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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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nahm man stete Rücksicht ans die Gesammtwirkung und lief; jeder Einzelheit ihre
individuelle Geltung und Bedeutung, so jedoch, daß sie dem Charakter des Ganzen
sich unterordnete."

Auf die Vorschläge des Verfassers gehen wir hier nicht näher ein. Zwei
derselben werden wol unbedingte Billigung siudeu: 1) daß mau gegen die noch
bestehenden alten Bauwerks mit größerer Pietät verfahre, 2) daß von Seiten
des Staats in Akademien und anderen öffentlichen, Anstalten das Verständniß und
der Sinn für diese ausgestorbene Kunst wieder vermittelt werde. Die übrigen
Vorschläge scheinen uns noch nicht hinlänglich klar durchgebildet zu sein,, doch regen
sie zum Nachdenken an, und wir machen unsre Leser, die sich aus den angeführten
Proben von der Sachkenntniß des Verfassers wohl überzeugt haben werden, darauf
aufmerksam. --

Nur noch eine kleine Bemerkung. Herr Reichensperger kann nicht stark genug
seinen Zorn ausdrücken, daß man statt der Crucifixe und Heiligenbilder nicht
blos aus Schauspielhäusern, sondern in den Gcrichtshallen u. s. w. Sphinxe,
Genien und andere heidnische Ornamente anbringt. Ungeschickt genug, das geben
wir zu; aber jene Sphinxe u. s. w. sind eben nichts als Ornamente: tragen sie
nichts zur Heiligung bei, so stören sie anch nicht. Bei den Heiligenbildern und
ähnlichen Emblemen dagegen würden wir an Scenen erinnert werden, die wir
im Interesse Aller gern vergessen möchten: an die Feldzeichen Alba'S, Tilly's, an
den dreißigjährigen Bruderkrieg; ferner an die Inquisition und die Folter. Lieber
die Sphinxe! sie sind im Aegyptischen Schlaf und thun uns keinen Schaden; die
Fahnen Tilly's wollen wir nicht über den Stätten aufpflanzen , wo Recht gesprochen
werden soll.




Neben der constitutionellen Partei steht in der Opposition die Fraction
Bethmann-Hollweg. Sie hatte sich während der vorigen Session in der ersten
Kammer aus Mitgliedern der Rechten gebildet, denen durch die ständische Neacti-
virung, und uoch mehr dnrch die Art, wie man sie zu rechtfertigen suchte, der
Geist des jetzt herrschenden Systems nahe geführt war. Unterstützt von den
Anhängern der Fraction Mälzte, die schon früher schwache Versuche gemacht
hatte, sich ans dem bloßen Miuisterialismuö zu eiuer Art selbstständiger Stellung
emporzuwinden, hat die neue Fraction mit Ausnahme einer abermaligen Ver-
trauensanwandlung in Bezug aus das Ministerverantwortlichkeitsgcsetz und einer
seltsamen Abirrung bei der Disstdentensrage, sich während des verflossenen Win¬
ters wacker gehalten; und dnrch die neuesten politischen Ereignisse kann sie in


Grenzboten. IV. ->8S2.

nahm man stete Rücksicht ans die Gesammtwirkung und lief; jeder Einzelheit ihre
individuelle Geltung und Bedeutung, so jedoch, daß sie dem Charakter des Ganzen
sich unterordnete."

Auf die Vorschläge des Verfassers gehen wir hier nicht näher ein. Zwei
derselben werden wol unbedingte Billigung siudeu: 1) daß mau gegen die noch
bestehenden alten Bauwerks mit größerer Pietät verfahre, 2) daß von Seiten
des Staats in Akademien und anderen öffentlichen, Anstalten das Verständniß und
der Sinn für diese ausgestorbene Kunst wieder vermittelt werde. Die übrigen
Vorschläge scheinen uns noch nicht hinlänglich klar durchgebildet zu sein,, doch regen
sie zum Nachdenken an, und wir machen unsre Leser, die sich aus den angeführten
Proben von der Sachkenntniß des Verfassers wohl überzeugt haben werden, darauf
aufmerksam. —

Nur noch eine kleine Bemerkung. Herr Reichensperger kann nicht stark genug
seinen Zorn ausdrücken, daß man statt der Crucifixe und Heiligenbilder nicht
blos aus Schauspielhäusern, sondern in den Gcrichtshallen u. s. w. Sphinxe,
Genien und andere heidnische Ornamente anbringt. Ungeschickt genug, das geben
wir zu; aber jene Sphinxe u. s. w. sind eben nichts als Ornamente: tragen sie
nichts zur Heiligung bei, so stören sie anch nicht. Bei den Heiligenbildern und
ähnlichen Emblemen dagegen würden wir an Scenen erinnert werden, die wir
im Interesse Aller gern vergessen möchten: an die Feldzeichen Alba'S, Tilly's, an
den dreißigjährigen Bruderkrieg; ferner an die Inquisition und die Folter. Lieber
die Sphinxe! sie sind im Aegyptischen Schlaf und thun uns keinen Schaden; die
Fahnen Tilly's wollen wir nicht über den Stätten aufpflanzen , wo Recht gesprochen
werden soll.




Neben der constitutionellen Partei steht in der Opposition die Fraction
Bethmann-Hollweg. Sie hatte sich während der vorigen Session in der ersten
Kammer aus Mitgliedern der Rechten gebildet, denen durch die ständische Neacti-
virung, und uoch mehr dnrch die Art, wie man sie zu rechtfertigen suchte, der
Geist des jetzt herrschenden Systems nahe geführt war. Unterstützt von den
Anhängern der Fraction Mälzte, die schon früher schwache Versuche gemacht
hatte, sich ans dem bloßen Miuisterialismuö zu eiuer Art selbstständiger Stellung
emporzuwinden, hat die neue Fraction mit Ausnahme einer abermaligen Ver-
trauensanwandlung in Bezug aus das Ministerverantwortlichkeitsgcsetz und einer
seltsamen Abirrung bei der Disstdentensrage, sich während des verflossenen Win¬
ters wacker gehalten; und dnrch die neuesten politischen Ereignisse kann sie in


Grenzboten. IV. ->8S2.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/355>, abgerufen am 27.09.2024.