerz,
daß ihn ein unwürdiger Freund hintergeht und ihm seine Stndiengelder stiehlt,
daß sein Mädchen, das er schüchtern, aber von ganzer Seele liebte, ihm untreu
wird, und daß seine ältere Schwester durch den Sohn jenes adeligen Hauses,
ihren Milchbruder., verführt wird und verschwindet. So kommt er schon als
Jüngling zu einer schwärmerischen Resignation, welche ihn antreibt, der Welt zu
entsagen und katholischer Prister zu werden. Er wird Kaplan, und wird als
Diener der Kirche in einem langen Erdenleben mit zwei Generationen jener ad¬
ligen Familie in vielfache Beziehungen gebracht. Er hat häufige Gelegenheit,
diesen gegenüber Böses mit Gutem zu vergelten, findet seine ältere Schwester als
Nonne kurz vor ihrem Tode wieder, und stirbt endlich als betagter Greis unter
den Stürmen des Jahres 48 als ein einfältiger christlicher Heiliger, fast als der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/437>, abgerufen am 27.09.2024.