Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

iliren, daß sie eigentlich alles unbefangene Urtheil verlor. Nicht nur wurde das poetische
Talent der vorzüglichste" spanischen Dichter, namentlich Calderon's, und ihre Bedeutung
fiir die Weltliteratur viel zu hoch angeschlagen, sondern es sah fast so aus, als ob uus
Form und Inhalt Calderon's zum Muster aufgestellt werden sollte. Diese leichtsinnige
Arbeit, in welcher der Intrigue und der Fabel zu Liebe alle Wahrheit und Natürlichkeit
der Charaktere aufgeopfert wurde, sollte uns als Vorbild dienen, und nicht blos die
Begriffe von Ehre und Liebe, wie sie sich im Kampf zwischen den Gothen und Arabern
ausgebildet hatten, sondern anch die schändliche, wahrhaft verabscheuenSwürdige spanische
Bigotterie, wie sie sich in einer entsetzlichen Mischung von Blutgier, Wollust und Ge¬
dankenlosigkeit in Calderon ausspricht, sollte die Basis unsrer neuen Religion werden.
Zwar dachten die Herren Schlegel, Werner, Hoffmann ze. wol nicht im Ernst daran,
die Inquisition und die Autodafes wieder in Deutschland einzuführen, auch ging ihre
Religiosität, so krankhaft und verschroben sie war, wol nicht so weit, die sittliche Grund-
anschauung in der'"Andacht zum Kreuz" vollständig als maßgebend anzunehmen; allein
das Verwerfliche in ihrer Stellung zu den katholischen Dichtern war eben, daß sie sich
von einem rein äußerlichen, oberflächlichen ästhetischen Wohlgefallen leiten ließen und an
dem Kern der Dichtung, ihrem sittlichen Fonds, gleichgiltig vorübergingen. Hoffmann
z. B., obgleich er niemals fo weit ging, den Glauben seiner Väter abzuschwören, war
doch im höchsten Grade über die günstige Aufnahme entzückt, welche die "Andacht zum
Kreuz" bei den Bambergern fand, und beklagte es tief, daß nicht mehr katholische
Elemente in Deutschland vorhanden wären, um diese große Tragödie zu würdigen. Auch
beeiferten sich die Schüler der neuen Lehre (z. B. Schütz, Zedlitz ze.), dnrch mehr oder
minder gelungene Exercitien die spanische Poesie aus unsren Theatern einzubürgern. --
Durch alles dies hat die Auffassung der spanischen Literatur bei uns ein ganz falsches
Licht gewonnen, und fleißige, verständige Arbeiten, wie die des ehrlichen Butterweck,
reichten uicht aus, dem allgemeinen Strom des Enthusiasmus Widerstand zu leisten.
Wir bemerken beiläufig, daß etwas von dieser Neigung sich anch in die sonst mit vollem
Recht sehr hoch gestellte Geschichte des spanischen Theaters von Schack eingeschlichen
hat. -- Es ist nicht anzunehmen, daß sich jetzt, wo man doch allmnlich anfängt, auch
fremdartige Erzeugnisse des Geistes nicht mit überschwänglicher Phantasie, sondern mit
unbefangenen Blicken anzuschauen, eine ähnliche Verirrung noch einmal bei uns eintreten
sollte. Wir werden jetzt die spanische Literatur als den höchst reichen und interessanten
Ausdruck von dem Geist einer Nation, die zwar theils dnrch ihre Lage, theils dnrch
eine Kette unglückseliger Ereignisse in die schlimmsten Befangenheiten verstrickt wurde,
die aber auch im Vergleich mit den übrigen gebildeten Nationen eine seltene Begabung
verrieth, würdigen können, ohne daß es uus einfiele, unsrerseits spanisch denken, empfinden
und dichten zu wollen. -- In diesem Sinn ist das angeführte Buch die bedeutendste
Grundlage einer neuen wissenschaftlichen Erkenntniß. -- Georg Ticknor wurde 1791
zu Boston geboren und zum Advocatenstaud bestimmt. Das Werk der Frau v. Stael
über Deutschland, das ihm in dem einzigen Exemplar zukam, welches den Verfolgungen
Napoleons entging, machte ihn aus die ^deutsche Literatur aufmerksam. In Folge dessen
ging er nach der Universität Göttingen (181ö), wo er zwei Jahre studirte und sich
dann in Italien, Spanien, Portugal und England aufhielt. Nach seiner Rückkehr 1819
wurde er als Professor der Literatur an der Universität Cambridge bei Boston ange¬
stellt, welche Stelle er bis 1835 bekleidete. Nach 1833 hat er noch eine neue drei¬
jährige Reise durch Europa gemacht. Bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Spanien
hatte er sich mit Hülfe kundiger Männer eine sehr reichhaltige und auserlesene spanische
Bibliothek angelegt, die er seit der Zeit mit rastlosem Eifer vermehrte. Ein solcher
Besitz ist nothwendig, um in einer im Ganzen wenig zugänglichen Literatur jene um¬
fassende und stets fortgesetzte Erkenntniß zu erwerben, die unumgänglich ist, wenn man
nicht der Phantasie freien Spielraum über das Wissen verstatten will. Er hat sich
eine Belesenheit in der spanischen Literatur erworben, wie man sie sonst in andern


iliren, daß sie eigentlich alles unbefangene Urtheil verlor. Nicht nur wurde das poetische
Talent der vorzüglichste» spanischen Dichter, namentlich Calderon's, und ihre Bedeutung
fiir die Weltliteratur viel zu hoch angeschlagen, sondern es sah fast so aus, als ob uus
Form und Inhalt Calderon's zum Muster aufgestellt werden sollte. Diese leichtsinnige
Arbeit, in welcher der Intrigue und der Fabel zu Liebe alle Wahrheit und Natürlichkeit
der Charaktere aufgeopfert wurde, sollte uns als Vorbild dienen, und nicht blos die
Begriffe von Ehre und Liebe, wie sie sich im Kampf zwischen den Gothen und Arabern
ausgebildet hatten, sondern anch die schändliche, wahrhaft verabscheuenSwürdige spanische
Bigotterie, wie sie sich in einer entsetzlichen Mischung von Blutgier, Wollust und Ge¬
dankenlosigkeit in Calderon ausspricht, sollte die Basis unsrer neuen Religion werden.
Zwar dachten die Herren Schlegel, Werner, Hoffmann ze. wol nicht im Ernst daran,
die Inquisition und die Autodafes wieder in Deutschland einzuführen, auch ging ihre
Religiosität, so krankhaft und verschroben sie war, wol nicht so weit, die sittliche Grund-
anschauung in der'„Andacht zum Kreuz" vollständig als maßgebend anzunehmen; allein
das Verwerfliche in ihrer Stellung zu den katholischen Dichtern war eben, daß sie sich
von einem rein äußerlichen, oberflächlichen ästhetischen Wohlgefallen leiten ließen und an
dem Kern der Dichtung, ihrem sittlichen Fonds, gleichgiltig vorübergingen. Hoffmann
z. B., obgleich er niemals fo weit ging, den Glauben seiner Väter abzuschwören, war
doch im höchsten Grade über die günstige Aufnahme entzückt, welche die „Andacht zum
Kreuz" bei den Bambergern fand, und beklagte es tief, daß nicht mehr katholische
Elemente in Deutschland vorhanden wären, um diese große Tragödie zu würdigen. Auch
beeiferten sich die Schüler der neuen Lehre (z. B. Schütz, Zedlitz ze.), dnrch mehr oder
minder gelungene Exercitien die spanische Poesie aus unsren Theatern einzubürgern. —
Durch alles dies hat die Auffassung der spanischen Literatur bei uns ein ganz falsches
Licht gewonnen, und fleißige, verständige Arbeiten, wie die des ehrlichen Butterweck,
reichten uicht aus, dem allgemeinen Strom des Enthusiasmus Widerstand zu leisten.
Wir bemerken beiläufig, daß etwas von dieser Neigung sich anch in die sonst mit vollem
Recht sehr hoch gestellte Geschichte des spanischen Theaters von Schack eingeschlichen
hat. — Es ist nicht anzunehmen, daß sich jetzt, wo man doch allmnlich anfängt, auch
fremdartige Erzeugnisse des Geistes nicht mit überschwänglicher Phantasie, sondern mit
unbefangenen Blicken anzuschauen, eine ähnliche Verirrung noch einmal bei uns eintreten
sollte. Wir werden jetzt die spanische Literatur als den höchst reichen und interessanten
Ausdruck von dem Geist einer Nation, die zwar theils dnrch ihre Lage, theils dnrch
eine Kette unglückseliger Ereignisse in die schlimmsten Befangenheiten verstrickt wurde,
die aber auch im Vergleich mit den übrigen gebildeten Nationen eine seltene Begabung
verrieth, würdigen können, ohne daß es uus einfiele, unsrerseits spanisch denken, empfinden
und dichten zu wollen. — In diesem Sinn ist das angeführte Buch die bedeutendste
Grundlage einer neuen wissenschaftlichen Erkenntniß. — Georg Ticknor wurde 1791
zu Boston geboren und zum Advocatenstaud bestimmt. Das Werk der Frau v. Stael
über Deutschland, das ihm in dem einzigen Exemplar zukam, welches den Verfolgungen
Napoleons entging, machte ihn aus die ^deutsche Literatur aufmerksam. In Folge dessen
ging er nach der Universität Göttingen (181ö), wo er zwei Jahre studirte und sich
dann in Italien, Spanien, Portugal und England aufhielt. Nach seiner Rückkehr 1819
wurde er als Professor der Literatur an der Universität Cambridge bei Boston ange¬
stellt, welche Stelle er bis 1835 bekleidete. Nach 1833 hat er noch eine neue drei¬
jährige Reise durch Europa gemacht. Bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Spanien
hatte er sich mit Hülfe kundiger Männer eine sehr reichhaltige und auserlesene spanische
Bibliothek angelegt, die er seit der Zeit mit rastlosem Eifer vermehrte. Ein solcher
Besitz ist nothwendig, um in einer im Ganzen wenig zugänglichen Literatur jene um¬
fassende und stets fortgesetzte Erkenntniß zu erwerben, die unumgänglich ist, wenn man
nicht der Phantasie freien Spielraum über das Wissen verstatten will. Er hat sich
eine Belesenheit in der spanischen Literatur erworben, wie man sie sonst in andern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95270"/>
            <p xml:id="ID_838" prev="#ID_837" next="#ID_839"> iliren, daß sie eigentlich alles unbefangene Urtheil verlor. Nicht nur wurde das poetische<lb/>
Talent der vorzüglichste» spanischen Dichter, namentlich Calderon's, und ihre Bedeutung<lb/>
fiir die Weltliteratur viel zu hoch angeschlagen, sondern es sah fast so aus, als ob uus<lb/>
Form und Inhalt Calderon's zum Muster aufgestellt werden sollte. Diese leichtsinnige<lb/>
Arbeit, in welcher der Intrigue und der Fabel zu Liebe alle Wahrheit und Natürlichkeit<lb/>
der Charaktere aufgeopfert wurde, sollte uns als Vorbild dienen, und nicht blos die<lb/>
Begriffe von Ehre und Liebe, wie sie sich im Kampf zwischen den Gothen und Arabern<lb/>
ausgebildet hatten, sondern anch die schändliche, wahrhaft verabscheuenSwürdige spanische<lb/>
Bigotterie, wie sie sich in einer entsetzlichen Mischung von Blutgier, Wollust und Ge¬<lb/>
dankenlosigkeit in Calderon ausspricht, sollte die Basis unsrer neuen Religion werden.<lb/>
Zwar dachten die Herren Schlegel, Werner, Hoffmann ze. wol nicht im Ernst daran,<lb/>
die Inquisition und die Autodafes wieder in Deutschland einzuführen, auch ging ihre<lb/>
Religiosität, so krankhaft und verschroben sie war, wol nicht so weit, die sittliche Grund-<lb/>
anschauung in der'&#x201E;Andacht zum Kreuz" vollständig als maßgebend anzunehmen; allein<lb/>
das Verwerfliche in ihrer Stellung zu den katholischen Dichtern war eben, daß sie sich<lb/>
von einem rein äußerlichen, oberflächlichen ästhetischen Wohlgefallen leiten ließen und an<lb/>
dem Kern der Dichtung, ihrem sittlichen Fonds, gleichgiltig vorübergingen. Hoffmann<lb/>
z. B., obgleich er niemals fo weit ging, den Glauben seiner Väter abzuschwören, war<lb/>
doch im höchsten Grade über die günstige Aufnahme entzückt, welche die &#x201E;Andacht zum<lb/>
Kreuz" bei den Bambergern fand, und beklagte es tief, daß nicht mehr katholische<lb/>
Elemente in Deutschland vorhanden wären, um diese große Tragödie zu würdigen. Auch<lb/>
beeiferten sich die Schüler der neuen Lehre (z. B. Schütz, Zedlitz ze.), dnrch mehr oder<lb/>
minder gelungene Exercitien die spanische Poesie aus unsren Theatern einzubürgern. &#x2014;<lb/>
Durch alles dies hat die Auffassung der spanischen Literatur bei uns ein ganz falsches<lb/>
Licht gewonnen, und fleißige, verständige Arbeiten, wie die des ehrlichen Butterweck,<lb/>
reichten uicht aus, dem allgemeinen Strom des Enthusiasmus Widerstand zu leisten.<lb/>
Wir bemerken beiläufig, daß etwas von dieser Neigung sich anch in die sonst mit vollem<lb/>
Recht sehr hoch gestellte Geschichte des spanischen Theaters von Schack eingeschlichen<lb/>
hat. &#x2014; Es ist nicht anzunehmen, daß sich jetzt, wo man doch allmnlich anfängt, auch<lb/>
fremdartige Erzeugnisse des Geistes nicht mit überschwänglicher Phantasie, sondern mit<lb/>
unbefangenen Blicken anzuschauen, eine ähnliche Verirrung noch einmal bei uns eintreten<lb/>
sollte. Wir werden jetzt die spanische Literatur als den höchst reichen und interessanten<lb/>
Ausdruck von dem Geist einer Nation, die zwar theils dnrch ihre Lage, theils dnrch<lb/>
eine Kette unglückseliger Ereignisse in die schlimmsten Befangenheiten verstrickt wurde,<lb/>
die aber auch im Vergleich mit den übrigen gebildeten Nationen eine seltene Begabung<lb/>
verrieth, würdigen können, ohne daß es uus einfiele, unsrerseits spanisch denken, empfinden<lb/>
und dichten zu wollen. &#x2014; In diesem Sinn ist das angeführte Buch die bedeutendste<lb/>
Grundlage einer neuen wissenschaftlichen Erkenntniß. &#x2014; Georg Ticknor wurde 1791<lb/>
zu Boston geboren und zum Advocatenstaud bestimmt. Das Werk der Frau v. Stael<lb/>
über Deutschland, das ihm in dem einzigen Exemplar zukam, welches den Verfolgungen<lb/>
Napoleons entging, machte ihn aus die ^deutsche Literatur aufmerksam. In Folge dessen<lb/>
ging er nach der Universität Göttingen (181ö), wo er zwei Jahre studirte und sich<lb/>
dann in Italien, Spanien, Portugal und England aufhielt. Nach seiner Rückkehr 1819<lb/>
wurde er als Professor der Literatur an der Universität Cambridge bei Boston ange¬<lb/>
stellt, welche Stelle er bis 1835 bekleidete. Nach 1833 hat er noch eine neue drei¬<lb/>
jährige Reise durch Europa gemacht. Bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Spanien<lb/>
hatte er sich mit Hülfe kundiger Männer eine sehr reichhaltige und auserlesene spanische<lb/>
Bibliothek angelegt, die er seit der Zeit mit rastlosem Eifer vermehrte. Ein solcher<lb/>
Besitz ist nothwendig, um in einer im Ganzen wenig zugänglichen Literatur jene um¬<lb/>
fassende und stets fortgesetzte Erkenntniß zu erwerben, die unumgänglich ist, wenn man<lb/>
nicht der Phantasie freien Spielraum über das Wissen verstatten will. Er hat sich<lb/>
eine Belesenheit in der spanischen Literatur erworben, wie man sie sonst in andern</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0289] iliren, daß sie eigentlich alles unbefangene Urtheil verlor. Nicht nur wurde das poetische Talent der vorzüglichste» spanischen Dichter, namentlich Calderon's, und ihre Bedeutung fiir die Weltliteratur viel zu hoch angeschlagen, sondern es sah fast so aus, als ob uus Form und Inhalt Calderon's zum Muster aufgestellt werden sollte. Diese leichtsinnige Arbeit, in welcher der Intrigue und der Fabel zu Liebe alle Wahrheit und Natürlichkeit der Charaktere aufgeopfert wurde, sollte uns als Vorbild dienen, und nicht blos die Begriffe von Ehre und Liebe, wie sie sich im Kampf zwischen den Gothen und Arabern ausgebildet hatten, sondern anch die schändliche, wahrhaft verabscheuenSwürdige spanische Bigotterie, wie sie sich in einer entsetzlichen Mischung von Blutgier, Wollust und Ge¬ dankenlosigkeit in Calderon ausspricht, sollte die Basis unsrer neuen Religion werden. Zwar dachten die Herren Schlegel, Werner, Hoffmann ze. wol nicht im Ernst daran, die Inquisition und die Autodafes wieder in Deutschland einzuführen, auch ging ihre Religiosität, so krankhaft und verschroben sie war, wol nicht so weit, die sittliche Grund- anschauung in der'„Andacht zum Kreuz" vollständig als maßgebend anzunehmen; allein das Verwerfliche in ihrer Stellung zu den katholischen Dichtern war eben, daß sie sich von einem rein äußerlichen, oberflächlichen ästhetischen Wohlgefallen leiten ließen und an dem Kern der Dichtung, ihrem sittlichen Fonds, gleichgiltig vorübergingen. Hoffmann z. B., obgleich er niemals fo weit ging, den Glauben seiner Väter abzuschwören, war doch im höchsten Grade über die günstige Aufnahme entzückt, welche die „Andacht zum Kreuz" bei den Bambergern fand, und beklagte es tief, daß nicht mehr katholische Elemente in Deutschland vorhanden wären, um diese große Tragödie zu würdigen. Auch beeiferten sich die Schüler der neuen Lehre (z. B. Schütz, Zedlitz ze.), dnrch mehr oder minder gelungene Exercitien die spanische Poesie aus unsren Theatern einzubürgern. — Durch alles dies hat die Auffassung der spanischen Literatur bei uns ein ganz falsches Licht gewonnen, und fleißige, verständige Arbeiten, wie die des ehrlichen Butterweck, reichten uicht aus, dem allgemeinen Strom des Enthusiasmus Widerstand zu leisten. Wir bemerken beiläufig, daß etwas von dieser Neigung sich anch in die sonst mit vollem Recht sehr hoch gestellte Geschichte des spanischen Theaters von Schack eingeschlichen hat. — Es ist nicht anzunehmen, daß sich jetzt, wo man doch allmnlich anfängt, auch fremdartige Erzeugnisse des Geistes nicht mit überschwänglicher Phantasie, sondern mit unbefangenen Blicken anzuschauen, eine ähnliche Verirrung noch einmal bei uns eintreten sollte. Wir werden jetzt die spanische Literatur als den höchst reichen und interessanten Ausdruck von dem Geist einer Nation, die zwar theils dnrch ihre Lage, theils dnrch eine Kette unglückseliger Ereignisse in die schlimmsten Befangenheiten verstrickt wurde, die aber auch im Vergleich mit den übrigen gebildeten Nationen eine seltene Begabung verrieth, würdigen können, ohne daß es uus einfiele, unsrerseits spanisch denken, empfinden und dichten zu wollen. — In diesem Sinn ist das angeführte Buch die bedeutendste Grundlage einer neuen wissenschaftlichen Erkenntniß. — Georg Ticknor wurde 1791 zu Boston geboren und zum Advocatenstaud bestimmt. Das Werk der Frau v. Stael über Deutschland, das ihm in dem einzigen Exemplar zukam, welches den Verfolgungen Napoleons entging, machte ihn aus die ^deutsche Literatur aufmerksam. In Folge dessen ging er nach der Universität Göttingen (181ö), wo er zwei Jahre studirte und sich dann in Italien, Spanien, Portugal und England aufhielt. Nach seiner Rückkehr 1819 wurde er als Professor der Literatur an der Universität Cambridge bei Boston ange¬ stellt, welche Stelle er bis 1835 bekleidete. Nach 1833 hat er noch eine neue drei¬ jährige Reise durch Europa gemacht. Bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Spanien hatte er sich mit Hülfe kundiger Männer eine sehr reichhaltige und auserlesene spanische Bibliothek angelegt, die er seit der Zeit mit rastlosem Eifer vermehrte. Ein solcher Besitz ist nothwendig, um in einer im Ganzen wenig zugänglichen Literatur jene um¬ fassende und stets fortgesetzte Erkenntniß zu erwerben, die unumgänglich ist, wenn man nicht der Phantasie freien Spielraum über das Wissen verstatten will. Er hat sich eine Belesenheit in der spanischen Literatur erworben, wie man sie sonst in andern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/289
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/289>, abgerufen am 27.09.2024.