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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Gallicismen hat er bis an sein Ende behalten. Er gab sich sehr viel Mühe,
und hatte lange zu kämpfen, bevor er ein gutes Deutsch schreiben lernte, in
seinen Jngendgedichten tadelten und strichen die Freunde ihm fortwährend fran¬
zösische Wendungen. In der Unterhaltung war er nicht wortreich, bis an sein
Lebensende nicht; aber die charakteristische Bedeutung und die zarteste gemüth¬
liche Nuance der Vorstellungen, welche den deutschen Wörtern zu Grunde liegen,
hat er schnell und vollständig begriffen. Der Styl seiner Prosa war in seiner
Jugendzeit oft wunderlich, er gebrauchte eine Zeitlang die Participien im Ueber¬
maß und schrieb gedrängter und abgerissener, als für das schnelle Verständniß
bequem war. Immer aber, schon in seiner Jugend, liebte er die deutsche Sprache
mit Leidenschaft, viel mehr, als das Französische. Und wenn er außerhalb Frank¬
reichs für sein Geburtsland immer warme Sympathien hatte, so wurde ihm in
Frankreich selbst doch das französische Wesen oft widerlich, und die französische
Sprache nennt er in seinem ehrlichen Zorne einmal, als ihn die Verderbtheit des
damaligen Frankreich geärgert hatte, eine canaillöse Sprache.

Bevor Chamisso seinen Entschluß ausführen konnte, den preußischen Militär¬
dienst zu verlassen, kam das Jahr 1806 und zwang ihn, gegen sein eigenes Vater¬
land zu,.,Felde zu ziehen. Seine Familie, die legitimistisch war, hatte nichts
dagegen, daß er gegen Napoleon kämpfen half, ihm selbst aber war der Gedanke
sehr schmerzlich. Er bat deshalb um seinen Abschied, bevor die Campagne los¬
ging; er wurde ihm abgeschlagen. Unter Lecocq hatte er die schimpfliche Ueber¬
gabe von Hameln mitzumachen. Der Bericht, welchen er davon an Varnhagen
schickt (Bd. ö, S. 184.), ist sehr merkwürdig, er zeigt die tiefe, sittliche Empö¬
rung nicht nur des edeln Chamisso, sondern des ganzen braven Corps, welches
dort durch einen unfähigen Menschen verrathen wurde. Er wurde als Officier
Kriegsgefangener und erhielt einen 'Paß nach Frankreich, wohin ihn Familien¬
angelegenheiten dringend riefen. Dort waren unterdeß seine beiden Aeltern
gestorben, er fühlte sich verlassen, das Land, das Volk war ihm fremd geworden.
Voll Sehnsucht nach seinen Freunden kehrte er nach Berlin zurück; aber auch
dort fand er Alles traurig verändert, die Freunde zersprengt, verstimmt, von dem
finstern Ernst des wirklichen Lebens ergriffen. Da kam für Chamisso eine böse
Zeit. Er war ununterbrochen thätig, beschäftigte sich besonders mit italienischer
Sprache und Literatur, ertheilte auch Privatunterricht; aber seinen Studien fehlte ein
fester Halt, die Universität Berlin war damals noch nicht errichtet, und er, der Franzose,
der frühere preußische Officier, der sich sogar vor einer militärischen Commission
wegen der Schande von Hameln rechtfertigen mußte und glänzend rechtfertigte,
lebte ohne Stand und Geschäft, wie er selbst schreibt, und irre an sich selbst. Da
drängten ihn seine Geschwister, nach Frankreich zurückzukehren, ein alter Freund
der Familie bot ihm eine Professur am Lyceum zu Napoleonville an, und im
Januar 18-10 verließ er Berlin wieder und ging zum zweiten Male nach Frank-


Gallicismen hat er bis an sein Ende behalten. Er gab sich sehr viel Mühe,
und hatte lange zu kämpfen, bevor er ein gutes Deutsch schreiben lernte, in
seinen Jngendgedichten tadelten und strichen die Freunde ihm fortwährend fran¬
zösische Wendungen. In der Unterhaltung war er nicht wortreich, bis an sein
Lebensende nicht; aber die charakteristische Bedeutung und die zarteste gemüth¬
liche Nuance der Vorstellungen, welche den deutschen Wörtern zu Grunde liegen,
hat er schnell und vollständig begriffen. Der Styl seiner Prosa war in seiner
Jugendzeit oft wunderlich, er gebrauchte eine Zeitlang die Participien im Ueber¬
maß und schrieb gedrängter und abgerissener, als für das schnelle Verständniß
bequem war. Immer aber, schon in seiner Jugend, liebte er die deutsche Sprache
mit Leidenschaft, viel mehr, als das Französische. Und wenn er außerhalb Frank¬
reichs für sein Geburtsland immer warme Sympathien hatte, so wurde ihm in
Frankreich selbst doch das französische Wesen oft widerlich, und die französische
Sprache nennt er in seinem ehrlichen Zorne einmal, als ihn die Verderbtheit des
damaligen Frankreich geärgert hatte, eine canaillöse Sprache.

Bevor Chamisso seinen Entschluß ausführen konnte, den preußischen Militär¬
dienst zu verlassen, kam das Jahr 1806 und zwang ihn, gegen sein eigenes Vater¬
land zu,.,Felde zu ziehen. Seine Familie, die legitimistisch war, hatte nichts
dagegen, daß er gegen Napoleon kämpfen half, ihm selbst aber war der Gedanke
sehr schmerzlich. Er bat deshalb um seinen Abschied, bevor die Campagne los¬
ging; er wurde ihm abgeschlagen. Unter Lecocq hatte er die schimpfliche Ueber¬
gabe von Hameln mitzumachen. Der Bericht, welchen er davon an Varnhagen
schickt (Bd. ö, S. 184.), ist sehr merkwürdig, er zeigt die tiefe, sittliche Empö¬
rung nicht nur des edeln Chamisso, sondern des ganzen braven Corps, welches
dort durch einen unfähigen Menschen verrathen wurde. Er wurde als Officier
Kriegsgefangener und erhielt einen 'Paß nach Frankreich, wohin ihn Familien¬
angelegenheiten dringend riefen. Dort waren unterdeß seine beiden Aeltern
gestorben, er fühlte sich verlassen, das Land, das Volk war ihm fremd geworden.
Voll Sehnsucht nach seinen Freunden kehrte er nach Berlin zurück; aber auch
dort fand er Alles traurig verändert, die Freunde zersprengt, verstimmt, von dem
finstern Ernst des wirklichen Lebens ergriffen. Da kam für Chamisso eine böse
Zeit. Er war ununterbrochen thätig, beschäftigte sich besonders mit italienischer
Sprache und Literatur, ertheilte auch Privatunterricht; aber seinen Studien fehlte ein
fester Halt, die Universität Berlin war damals noch nicht errichtet, und er, der Franzose,
der frühere preußische Officier, der sich sogar vor einer militärischen Commission
wegen der Schande von Hameln rechtfertigen mußte und glänzend rechtfertigte,
lebte ohne Stand und Geschäft, wie er selbst schreibt, und irre an sich selbst. Da
drängten ihn seine Geschwister, nach Frankreich zurückzukehren, ein alter Freund
der Familie bot ihm eine Professur am Lyceum zu Napoleonville an, und im
Januar 18-10 verließ er Berlin wieder und ging zum zweiten Male nach Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/318>, abgerufen am 27.09.2024.