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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Amerika allgemein und durch das ganze Jahr hindurch, mit Ausnahme der wenigen
Wintermonate in Gebrauch, von dünnen, durchsichtigen Stoffen, und so eng an
die Bettstelle und den Himmel anschließend, daß nicht die geringste Oeffnung
bleibt, wodurch die kleinen Blutsauger, die berüchtigten Muskito's, durchdringen
könnten. Diese Muskito's sind von der Größe unsrer Mücken, aber so zudring¬
lich und blutdürstig, daß mau ohne die genannten Vorkehrungsmaßregeln wol
schmerlich ruhig schlafen möchte. Sie halten sich gewöhnlich in der Nähe großer
Gewässer und Sümpfe ans, verbreiten sich aber von diesen aus mehrere Meilen
in das Land; in denjenigen Theilen von Texas, die nicht dicht an Flüssen liegen,
weiß mau von diesen Landplagen wenig. Da daS Bett zu dem vorzüglichsten
Mobiliar der Amerikaner gehört, und, wenigstens bei den weniger bemittelten
Klassen, meist in der Wohnstube die Stelle eines Sopha's vertritt, so vereinigt
sich in der geschmackvollen Form der Bettstelle und des Himmels und in der Vor-
zügliclckeit und Schönheit der Steppdecken ^juilts), welche oft ans künstlich an
einander gesetzten Läppchen von einem Kreise unter sich befreundeter Damen ver¬
fertigt werden, so wie in der Feinheit des Stoffes, aus dem der Musquetoebar
gewebt ist, ein großer Theil des Luxus des sonst so einfachen Amerikaners.

Die Matratzen find mit einem eigenthümlichen Stoffe gefüllt, den ich in
Deutschland nie gesehen habe, und der bei bedeutender Wohlfeilheit das Seegras
an Güte weit übertrifft und namentlich in Bezug auf Elasticität deu Roßhaaren
wenig nachsteht. Dies ist das,, was man in Amerika allgemein mit dem Namen
"IVloss" bezeichnet; keineswegs ist es aber mit den eigentlichen Moosen verwandt
und uicht einmal kryptogamisch, sondern verdankt seinen Namen nur dem Umstände,
daß es ähnlich wie Moos oder Flechten schmarotzend an Bäumen wächst, eine
den gemeinen Flechten ähnliche grünlich - blane Farbe und (freilich nur für den
oberflächlichen Beobachter) ähnliche Verzweigungen und Blätter zeigt. Dieses
,,Moos," zur Gattung '1'iIIiin<l8la gehörend, blüht im Mai mit kleinen unschein¬
baren, gelblich-grüne", dreiblättrigen Blüthen; seine Früchte sind längliche Kapseln,
die mit drei Klappen aufspringen. Indem es in dicken, oft 3--6 Fuß langen,,
aus vielfach verschlungenen und verzweigten Fäden bestehenden. Massen von den
Aesten der Bäume, vornehmlich der Eichen und der Magnolien, wie ein grauer
Mantel herabhängt, und das Laub der Bänme oft ganz den Blicken des Beobach¬
ters entzieht, verleiht es den Wäldern des ganzen, Südens von Nord-Amerika
bis etwa zum 32. Grade N. Br. einen eigenthümlichen, eintönigen, ja traurigen
Charakter und verhindert das Gedeihen dxr Wälder dadurch, daß es die Feuchtig¬
keit zurückhält und den Jnsecten mannichfache Wohnplätze gestattet; Alles zusammen
befördert in auffallender Weise die Fäulniß und Vernichtung. Daher sind die
Urwälder dieser Staaten uicht durch die Frische und Ueppigkeit des Lebens, sondern
vielmehr durch die mannichfaltigen Bilder des Vergehens und des Todes gro߬
artig; nur die niedrigen Kräuter und Gebüsche, die Schlinggewächse, der wilde


Amerika allgemein und durch das ganze Jahr hindurch, mit Ausnahme der wenigen
Wintermonate in Gebrauch, von dünnen, durchsichtigen Stoffen, und so eng an
die Bettstelle und den Himmel anschließend, daß nicht die geringste Oeffnung
bleibt, wodurch die kleinen Blutsauger, die berüchtigten Muskito's, durchdringen
könnten. Diese Muskito's sind von der Größe unsrer Mücken, aber so zudring¬
lich und blutdürstig, daß mau ohne die genannten Vorkehrungsmaßregeln wol
schmerlich ruhig schlafen möchte. Sie halten sich gewöhnlich in der Nähe großer
Gewässer und Sümpfe ans, verbreiten sich aber von diesen aus mehrere Meilen
in das Land; in denjenigen Theilen von Texas, die nicht dicht an Flüssen liegen,
weiß mau von diesen Landplagen wenig. Da daS Bett zu dem vorzüglichsten
Mobiliar der Amerikaner gehört, und, wenigstens bei den weniger bemittelten
Klassen, meist in der Wohnstube die Stelle eines Sopha's vertritt, so vereinigt
sich in der geschmackvollen Form der Bettstelle und des Himmels und in der Vor-
zügliclckeit und Schönheit der Steppdecken ^juilts), welche oft ans künstlich an
einander gesetzten Läppchen von einem Kreise unter sich befreundeter Damen ver¬
fertigt werden, so wie in der Feinheit des Stoffes, aus dem der Musquetoebar
gewebt ist, ein großer Theil des Luxus des sonst so einfachen Amerikaners.

Die Matratzen find mit einem eigenthümlichen Stoffe gefüllt, den ich in
Deutschland nie gesehen habe, und der bei bedeutender Wohlfeilheit das Seegras
an Güte weit übertrifft und namentlich in Bezug auf Elasticität deu Roßhaaren
wenig nachsteht. Dies ist das,, was man in Amerika allgemein mit dem Namen
„IVloss" bezeichnet; keineswegs ist es aber mit den eigentlichen Moosen verwandt
und uicht einmal kryptogamisch, sondern verdankt seinen Namen nur dem Umstände,
daß es ähnlich wie Moos oder Flechten schmarotzend an Bäumen wächst, eine
den gemeinen Flechten ähnliche grünlich - blane Farbe und (freilich nur für den
oberflächlichen Beobachter) ähnliche Verzweigungen und Blätter zeigt. Dieses
,,Moos," zur Gattung '1'iIIiin<l8la gehörend, blüht im Mai mit kleinen unschein¬
baren, gelblich-grüne», dreiblättrigen Blüthen; seine Früchte sind längliche Kapseln,
die mit drei Klappen aufspringen. Indem es in dicken, oft 3—6 Fuß langen,,
aus vielfach verschlungenen und verzweigten Fäden bestehenden. Massen von den
Aesten der Bäume, vornehmlich der Eichen und der Magnolien, wie ein grauer
Mantel herabhängt, und das Laub der Bänme oft ganz den Blicken des Beobach¬
ters entzieht, verleiht es den Wäldern des ganzen, Südens von Nord-Amerika
bis etwa zum 32. Grade N. Br. einen eigenthümlichen, eintönigen, ja traurigen
Charakter und verhindert das Gedeihen dxr Wälder dadurch, daß es die Feuchtig¬
keit zurückhält und den Jnsecten mannichfache Wohnplätze gestattet; Alles zusammen
befördert in auffallender Weise die Fäulniß und Vernichtung. Daher sind die
Urwälder dieser Staaten uicht durch die Frische und Ueppigkeit des Lebens, sondern
vielmehr durch die mannichfaltigen Bilder des Vergehens und des Todes gro߬
artig; nur die niedrigen Kräuter und Gebüsche, die Schlinggewächse, der wilde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/300>, abgerufen am 27.09.2024.