Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den einzelnen Geistlichen oft fühlen, wie wenig sie an deren aufrichtige Gesinnung
für den Kaiserstaat glauben, trotzdem daß äußerlich Alles in der besten Harmonie
zu sein scheint, und Hochämter und Processionen gemeinschaftlich mit einander
gefeiert werden.

Trotz aller angeborenen Abneigung gegen den Constitutionalismus lernt daher
die sardinische Geistlichkeit immer mehr einsehen, daß derselbe besser sei als eine
Militairdictatur, besonders wenn solche wie im Kirchenstaat und Toscana von
Oestreich ausgeübt werden sollte; daß man aber den Constitutionalismus in
Sardinien nicht ohne fremde Militairhilfe stürzen kann, weiß man auch, und so
sängt in letzterer Zeit der größere Theil des Klerus an, ihn als ein für jetzt
wenigstens unabänderliches Uebel zu ertragen, und dem größern, dem Einmarsch
fremder Truppen vorzuziehen. Aber so viel Terrain hat das constitutionelle
Princip noch nicht erobert, daß nicht von manchen, besonders höheren Geistlichen
im Geheimen noch ziemlich stark gegen dasselbe gewühlt würde. Dieser Theil
des Klerus ist gerade derjenige seiner Gegner, der ihm für die Zukunft die
größte Gefahr bringen dürfte.

Ein anderer Feind des Constitutionalismus in Sardinien ist ein Theil des
Adels. Auch dieser mußte manche Privilegien aufgeben, und ist daher mit
dem neuen Zustand der Dinge wenig zufrieden. Aber auch der sardinische Edelmann
fühlt sich wie der Geistliche vor Allem als Italiener, und dieses stolze National¬
gefühl hält ihn ab, sich Bestrebungen anzuschließen, die man in Wien und Mai¬
land gern sehen würde. So ersetzt auch hier der Haß gegen Oestreich, was die
Liebe zum constitutionellen Princip nicht bewirken kann. Einzelne wenige vor¬
nehme Edelleute, z. B. Marquis Pallavicini, ein Genueser, die diesen allgemei¬
nen Haß ihrer Standesgenossen gegen Oestreich nicht' theilten, sollen sich
deshalb so unbehaglich unter denselben befunden haben, daß sie eine Auswanderung
vorzogen. Auch am Königshofe in Turm selbst soll diesen Herren gerade keine all¬
zu große Gunst mehr blühen, denn auch der jetzige König Sardiniens ist vor
Allem ein Italiener. Dieses Nationalgefühl bricht auch den Intriguen, die am
in der Hofcotterie sonst vielfach gegen den Constitutionalismus versuchen würde,
größtenteils ihre Spitze ab. Im Kleinen und gegen einzelne gar zu eifrige
Persönlichkeiten intriguirt man dort wol und zwar oft mit vielem Glück, das Princ.ip
selbst läßt man aber unangefochten, weil man die zu seiner etwaigen Unter¬
drückung nothwendige k. k. Hilft mehr als alles Uebrige haßt.

Ueber die Haltung des Heeres haben wir uus im Wesentlichen schon in
unsrem ersten Artikel ausgesprochen. Auch hier vermindert die Abneigung gegen
Oestreich gar sehr diejenige, welche man sonst vielleicht vielfach gegen die neue,
ungewohnte Constitution hegen würde. Dazu kommt, daß die Kammern in
Turin, mit sehr geringen Ausnahmen, umsichtig geung find, die Wichtigkeit, ja
selbst Unentbehrlichkeit eines tüchtigen Heeres für den sardinischen Staat armer-


den einzelnen Geistlichen oft fühlen, wie wenig sie an deren aufrichtige Gesinnung
für den Kaiserstaat glauben, trotzdem daß äußerlich Alles in der besten Harmonie
zu sein scheint, und Hochämter und Processionen gemeinschaftlich mit einander
gefeiert werden.

Trotz aller angeborenen Abneigung gegen den Constitutionalismus lernt daher
die sardinische Geistlichkeit immer mehr einsehen, daß derselbe besser sei als eine
Militairdictatur, besonders wenn solche wie im Kirchenstaat und Toscana von
Oestreich ausgeübt werden sollte; daß man aber den Constitutionalismus in
Sardinien nicht ohne fremde Militairhilfe stürzen kann, weiß man auch, und so
sängt in letzterer Zeit der größere Theil des Klerus an, ihn als ein für jetzt
wenigstens unabänderliches Uebel zu ertragen, und dem größern, dem Einmarsch
fremder Truppen vorzuziehen. Aber so viel Terrain hat das constitutionelle
Princip noch nicht erobert, daß nicht von manchen, besonders höheren Geistlichen
im Geheimen noch ziemlich stark gegen dasselbe gewühlt würde. Dieser Theil
des Klerus ist gerade derjenige seiner Gegner, der ihm für die Zukunft die
größte Gefahr bringen dürfte.

Ein anderer Feind des Constitutionalismus in Sardinien ist ein Theil des
Adels. Auch dieser mußte manche Privilegien aufgeben, und ist daher mit
dem neuen Zustand der Dinge wenig zufrieden. Aber auch der sardinische Edelmann
fühlt sich wie der Geistliche vor Allem als Italiener, und dieses stolze National¬
gefühl hält ihn ab, sich Bestrebungen anzuschließen, die man in Wien und Mai¬
land gern sehen würde. So ersetzt auch hier der Haß gegen Oestreich, was die
Liebe zum constitutionellen Princip nicht bewirken kann. Einzelne wenige vor¬
nehme Edelleute, z. B. Marquis Pallavicini, ein Genueser, die diesen allgemei¬
nen Haß ihrer Standesgenossen gegen Oestreich nicht' theilten, sollen sich
deshalb so unbehaglich unter denselben befunden haben, daß sie eine Auswanderung
vorzogen. Auch am Königshofe in Turm selbst soll diesen Herren gerade keine all¬
zu große Gunst mehr blühen, denn auch der jetzige König Sardiniens ist vor
Allem ein Italiener. Dieses Nationalgefühl bricht auch den Intriguen, die am
in der Hofcotterie sonst vielfach gegen den Constitutionalismus versuchen würde,
größtenteils ihre Spitze ab. Im Kleinen und gegen einzelne gar zu eifrige
Persönlichkeiten intriguirt man dort wol und zwar oft mit vielem Glück, das Princ.ip
selbst läßt man aber unangefochten, weil man die zu seiner etwaigen Unter¬
drückung nothwendige k. k. Hilft mehr als alles Uebrige haßt.

Ueber die Haltung des Heeres haben wir uus im Wesentlichen schon in
unsrem ersten Artikel ausgesprochen. Auch hier vermindert die Abneigung gegen
Oestreich gar sehr diejenige, welche man sonst vielleicht vielfach gegen die neue,
ungewohnte Constitution hegen würde. Dazu kommt, daß die Kammern in
Turin, mit sehr geringen Ausnahmen, umsichtig geung find, die Wichtigkeit, ja
selbst Unentbehrlichkeit eines tüchtigen Heeres für den sardinischen Staat armer-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95372"/>
            <p xml:id="ID_1120" prev="#ID_1119"> den einzelnen Geistlichen oft fühlen, wie wenig sie an deren aufrichtige Gesinnung<lb/>
für den Kaiserstaat glauben, trotzdem daß äußerlich Alles in der besten Harmonie<lb/>
zu sein scheint, und Hochämter und Processionen gemeinschaftlich mit einander<lb/>
gefeiert werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1121"> Trotz aller angeborenen Abneigung gegen den Constitutionalismus lernt daher<lb/>
die sardinische Geistlichkeit immer mehr einsehen, daß derselbe besser sei als eine<lb/>
Militairdictatur, besonders wenn solche wie im Kirchenstaat und Toscana von<lb/>
Oestreich ausgeübt werden sollte; daß man aber den Constitutionalismus in<lb/>
Sardinien nicht ohne fremde Militairhilfe stürzen kann, weiß man auch, und so<lb/>
sängt in letzterer Zeit der größere Theil des Klerus an, ihn als ein für jetzt<lb/>
wenigstens unabänderliches Uebel zu ertragen, und dem größern, dem Einmarsch<lb/>
fremder Truppen vorzuziehen. Aber so viel Terrain hat das constitutionelle<lb/>
Princip noch nicht erobert, daß nicht von manchen, besonders höheren Geistlichen<lb/>
im Geheimen noch ziemlich stark gegen dasselbe gewühlt würde. Dieser Theil<lb/>
des Klerus ist gerade derjenige seiner Gegner, der ihm für die Zukunft die<lb/>
größte Gefahr bringen dürfte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1122"> Ein anderer Feind des Constitutionalismus in Sardinien ist ein Theil des<lb/>
Adels. Auch dieser mußte manche Privilegien aufgeben, und ist daher mit<lb/>
dem neuen Zustand der Dinge wenig zufrieden. Aber auch der sardinische Edelmann<lb/>
fühlt sich wie der Geistliche vor Allem als Italiener, und dieses stolze National¬<lb/>
gefühl hält ihn ab, sich Bestrebungen anzuschließen, die man in Wien und Mai¬<lb/>
land gern sehen würde. So ersetzt auch hier der Haß gegen Oestreich, was die<lb/>
Liebe zum constitutionellen Princip nicht bewirken kann. Einzelne wenige vor¬<lb/>
nehme Edelleute, z. B. Marquis Pallavicini, ein Genueser, die diesen allgemei¬<lb/>
nen Haß ihrer Standesgenossen gegen Oestreich nicht' theilten, sollen sich<lb/>
deshalb so unbehaglich unter denselben befunden haben, daß sie eine Auswanderung<lb/>
vorzogen. Auch am Königshofe in Turm selbst soll diesen Herren gerade keine all¬<lb/>
zu große Gunst mehr blühen, denn auch der jetzige König Sardiniens ist vor<lb/>
Allem ein Italiener. Dieses Nationalgefühl bricht auch den Intriguen, die am<lb/>
in der Hofcotterie sonst vielfach gegen den Constitutionalismus versuchen würde,<lb/>
größtenteils ihre Spitze ab. Im Kleinen und gegen einzelne gar zu eifrige<lb/>
Persönlichkeiten intriguirt man dort wol und zwar oft mit vielem Glück, das Princ.ip<lb/>
selbst läßt man aber unangefochten, weil man die zu seiner etwaigen Unter¬<lb/>
drückung nothwendige k. k. Hilft mehr als alles Uebrige haßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1123" next="#ID_1124"> Ueber die Haltung des Heeres haben wir uus im Wesentlichen schon in<lb/>
unsrem ersten Artikel ausgesprochen. Auch hier vermindert die Abneigung gegen<lb/>
Oestreich gar sehr diejenige, welche man sonst vielleicht vielfach gegen die neue,<lb/>
ungewohnte Constitution hegen würde. Dazu kommt, daß die Kammern in<lb/>
Turin, mit sehr geringen Ausnahmen, umsichtig geung find, die Wichtigkeit, ja<lb/>
selbst Unentbehrlichkeit eines tüchtigen Heeres für den sardinischen Staat armer-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0391] den einzelnen Geistlichen oft fühlen, wie wenig sie an deren aufrichtige Gesinnung für den Kaiserstaat glauben, trotzdem daß äußerlich Alles in der besten Harmonie zu sein scheint, und Hochämter und Processionen gemeinschaftlich mit einander gefeiert werden. Trotz aller angeborenen Abneigung gegen den Constitutionalismus lernt daher die sardinische Geistlichkeit immer mehr einsehen, daß derselbe besser sei als eine Militairdictatur, besonders wenn solche wie im Kirchenstaat und Toscana von Oestreich ausgeübt werden sollte; daß man aber den Constitutionalismus in Sardinien nicht ohne fremde Militairhilfe stürzen kann, weiß man auch, und so sängt in letzterer Zeit der größere Theil des Klerus an, ihn als ein für jetzt wenigstens unabänderliches Uebel zu ertragen, und dem größern, dem Einmarsch fremder Truppen vorzuziehen. Aber so viel Terrain hat das constitutionelle Princip noch nicht erobert, daß nicht von manchen, besonders höheren Geistlichen im Geheimen noch ziemlich stark gegen dasselbe gewühlt würde. Dieser Theil des Klerus ist gerade derjenige seiner Gegner, der ihm für die Zukunft die größte Gefahr bringen dürfte. Ein anderer Feind des Constitutionalismus in Sardinien ist ein Theil des Adels. Auch dieser mußte manche Privilegien aufgeben, und ist daher mit dem neuen Zustand der Dinge wenig zufrieden. Aber auch der sardinische Edelmann fühlt sich wie der Geistliche vor Allem als Italiener, und dieses stolze National¬ gefühl hält ihn ab, sich Bestrebungen anzuschließen, die man in Wien und Mai¬ land gern sehen würde. So ersetzt auch hier der Haß gegen Oestreich, was die Liebe zum constitutionellen Princip nicht bewirken kann. Einzelne wenige vor¬ nehme Edelleute, z. B. Marquis Pallavicini, ein Genueser, die diesen allgemei¬ nen Haß ihrer Standesgenossen gegen Oestreich nicht' theilten, sollen sich deshalb so unbehaglich unter denselben befunden haben, daß sie eine Auswanderung vorzogen. Auch am Königshofe in Turm selbst soll diesen Herren gerade keine all¬ zu große Gunst mehr blühen, denn auch der jetzige König Sardiniens ist vor Allem ein Italiener. Dieses Nationalgefühl bricht auch den Intriguen, die am in der Hofcotterie sonst vielfach gegen den Constitutionalismus versuchen würde, größtenteils ihre Spitze ab. Im Kleinen und gegen einzelne gar zu eifrige Persönlichkeiten intriguirt man dort wol und zwar oft mit vielem Glück, das Princ.ip selbst läßt man aber unangefochten, weil man die zu seiner etwaigen Unter¬ drückung nothwendige k. k. Hilft mehr als alles Uebrige haßt. Ueber die Haltung des Heeres haben wir uus im Wesentlichen schon in unsrem ersten Artikel ausgesprochen. Auch hier vermindert die Abneigung gegen Oestreich gar sehr diejenige, welche man sonst vielleicht vielfach gegen die neue, ungewohnte Constitution hegen würde. Dazu kommt, daß die Kammern in Turin, mit sehr geringen Ausnahmen, umsichtig geung find, die Wichtigkeit, ja selbst Unentbehrlichkeit eines tüchtigen Heeres für den sardinischen Staat armer-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/391
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/391>, abgerufen am 27.09.2024.