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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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mit allen übrigen auswärtigen Staaten. Natürlich wurde solch unbändiges Be¬
tragen von den vielen Gegnern des constitutionellen Systems mit Freuden gesehen
und nach Kräften ausgebeutet, und sie wußten mit ihren übertriebenen Darstellungen
sehr geschickt aus ängstliche und ruheliebende Gemüther zu wirken. Sie nannten
diese Auswüchse schadenfroh die nothwendigen Früchte des Systems. Das zügel¬
lose Treiben vieler unbesonnener Freiheitöschwärmer verwickelte zuletzt das sardi-
nische Ministerium in so mannichfache Verlegenheiten nach Innen und Außen hin,
daß es sich entschließen mußte, demselben ein Ende zu machen. Einzelne der gar
zu radicalen Blätter verurtheilten die Gerichte wiederholt zu so empfindlichen
Strafen, daß sie es vorzogen, entweder einzugehen, oder doch ihren Ton den
bestehenden Verhältnissen mehr anzupassen. Auch von den unruhigsten Flücht¬
lingen haben mehrere nothgedrungen oder freiwillig jetzt das Land, dem sie manche
Verlegenheiten bereiteten, verlassen. So ist im Allgemeinen die Haltung der
sardinischen Presse gegenwärtig eine ruhig gemäßigte und der allmählichen ge¬
deihlichen Entwickelung eines aufrichtigen constitutionellen Systems förderliche.

Haben übrigens manche Flüchtlinge dem Staate durch ihr unruhiges Be¬
nehmen Ungelegenheiten genug gemacht, und erfordern andere anch vielfache Unter¬
stützungen, um vor Maugel gerettet zu werden, so hat doch Sardinien von den¬
selben im Allgemeinen weit "großem Vortheil wie Nachtheil gehabt. Es befinde"
sich unter diesen nach Sardinien Ausgewanderten, besonders unter den Lombarden,
eine Menge wohlhabender und intelligenter Familien, die jedem Staate, in dem
sie eine neue Heimath suchten, nur Vortheil bringen konnten. Große Ankäufe
im Grundbesitz sind von denselben schon gemacht, und namentlich auch mehrere
bedeutende industrielle Unternehmungen begonnen worden. Besonders Turm,
wo mehrere Hunderte solcher Flüchtlinge nud darunter mit die reichsten Edel¬
leute der Lombardei wohnen, hat in pecuuiairer Hinsicht sehr dadurch ge¬
wonnen. Auch aus anderen Staaten Italiens fühlen sich viele Wohlhabende
von den geordneten Zuständen Sardiniens angezogen, und verlegen ihren Wohnsitz
dorthin.

Ein neuer und sehr gefährlicher Feind der gedeihlichen Entwickelung des
constitutionellen Systems in Sardinien ist demselben möglicher Weise durch die
Staatsveräuderuug in Frankreich erstanden. Bis jetzt ist man zwar noch nicht
zum offenen Augriff von dieser Seite geschritten, aber was in Belgien geschehen
ist, prophezeiht nichts Gutes. Es ist auch uicht zu läugnen, daß man von fran¬
zösischer Seite das constitutionelle System in Sardinien leichter bekämpfen kann,
als von östreichischer. Gegen Oestreich hat der sardinische Constitutionalismus in
dem Nationalhaß einen mächtigen Bundesgenosse", der gegen Frankreich ganz
wegfällt. Giebt es doch im sardinischen Staate, besonders in Savoyen, eine
gar nicht schwache Partei, die eine Einverleibung oder ein Protectorat durch
Frankreich sehr geriv sehen wurde. Auch die sardinischen Regimenter würden sich


mit allen übrigen auswärtigen Staaten. Natürlich wurde solch unbändiges Be¬
tragen von den vielen Gegnern des constitutionellen Systems mit Freuden gesehen
und nach Kräften ausgebeutet, und sie wußten mit ihren übertriebenen Darstellungen
sehr geschickt aus ängstliche und ruheliebende Gemüther zu wirken. Sie nannten
diese Auswüchse schadenfroh die nothwendigen Früchte des Systems. Das zügel¬
lose Treiben vieler unbesonnener Freiheitöschwärmer verwickelte zuletzt das sardi-
nische Ministerium in so mannichfache Verlegenheiten nach Innen und Außen hin,
daß es sich entschließen mußte, demselben ein Ende zu machen. Einzelne der gar
zu radicalen Blätter verurtheilten die Gerichte wiederholt zu so empfindlichen
Strafen, daß sie es vorzogen, entweder einzugehen, oder doch ihren Ton den
bestehenden Verhältnissen mehr anzupassen. Auch von den unruhigsten Flücht¬
lingen haben mehrere nothgedrungen oder freiwillig jetzt das Land, dem sie manche
Verlegenheiten bereiteten, verlassen. So ist im Allgemeinen die Haltung der
sardinischen Presse gegenwärtig eine ruhig gemäßigte und der allmählichen ge¬
deihlichen Entwickelung eines aufrichtigen constitutionellen Systems förderliche.

Haben übrigens manche Flüchtlinge dem Staate durch ihr unruhiges Be¬
nehmen Ungelegenheiten genug gemacht, und erfordern andere anch vielfache Unter¬
stützungen, um vor Maugel gerettet zu werden, so hat doch Sardinien von den¬
selben im Allgemeinen weit «großem Vortheil wie Nachtheil gehabt. Es befinde»
sich unter diesen nach Sardinien Ausgewanderten, besonders unter den Lombarden,
eine Menge wohlhabender und intelligenter Familien, die jedem Staate, in dem
sie eine neue Heimath suchten, nur Vortheil bringen konnten. Große Ankäufe
im Grundbesitz sind von denselben schon gemacht, und namentlich auch mehrere
bedeutende industrielle Unternehmungen begonnen worden. Besonders Turm,
wo mehrere Hunderte solcher Flüchtlinge nud darunter mit die reichsten Edel¬
leute der Lombardei wohnen, hat in pecuuiairer Hinsicht sehr dadurch ge¬
wonnen. Auch aus anderen Staaten Italiens fühlen sich viele Wohlhabende
von den geordneten Zuständen Sardiniens angezogen, und verlegen ihren Wohnsitz
dorthin.

Ein neuer und sehr gefährlicher Feind der gedeihlichen Entwickelung des
constitutionellen Systems in Sardinien ist demselben möglicher Weise durch die
Staatsveräuderuug in Frankreich erstanden. Bis jetzt ist man zwar noch nicht
zum offenen Augriff von dieser Seite geschritten, aber was in Belgien geschehen
ist, prophezeiht nichts Gutes. Es ist auch uicht zu läugnen, daß man von fran¬
zösischer Seite das constitutionelle System in Sardinien leichter bekämpfen kann,
als von östreichischer. Gegen Oestreich hat der sardinische Constitutionalismus in
dem Nationalhaß einen mächtigen Bundesgenosse«, der gegen Frankreich ganz
wegfällt. Giebt es doch im sardinischen Staate, besonders in Savoyen, eine
gar nicht schwache Partei, die eine Einverleibung oder ein Protectorat durch
Frankreich sehr geriv sehen wurde. Auch die sardinischen Regimenter würden sich


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[0393] mit allen übrigen auswärtigen Staaten. Natürlich wurde solch unbändiges Be¬ tragen von den vielen Gegnern des constitutionellen Systems mit Freuden gesehen und nach Kräften ausgebeutet, und sie wußten mit ihren übertriebenen Darstellungen sehr geschickt aus ängstliche und ruheliebende Gemüther zu wirken. Sie nannten diese Auswüchse schadenfroh die nothwendigen Früchte des Systems. Das zügel¬ lose Treiben vieler unbesonnener Freiheitöschwärmer verwickelte zuletzt das sardi- nische Ministerium in so mannichfache Verlegenheiten nach Innen und Außen hin, daß es sich entschließen mußte, demselben ein Ende zu machen. Einzelne der gar zu radicalen Blätter verurtheilten die Gerichte wiederholt zu so empfindlichen Strafen, daß sie es vorzogen, entweder einzugehen, oder doch ihren Ton den bestehenden Verhältnissen mehr anzupassen. Auch von den unruhigsten Flücht¬ lingen haben mehrere nothgedrungen oder freiwillig jetzt das Land, dem sie manche Verlegenheiten bereiteten, verlassen. So ist im Allgemeinen die Haltung der sardinischen Presse gegenwärtig eine ruhig gemäßigte und der allmählichen ge¬ deihlichen Entwickelung eines aufrichtigen constitutionellen Systems förderliche. Haben übrigens manche Flüchtlinge dem Staate durch ihr unruhiges Be¬ nehmen Ungelegenheiten genug gemacht, und erfordern andere anch vielfache Unter¬ stützungen, um vor Maugel gerettet zu werden, so hat doch Sardinien von den¬ selben im Allgemeinen weit «großem Vortheil wie Nachtheil gehabt. Es befinde» sich unter diesen nach Sardinien Ausgewanderten, besonders unter den Lombarden, eine Menge wohlhabender und intelligenter Familien, die jedem Staate, in dem sie eine neue Heimath suchten, nur Vortheil bringen konnten. Große Ankäufe im Grundbesitz sind von denselben schon gemacht, und namentlich auch mehrere bedeutende industrielle Unternehmungen begonnen worden. Besonders Turm, wo mehrere Hunderte solcher Flüchtlinge nud darunter mit die reichsten Edel¬ leute der Lombardei wohnen, hat in pecuuiairer Hinsicht sehr dadurch ge¬ wonnen. Auch aus anderen Staaten Italiens fühlen sich viele Wohlhabende von den geordneten Zuständen Sardiniens angezogen, und verlegen ihren Wohnsitz dorthin. Ein neuer und sehr gefährlicher Feind der gedeihlichen Entwickelung des constitutionellen Systems in Sardinien ist demselben möglicher Weise durch die Staatsveräuderuug in Frankreich erstanden. Bis jetzt ist man zwar noch nicht zum offenen Augriff von dieser Seite geschritten, aber was in Belgien geschehen ist, prophezeiht nichts Gutes. Es ist auch uicht zu läugnen, daß man von fran¬ zösischer Seite das constitutionelle System in Sardinien leichter bekämpfen kann, als von östreichischer. Gegen Oestreich hat der sardinische Constitutionalismus in dem Nationalhaß einen mächtigen Bundesgenosse«, der gegen Frankreich ganz wegfällt. Giebt es doch im sardinischen Staate, besonders in Savoyen, eine gar nicht schwache Partei, die eine Einverleibung oder ein Protectorat durch Frankreich sehr geriv sehen wurde. Auch die sardinischen Regimenter würden sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/393>, abgerufen am 27.09.2024.