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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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zusehen Citate, mit denen er ziemlich freigebig umging, hatten ungefähr so viele
Fehler als Worte, und sein geradebrechteö Englisch würde, verglichen mit seinem
Vorgeben, drei Jahre als Hausarzt eines Lords so und so in Indien und der
Levante gewesen zu sein, bei einem weniger nachsichtige" dem Fasse den Boden
ausgeschlagen haben. Ich hegte jedoch diese Nachsicht, und äußerte demzufolge
auch dann noch keine Zweifel an den summis Konoridus rit" aüsptis, als der
Doctor Fürster sich im weitern Verlause der Historie in einen Doctor Kohl ver¬
wandelte, obwol ich mein Erstannen nicht ganz unterdrücken konnte, als er aus
seinem schöngestickten Reisesacke außer unterschiedlichen medicinischen Eselsbrücken
aus der Fabrik Basse in Quedlinburg mehr als ein Etui mit jenen Instrumenten
zog, deren sich die Chirurgie bei uns daheim bedient hatte, um Bärte zu
amputireu.

Hierdurch schon über Dunkirk hinausgegangen, will ich, damit der Leser sich
nicht mit einem zweiten halbaufgeklärten Geheimnisse trage, gleich noch einen Sprung
weiter thun. Fürster-Kohl war bei all' seiner mehr als zweifelhaften Wahrheits¬
liebe eine gutmüthige Creatur. Außerdem ist Duldung für den Beobachter von
Menschen und Zuständen die erste Regel, wählerisch sein die falscheste Politik, und
so hatte ich nichts dagegen, als der zweideutige Herr Doctor sich mir zur Fort¬
setzung der Reise als Begleiter anschloß. Wir kamen zusammen nach Cincinnati
und bewohnten dort mehrere Wochen einen und denselben Gasthof. Hier fand
unser Heilkünstler bald Patienten, wußte sich mit den Apothekern in Vernehmen
zu setzen, curirte lwie er sagte) mit Glück eine Wassersüchtige, brachte nach Rieord-
scher Methode einen vom Spitale als unheilbar ausgegebenen Spphiliten (wie er
versicherte) auf den Weg der Besserung, handelte nebenbei mit Pariser Spitzen,
von denen er sür tausend Francs eingeschmuggelt, und war schon ans dem Auslande
nach einer ledig werdenden Doctvrvfftce, in welcher er sicherlich'"Geld gemacht"
haben würde, als er plötzlich -- Einige glaubten, durch einen Brief nach New-
Orleans gerufen, mein Zimmernachbar aber wußte es besser -- mit einer Gesell¬
schaft, die uach Texas ging, über Hals über Kopf abreiste. Dieser Stuben¬
kamerad nämlich, ein Elsasser Champagner-Fabrikant, wollte beweisen können, daß
der gute Junge weder Kohl heiße, noch rite acleMs sei, sondern früher in
Straßburg als Bartscheerer conditionirt, dann in Wiesbaden als Kammerdiener
servirt und, nachdem er an der dortigen Bank ein paar tausend Gulden gewonnen,
sich nach Paris begeben habe, wo er jedoch nichts weniger als Famulus des be¬
rühmten Ricord, sondern einfacher Pflastertreter und nebenbei ein Bischen Spieler
gewesen sei. Die Entdeckung dieses Falsnms und die aus einen Zwist zwischen dem
Psendodoctor und dem Mitwisser seines Geheimnisses von Letzterem angedrohte
Veröffentlichung desselben in der Zeitung hatte ihn von bannen getrieben.

"Schade um thu em^ Kop!" sagte der Wirth. "War eine gute Seele, die
leben wollte und leben ließ."


zusehen Citate, mit denen er ziemlich freigebig umging, hatten ungefähr so viele
Fehler als Worte, und sein geradebrechteö Englisch würde, verglichen mit seinem
Vorgeben, drei Jahre als Hausarzt eines Lords so und so in Indien und der
Levante gewesen zu sein, bei einem weniger nachsichtige» dem Fasse den Boden
ausgeschlagen haben. Ich hegte jedoch diese Nachsicht, und äußerte demzufolge
auch dann noch keine Zweifel an den summis Konoridus rit« aüsptis, als der
Doctor Fürster sich im weitern Verlause der Historie in einen Doctor Kohl ver¬
wandelte, obwol ich mein Erstannen nicht ganz unterdrücken konnte, als er aus
seinem schöngestickten Reisesacke außer unterschiedlichen medicinischen Eselsbrücken
aus der Fabrik Basse in Quedlinburg mehr als ein Etui mit jenen Instrumenten
zog, deren sich die Chirurgie bei uns daheim bedient hatte, um Bärte zu
amputireu.

Hierdurch schon über Dunkirk hinausgegangen, will ich, damit der Leser sich
nicht mit einem zweiten halbaufgeklärten Geheimnisse trage, gleich noch einen Sprung
weiter thun. Fürster-Kohl war bei all' seiner mehr als zweifelhaften Wahrheits¬
liebe eine gutmüthige Creatur. Außerdem ist Duldung für den Beobachter von
Menschen und Zuständen die erste Regel, wählerisch sein die falscheste Politik, und
so hatte ich nichts dagegen, als der zweideutige Herr Doctor sich mir zur Fort¬
setzung der Reise als Begleiter anschloß. Wir kamen zusammen nach Cincinnati
und bewohnten dort mehrere Wochen einen und denselben Gasthof. Hier fand
unser Heilkünstler bald Patienten, wußte sich mit den Apothekern in Vernehmen
zu setzen, curirte lwie er sagte) mit Glück eine Wassersüchtige, brachte nach Rieord-
scher Methode einen vom Spitale als unheilbar ausgegebenen Spphiliten (wie er
versicherte) auf den Weg der Besserung, handelte nebenbei mit Pariser Spitzen,
von denen er sür tausend Francs eingeschmuggelt, und war schon ans dem Auslande
nach einer ledig werdenden Doctvrvfftce, in welcher er sicherlich'„Geld gemacht"
haben würde, als er plötzlich — Einige glaubten, durch einen Brief nach New-
Orleans gerufen, mein Zimmernachbar aber wußte es besser — mit einer Gesell¬
schaft, die uach Texas ging, über Hals über Kopf abreiste. Dieser Stuben¬
kamerad nämlich, ein Elsasser Champagner-Fabrikant, wollte beweisen können, daß
der gute Junge weder Kohl heiße, noch rite acleMs sei, sondern früher in
Straßburg als Bartscheerer conditionirt, dann in Wiesbaden als Kammerdiener
servirt und, nachdem er an der dortigen Bank ein paar tausend Gulden gewonnen,
sich nach Paris begeben habe, wo er jedoch nichts weniger als Famulus des be¬
rühmten Ricord, sondern einfacher Pflastertreter und nebenbei ein Bischen Spieler
gewesen sei. Die Entdeckung dieses Falsnms und die aus einen Zwist zwischen dem
Psendodoctor und dem Mitwisser seines Geheimnisses von Letzterem angedrohte
Veröffentlichung desselben in der Zeitung hatte ihn von bannen getrieben.

„Schade um thu em^ Kop!" sagte der Wirth. „War eine gute Seele, die
leben wollte und leben ließ."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/375>, abgerufen am 27.09.2024.