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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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gefallenes Pferd giebt immer einem Paar Dutzend Menschen anregende Beschäftigung,
und die Anderen, die nicht mit Hand anlegen können, haben immer einen guten,
Rath in der Tasche, als wenn dergleichen in London nur alle hundert Jahre
einmal vorkäme.

Jetzt können auch wir unsern Weg fortsetzen. In der Hälfte von Ludgate-
Hill, wo mitunter die prachtvollsten Kaufläden der City und die Schaufenster mit
den kostbarsten Stoffen und den schönsten indischen Shawls vollgefüllt sind, ist
ein kleiner Thorweg, den wir passiren, um zum Times-Office zu gelangen. Es
ist der Thorweg vom Glanz zum Schmuz, das Pförtchen, das uns in ein Laby¬
rinth der elendesten, holperigsten, stinkendsten und engsten Gassen von ganz London
führt. Wir stolpern über einige verdrießliche Bulldoggen, die sich gern auf dem
Pflaster sonnen mochten, wenn's heute nur Sonne gäbe, dann über einige schmuzige
Jungen, die Reif spielen, dann über einen Haufen Kehricht, und zweimal über
weggeworfene Orangenschalen, die sich breit machen, als lägen sie in Neapel.--
Endlich biegen wir in ein schmales Gäßchen nach links ein, und gelangen auf
einen kleinen Platz, der einem deutschen Hinterhofe zum Sprechen ähnlich ist. Auf
demselben stehen ^zwei einsame Bäume hinter einem Gitter, und vor uns zur
Linken steht auf einer Tafel "lines' (Mee" zu lesen. Wir sind am Ziele.

Ein Portier, fordert uns aus seiner Fensterloge unsre Karte ab, ein kleiner
Negerbnrsche zeigt uns den Weg, und jetzt ist es an uns, unsern Zauber aus¬
zuüben, um die Redaction der "Times" einen Tag lang zu belauschen; denn
daß irgend Jemandem frei gestattet sei, einen Blick in's Laboratorium zu werfen,
davon ist keine Rede. --

Es ist zehn Minuten nach eilf Uhr. Mr. Mowbray Morris, der Leiter
lMn"ssöi'), das Factotum, die Seele und zugleich der Souverain des Times-
Institutes, ist seit zehn Minuten in seinem Bureau. Uns hat das unglückliche
Deichselpferd aufgehalten. Doch es schadet nicht, wir haben nichts versäumt.

Also die Seele der Times sitzt bereits in ihrem Redactionsgehäuse. Wer
ist dieser Manager und was ist sein Amt?

Mr. Walter hat die "Times" gegründet; er hat sie größtentheils selbst
geleitet, er hat sie groß gezogen, hat sie organisirt und zu dem gemacht, was sie
heute ist. Er hat ihre jetzigen viel bewunderte" Druckmaschinen bauen lassen,
hat früher selbst allerlei Maschinen entworfen, hat sich daneben mit einer neuen
Setzmethode viel geplagt, hat auch selbst geschrieben, und wenn's Noth that, auch
am Setzkasten gestanden. Kurz, der alte Mr. Walter war ein Universaltalent
und ein bedeutendes obendrein. Aber der alte Walter ist seit 1847 todt. Seine
Familie erbte die Times, und der jetzige Mr. Walter ist Parlamentsmitglied und
Haupteigenthümer des Blattes, das ist Alles, was sich von ihm sagen läßt. Ob
die Walter'sche Familie alleinige Besitzerin der "Times" ist, können wir nicht mit
Bestimmtheit sagen. Jedenfalls bezieht sie den größten Theil des Gewinnes, und


gefallenes Pferd giebt immer einem Paar Dutzend Menschen anregende Beschäftigung,
und die Anderen, die nicht mit Hand anlegen können, haben immer einen guten,
Rath in der Tasche, als wenn dergleichen in London nur alle hundert Jahre
einmal vorkäme.

Jetzt können auch wir unsern Weg fortsetzen. In der Hälfte von Ludgate-
Hill, wo mitunter die prachtvollsten Kaufläden der City und die Schaufenster mit
den kostbarsten Stoffen und den schönsten indischen Shawls vollgefüllt sind, ist
ein kleiner Thorweg, den wir passiren, um zum Times-Office zu gelangen. Es
ist der Thorweg vom Glanz zum Schmuz, das Pförtchen, das uns in ein Laby¬
rinth der elendesten, holperigsten, stinkendsten und engsten Gassen von ganz London
führt. Wir stolpern über einige verdrießliche Bulldoggen, die sich gern auf dem
Pflaster sonnen mochten, wenn's heute nur Sonne gäbe, dann über einige schmuzige
Jungen, die Reif spielen, dann über einen Haufen Kehricht, und zweimal über
weggeworfene Orangenschalen, die sich breit machen, als lägen sie in Neapel.—
Endlich biegen wir in ein schmales Gäßchen nach links ein, und gelangen auf
einen kleinen Platz, der einem deutschen Hinterhofe zum Sprechen ähnlich ist. Auf
demselben stehen ^zwei einsame Bäume hinter einem Gitter, und vor uns zur
Linken steht auf einer Tafel „lines' (Mee" zu lesen. Wir sind am Ziele.

Ein Portier, fordert uns aus seiner Fensterloge unsre Karte ab, ein kleiner
Negerbnrsche zeigt uns den Weg, und jetzt ist es an uns, unsern Zauber aus¬
zuüben, um die Redaction der „Times" einen Tag lang zu belauschen; denn
daß irgend Jemandem frei gestattet sei, einen Blick in's Laboratorium zu werfen,
davon ist keine Rede. —

Es ist zehn Minuten nach eilf Uhr. Mr. Mowbray Morris, der Leiter
lMn»ssöi'), das Factotum, die Seele und zugleich der Souverain des Times-
Institutes, ist seit zehn Minuten in seinem Bureau. Uns hat das unglückliche
Deichselpferd aufgehalten. Doch es schadet nicht, wir haben nichts versäumt.

Also die Seele der Times sitzt bereits in ihrem Redactionsgehäuse. Wer
ist dieser Manager und was ist sein Amt?

Mr. Walter hat die „Times" gegründet; er hat sie größtentheils selbst
geleitet, er hat sie groß gezogen, hat sie organisirt und zu dem gemacht, was sie
heute ist. Er hat ihre jetzigen viel bewunderte» Druckmaschinen bauen lassen,
hat früher selbst allerlei Maschinen entworfen, hat sich daneben mit einer neuen
Setzmethode viel geplagt, hat auch selbst geschrieben, und wenn's Noth that, auch
am Setzkasten gestanden. Kurz, der alte Mr. Walter war ein Universaltalent
und ein bedeutendes obendrein. Aber der alte Walter ist seit 1847 todt. Seine
Familie erbte die Times, und der jetzige Mr. Walter ist Parlamentsmitglied und
Haupteigenthümer des Blattes, das ist Alles, was sich von ihm sagen läßt. Ob
die Walter'sche Familie alleinige Besitzerin der „Times" ist, können wir nicht mit
Bestimmtheit sagen. Jedenfalls bezieht sie den größten Theil des Gewinnes, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/412>, abgerufen am 20.10.2024.