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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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so kann man sich der Hoffnung hingeben, mit der Zeit das ganze Volksschul¬
wesen ans eine, den jetzigen Anforderungen besser entsprechende Stufe gebracht
zu sehen.

Die höheren Unterrichtsanstalten in Sardinien sind vortrefflich und nehmen
einen ungleich höhern Rang wie die in allen übrigen italienischen Staaten ein.
Den Jünglingen ans den k. k. östreichischen Provinzen ist natürlich jetzt der
Besuch der sardinischen Lehranstalten und Universitäten auf das Strengste unter¬
sagt, wäre dies nicht der Fall, so würden sie fast ohne Ausnahme dieselben be¬
suchen. Auch einige vortreffliche militairische Schulen, ganz nach bewährten
französischen Mustern eingerichtet, sind in den letzten Jahren in Sardinien er¬
öffnet worden.

Für die Belebung vou Handel und Industrie wendet die umsichtige sardinische
Regierung alle Kräfte an, und ihre Bemühungen sind bis jetzt von dem besten
Erfolg begleitet. Besonders für Straßenbauten und Eisenbahnanlagen geschieht,
trotz der noch nicht getilgten Kriegskosten, sehr viel. Ist erst die großartige
Eisenbahn, die Genua über Turin mit den schweizerischen Eisenbahnen bis nach
Basel hinauf verbindet, vollendet, so wird dann, wenn Friede bleibt, trotz der un¬
geheuren Terrainschwierigkeiten, in einigen Jahreli eine der Hauptstraßen des
Weltverkehrs von England nach dem Orient, durch sardinisches Gebiet, von
Genua über Basel und Cöln nach Ostende, der leichteste und kürzeste Eisenbahn¬
weg zwischen der Nordsee und dem Mittelmeer sein. Auch der gesammte schwei¬
zerische und deutsche Handel, welcher durch die Hamburger und Bremer oder
Berliner und Leipziger Bahnen aus die Frankfurt-Basel-Gcnuaer Bahn geführt
wird, findet auf dieser dann den kürzesten Weg nach ,dem größten Theil des
Orients. Die Vortheile, welche das bereits durch seine Lage äußerst begünstigte
Genua vou dieser Verbindung ziehen wird, sind außerordentlich. Schon jetzt herrscht
in Genua eine ungemein rege Handelsthätigkeit, die erfreulich von dem öden,
immer mehr verarmenden Venedig absticht.

Dies ist in flüchtigen Umrissen das Bild, welches Sardinien, der einzige
constitutionell regierte Staat Italiens, jetzt zeigt. Mit Stolz und Befriedigung
können die Anhänger des constitutionellen Princips darauf hinweisen, welche
Fortschritte er durch Hilfe seiner modernen Verfassung gemacht, und wie er durch
dieselbe eine Kraft und eine Selbstständigkeit erlaugt hat, deren sich keiner seiner
italienischen Nachbarn erfreut. Allerdings haben sich noch nicht alle Elemente des
Staates mit den neuen Zuständen verschmolzen, aber auch sie werden sich einfügen,
wenn nicht -- was wir nicht hoffen wollen -- übermächtige Stürme von Außen
das so glücklich begonnene Gebäude vor seiner Vollendung umstürzen.




Grenzboten. IV. -I8L2.

so kann man sich der Hoffnung hingeben, mit der Zeit das ganze Volksschul¬
wesen ans eine, den jetzigen Anforderungen besser entsprechende Stufe gebracht
zu sehen.

Die höheren Unterrichtsanstalten in Sardinien sind vortrefflich und nehmen
einen ungleich höhern Rang wie die in allen übrigen italienischen Staaten ein.
Den Jünglingen ans den k. k. östreichischen Provinzen ist natürlich jetzt der
Besuch der sardinischen Lehranstalten und Universitäten auf das Strengste unter¬
sagt, wäre dies nicht der Fall, so würden sie fast ohne Ausnahme dieselben be¬
suchen. Auch einige vortreffliche militairische Schulen, ganz nach bewährten
französischen Mustern eingerichtet, sind in den letzten Jahren in Sardinien er¬
öffnet worden.

Für die Belebung vou Handel und Industrie wendet die umsichtige sardinische
Regierung alle Kräfte an, und ihre Bemühungen sind bis jetzt von dem besten
Erfolg begleitet. Besonders für Straßenbauten und Eisenbahnanlagen geschieht,
trotz der noch nicht getilgten Kriegskosten, sehr viel. Ist erst die großartige
Eisenbahn, die Genua über Turin mit den schweizerischen Eisenbahnen bis nach
Basel hinauf verbindet, vollendet, so wird dann, wenn Friede bleibt, trotz der un¬
geheuren Terrainschwierigkeiten, in einigen Jahreli eine der Hauptstraßen des
Weltverkehrs von England nach dem Orient, durch sardinisches Gebiet, von
Genua über Basel und Cöln nach Ostende, der leichteste und kürzeste Eisenbahn¬
weg zwischen der Nordsee und dem Mittelmeer sein. Auch der gesammte schwei¬
zerische und deutsche Handel, welcher durch die Hamburger und Bremer oder
Berliner und Leipziger Bahnen aus die Frankfurt-Basel-Gcnuaer Bahn geführt
wird, findet auf dieser dann den kürzesten Weg nach ,dem größten Theil des
Orients. Die Vortheile, welche das bereits durch seine Lage äußerst begünstigte
Genua vou dieser Verbindung ziehen wird, sind außerordentlich. Schon jetzt herrscht
in Genua eine ungemein rege Handelsthätigkeit, die erfreulich von dem öden,
immer mehr verarmenden Venedig absticht.

Dies ist in flüchtigen Umrissen das Bild, welches Sardinien, der einzige
constitutionell regierte Staat Italiens, jetzt zeigt. Mit Stolz und Befriedigung
können die Anhänger des constitutionellen Princips darauf hinweisen, welche
Fortschritte er durch Hilfe seiner modernen Verfassung gemacht, und wie er durch
dieselbe eine Kraft und eine Selbstständigkeit erlaugt hat, deren sich keiner seiner
italienischen Nachbarn erfreut. Allerdings haben sich noch nicht alle Elemente des
Staates mit den neuen Zuständen verschmolzen, aber auch sie werden sich einfügen,
wenn nicht — was wir nicht hoffen wollen — übermächtige Stürme von Außen
das so glücklich begonnene Gebäude vor seiner Vollendung umstürzen.




Grenzboten. IV. -I8L2.
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[0395] so kann man sich der Hoffnung hingeben, mit der Zeit das ganze Volksschul¬ wesen ans eine, den jetzigen Anforderungen besser entsprechende Stufe gebracht zu sehen. Die höheren Unterrichtsanstalten in Sardinien sind vortrefflich und nehmen einen ungleich höhern Rang wie die in allen übrigen italienischen Staaten ein. Den Jünglingen ans den k. k. östreichischen Provinzen ist natürlich jetzt der Besuch der sardinischen Lehranstalten und Universitäten auf das Strengste unter¬ sagt, wäre dies nicht der Fall, so würden sie fast ohne Ausnahme dieselben be¬ suchen. Auch einige vortreffliche militairische Schulen, ganz nach bewährten französischen Mustern eingerichtet, sind in den letzten Jahren in Sardinien er¬ öffnet worden. Für die Belebung vou Handel und Industrie wendet die umsichtige sardinische Regierung alle Kräfte an, und ihre Bemühungen sind bis jetzt von dem besten Erfolg begleitet. Besonders für Straßenbauten und Eisenbahnanlagen geschieht, trotz der noch nicht getilgten Kriegskosten, sehr viel. Ist erst die großartige Eisenbahn, die Genua über Turin mit den schweizerischen Eisenbahnen bis nach Basel hinauf verbindet, vollendet, so wird dann, wenn Friede bleibt, trotz der un¬ geheuren Terrainschwierigkeiten, in einigen Jahreli eine der Hauptstraßen des Weltverkehrs von England nach dem Orient, durch sardinisches Gebiet, von Genua über Basel und Cöln nach Ostende, der leichteste und kürzeste Eisenbahn¬ weg zwischen der Nordsee und dem Mittelmeer sein. Auch der gesammte schwei¬ zerische und deutsche Handel, welcher durch die Hamburger und Bremer oder Berliner und Leipziger Bahnen aus die Frankfurt-Basel-Gcnuaer Bahn geführt wird, findet auf dieser dann den kürzesten Weg nach ,dem größten Theil des Orients. Die Vortheile, welche das bereits durch seine Lage äußerst begünstigte Genua vou dieser Verbindung ziehen wird, sind außerordentlich. Schon jetzt herrscht in Genua eine ungemein rege Handelsthätigkeit, die erfreulich von dem öden, immer mehr verarmenden Venedig absticht. Dies ist in flüchtigen Umrissen das Bild, welches Sardinien, der einzige constitutionell regierte Staat Italiens, jetzt zeigt. Mit Stolz und Befriedigung können die Anhänger des constitutionellen Princips darauf hinweisen, welche Fortschritte er durch Hilfe seiner modernen Verfassung gemacht, und wie er durch dieselbe eine Kraft und eine Selbstständigkeit erlaugt hat, deren sich keiner seiner italienischen Nachbarn erfreut. Allerdings haben sich noch nicht alle Elemente des Staates mit den neuen Zuständen verschmolzen, aber auch sie werden sich einfügen, wenn nicht — was wir nicht hoffen wollen — übermächtige Stürme von Außen das so glücklich begonnene Gebäude vor seiner Vollendung umstürzen. Grenzboten. IV. -I8L2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/395>, abgerufen am 27.09.2024.