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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Nach Napoleon's eigener Angabe zögerte er mit dem Angriff bis gegen
11 Uhr, um erst den von dem Regen der vorhergegangenen Nacht durchnäßten
Boden abtrocknen zu lassen, damit die Kavallerie ungehinderter manöverircn könne.
Natürlich galt es, zuerst die vorgeschobenen Punkte zu nehme", und zu dem Ende
setzte sich Rente gegen den rechten, Erlon und Lobau gegen die Mitte, und zwei Divi¬
sionen des. 1. Corps gegen den linken Flügel der Engländer in Bewegung. Letzterer
Angriff war nur eine Demonstration, dagegen entspann sich ein sehr heftiges Ge¬
fecht ans dem rechten Flügel um Hougonmont, das jedoch trotz großer Verluste
beständig in den Händen der Engländer blieb. Der Hauptangriff galt dem
Centrum mit drei Divisionen, und findet zwei Stunden später statt. Eben sollte
er beginnen, als Napoleon ans den Höhen von Lambert die herannahenden Preußen
unter Bülow gewahrt, zu deren Abwehr er die Cavalleriebrigade Domont in
seiner rechten Flanke vor dem Holze von Paris einen Haken bilden läßt. Seiner
Meinung nach von dieser Seite hinlänglich gesichert, ließ er jetzt den Angriff auf
das Centrum beginnen. Wirklich gelang es deu Franzosen, eine Brigade der
holländischen Division Perpvucher über den Haufen zu werfen, aber Platon treibt
'sie zurück, und die englische. Cavallerie richtet fürchterliche Verheerungen unter
ihnen an, bis Milhaud's Kürassiere zu Hilft eilen. Mehrere Stunden lang wogt
das Gefecht um La Haye Sainte; die Angriffe auf das Centrum werden mit
der größten Wuth und besonders nnter verschwenderischer Verwendung von Ca-
'vallericmassen auf französischer Seite fortgesetzt, so daß diese oft die ganze Front¬
linie der englischen Position in Besitz hat, und in dichteu Schwärmen um die
festgeschlossenen Carros herumwogt. Aber immer noch halten Hougoumvut und
La Haye Sainte aus, Ney's Infanterie ist von dem stundenlange" Kampfe er¬
schöpft, und schon sammeln sich die Preußen immer drohender in Napoleon's
rechter Flanke, so daß er ihnen ein ganzes Corps unter Lobau entgegenschicken
muß. .Nun beschließt Ney, seine letzte Division Donzelet gegen La Haye Sainte
zu verwenden, das Baring init seinen wackeren deutschen Schützen vertheidigt, bis
er buchstäblich keine Patrone mehr zu verschießen hat, und sich den Rückzug mit
dem Nest seines tapfern Häufleins mit dem Bayonnet bahnen muß. Die Weg¬
nahme dieses wichtigen Punktes bereitete neue Stürme auf das englische Centrum
vor, welches Ney abermals durch ungestüme Cavallerieangriffe zu durchbrechen
sucht, und wozu er nicht nur die Kürassiere von Milhaud und die Division von
Lefevbre Desnonettes, sondern auch Kellermann und Guyot verwendet. Damit
war bis auf die Garde die ganze französische Armee in's Gefecht gebracht, und
dennoch blieb es im Centrum immer noch bei einem verzweifelten Anstürmen gegen
die wie Mauern stehenden englischen, braunschweigischen und uassanischen Carres,
während die Preußen immer mehr im Rücken der rechten Flanke anrücken.
Dauernde Erfolge konnte Ney um so weniger erringen, als es ihm an Infanterie
fehlte, um die von der Cavallerie erstürmten Positionen zu behaupten. Meistens


Grenzboten, IV. 38

Nach Napoleon's eigener Angabe zögerte er mit dem Angriff bis gegen
11 Uhr, um erst den von dem Regen der vorhergegangenen Nacht durchnäßten
Boden abtrocknen zu lassen, damit die Kavallerie ungehinderter manöverircn könne.
Natürlich galt es, zuerst die vorgeschobenen Punkte zu nehme», und zu dem Ende
setzte sich Rente gegen den rechten, Erlon und Lobau gegen die Mitte, und zwei Divi¬
sionen des. 1. Corps gegen den linken Flügel der Engländer in Bewegung. Letzterer
Angriff war nur eine Demonstration, dagegen entspann sich ein sehr heftiges Ge¬
fecht ans dem rechten Flügel um Hougonmont, das jedoch trotz großer Verluste
beständig in den Händen der Engländer blieb. Der Hauptangriff galt dem
Centrum mit drei Divisionen, und findet zwei Stunden später statt. Eben sollte
er beginnen, als Napoleon ans den Höhen von Lambert die herannahenden Preußen
unter Bülow gewahrt, zu deren Abwehr er die Cavalleriebrigade Domont in
seiner rechten Flanke vor dem Holze von Paris einen Haken bilden läßt. Seiner
Meinung nach von dieser Seite hinlänglich gesichert, ließ er jetzt den Angriff auf
das Centrum beginnen. Wirklich gelang es deu Franzosen, eine Brigade der
holländischen Division Perpvucher über den Haufen zu werfen, aber Platon treibt
'sie zurück, und die englische. Cavallerie richtet fürchterliche Verheerungen unter
ihnen an, bis Milhaud's Kürassiere zu Hilft eilen. Mehrere Stunden lang wogt
das Gefecht um La Haye Sainte; die Angriffe auf das Centrum werden mit
der größten Wuth und besonders nnter verschwenderischer Verwendung von Ca-
'vallericmassen auf französischer Seite fortgesetzt, so daß diese oft die ganze Front¬
linie der englischen Position in Besitz hat, und in dichteu Schwärmen um die
festgeschlossenen Carros herumwogt. Aber immer noch halten Hougoumvut und
La Haye Sainte aus, Ney's Infanterie ist von dem stundenlange» Kampfe er¬
schöpft, und schon sammeln sich die Preußen immer drohender in Napoleon's
rechter Flanke, so daß er ihnen ein ganzes Corps unter Lobau entgegenschicken
muß. .Nun beschließt Ney, seine letzte Division Donzelet gegen La Haye Sainte
zu verwenden, das Baring init seinen wackeren deutschen Schützen vertheidigt, bis
er buchstäblich keine Patrone mehr zu verschießen hat, und sich den Rückzug mit
dem Nest seines tapfern Häufleins mit dem Bayonnet bahnen muß. Die Weg¬
nahme dieses wichtigen Punktes bereitete neue Stürme auf das englische Centrum
vor, welches Ney abermals durch ungestüme Cavallerieangriffe zu durchbrechen
sucht, und wozu er nicht nur die Kürassiere von Milhaud und die Division von
Lefevbre Desnonettes, sondern auch Kellermann und Guyot verwendet. Damit
war bis auf die Garde die ganze französische Armee in's Gefecht gebracht, und
dennoch blieb es im Centrum immer noch bei einem verzweifelten Anstürmen gegen
die wie Mauern stehenden englischen, braunschweigischen und uassanischen Carres,
während die Preußen immer mehr im Rücken der rechten Flanke anrücken.
Dauernde Erfolge konnte Ney um so weniger erringen, als es ihm an Infanterie
fehlte, um die von der Cavallerie erstürmten Positionen zu behaupten. Meistens


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[0307] Nach Napoleon's eigener Angabe zögerte er mit dem Angriff bis gegen 11 Uhr, um erst den von dem Regen der vorhergegangenen Nacht durchnäßten Boden abtrocknen zu lassen, damit die Kavallerie ungehinderter manöverircn könne. Natürlich galt es, zuerst die vorgeschobenen Punkte zu nehme», und zu dem Ende setzte sich Rente gegen den rechten, Erlon und Lobau gegen die Mitte, und zwei Divi¬ sionen des. 1. Corps gegen den linken Flügel der Engländer in Bewegung. Letzterer Angriff war nur eine Demonstration, dagegen entspann sich ein sehr heftiges Ge¬ fecht ans dem rechten Flügel um Hougonmont, das jedoch trotz großer Verluste beständig in den Händen der Engländer blieb. Der Hauptangriff galt dem Centrum mit drei Divisionen, und findet zwei Stunden später statt. Eben sollte er beginnen, als Napoleon ans den Höhen von Lambert die herannahenden Preußen unter Bülow gewahrt, zu deren Abwehr er die Cavalleriebrigade Domont in seiner rechten Flanke vor dem Holze von Paris einen Haken bilden läßt. Seiner Meinung nach von dieser Seite hinlänglich gesichert, ließ er jetzt den Angriff auf das Centrum beginnen. Wirklich gelang es deu Franzosen, eine Brigade der holländischen Division Perpvucher über den Haufen zu werfen, aber Platon treibt 'sie zurück, und die englische. Cavallerie richtet fürchterliche Verheerungen unter ihnen an, bis Milhaud's Kürassiere zu Hilft eilen. Mehrere Stunden lang wogt das Gefecht um La Haye Sainte; die Angriffe auf das Centrum werden mit der größten Wuth und besonders nnter verschwenderischer Verwendung von Ca- 'vallericmassen auf französischer Seite fortgesetzt, so daß diese oft die ganze Front¬ linie der englischen Position in Besitz hat, und in dichteu Schwärmen um die festgeschlossenen Carros herumwogt. Aber immer noch halten Hougoumvut und La Haye Sainte aus, Ney's Infanterie ist von dem stundenlange» Kampfe er¬ schöpft, und schon sammeln sich die Preußen immer drohender in Napoleon's rechter Flanke, so daß er ihnen ein ganzes Corps unter Lobau entgegenschicken muß. .Nun beschließt Ney, seine letzte Division Donzelet gegen La Haye Sainte zu verwenden, das Baring init seinen wackeren deutschen Schützen vertheidigt, bis er buchstäblich keine Patrone mehr zu verschießen hat, und sich den Rückzug mit dem Nest seines tapfern Häufleins mit dem Bayonnet bahnen muß. Die Weg¬ nahme dieses wichtigen Punktes bereitete neue Stürme auf das englische Centrum vor, welches Ney abermals durch ungestüme Cavallerieangriffe zu durchbrechen sucht, und wozu er nicht nur die Kürassiere von Milhaud und die Division von Lefevbre Desnonettes, sondern auch Kellermann und Guyot verwendet. Damit war bis auf die Garde die ganze französische Armee in's Gefecht gebracht, und dennoch blieb es im Centrum immer noch bei einem verzweifelten Anstürmen gegen die wie Mauern stehenden englischen, braunschweigischen und uassanischen Carres, während die Preußen immer mehr im Rücken der rechten Flanke anrücken. Dauernde Erfolge konnte Ney um so weniger erringen, als es ihm an Infanterie fehlte, um die von der Cavallerie erstürmten Positionen zu behaupten. Meistens Grenzboten, IV. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/307>, abgerufen am 27.09.2024.