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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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in einem encyklopädischen Umrisse, der aufs Neue die bewundernswerthe Vielsei¬
tigkeit deö Redners in's Licht stellte. Warmer und erquicklicher war das kurze
Schlußwort Schneidewin's, ein Aufruf pro aris el, locis an das Geschlecht der
Philologen, durchdrungen von dem Hauche lebendigen Eindringens in das Alter¬
thum und von inniger, edler Begeisterung für dasselbe. Beide vereinigten sich in
freundlichem, bei jenem mehr würdevollem und gehaltenem, bei diesem ungezwun¬
genen und herzlichem Entgegenkommen gegen unsre Gäste, und selbst Ewald, der
sonst unnahbare, der Vorsitzer der Orientalisten, mühte sich, so unbequem es ihm
werden mochte, ihnen dnrch Gastlichkeit gegen seine morgenländischen Genossen
beizustehen.

Alles, was Aufnahme und Bewirthung der Versammlung betraf, war mit
zweckmäßiger Umsicht und Benutzung der vorhandenen Mittel eingerichtet. Die
Sitzungen fanden in den schönen Räumen der Aula statt; auch für die orientalische
und die pädagogische Section, die sich mit der vielbesprochenen Frage des grie¬
chischen Unterrichts ausschließlich und bis zur Ermüdung der Mitglieder beschäf¬
tigte, waren passende Localitäten gewonnen; die Bibliothek und die sonstigen
Sammlungen waren mit bereitwilliger Liberalität zugänglich gemacht; die Wirthe,
die die Versammlung an den verschiedenen Mittagen und Abenden bei sich auf¬
nahmen, hatten ihre Locale festlich geschmückt: der aus der illustrirten Zeitung
bekannte Kronenwirtl) sogar mit Transparenten, lateinischen Scherzversen, ja, er
ging in seinem Eifer so weit, einmal bei der Tafel sich das Wort zu er¬
bitten und ein Kärtlein mit griechischem Spruch als Andenken zu verthei¬
len. Und warum hätte nicht auch er bei Tafel reden sollen, bei der so Viele
sprachen, Berufene und Unberufene? Unberufen auch Du, juristisch-Polititische
Große, einst die Zierde echt constttutioneller Studcuteufractionen, Clubs,
Ministerien und Zeitungen, treuer Aegidi, Du allezeit zum Sprechen und
Schreiben bereiter Nichtphilvlog, Nichtschulmann, Nichtorientalist, berufen vor
Allen der Heros deutscher Philologie, allgeehrt und allwillkommen, Both,
der des alten und des jungen Göttingens in feinem Vergleich gedenkend, letzterem
"ganz unpolitisch" ein Hoch brachte -- zum Verdruss" freilich des ehrlichen Gerlach,
den er schon am Morgen in der Versammlung ob seines Aberglaubens katechisirt
und schnell zu halbem Rückzug gebracht hatte: aber bald erholte sich dieser, um
auch seinerseits einen langathmigen Toast auf die Georgia Augusta abzulesen, --
denn ihr galt er offenbar, nur wurde er mit merklicher Ausbiegung am Schlüsse
zum Toaste auf den Präsidenten. Am harmlosesten waren die Kneipereien mit
den Studenten im deutschen Hanse vor dem Thore, wo der Beweis geführt wurde,
daß Göttingen an der Theorie des alten Michaelis.mit Recht festhält, in dessen
vierbändigen "Raisonnement über die protestantischen Universitäten in Deutsch¬
land" es heißt, daß es nicht blos der Bequemlichkeit der Studirenden, sondern


in einem encyklopädischen Umrisse, der aufs Neue die bewundernswerthe Vielsei¬
tigkeit deö Redners in's Licht stellte. Warmer und erquicklicher war das kurze
Schlußwort Schneidewin's, ein Aufruf pro aris el, locis an das Geschlecht der
Philologen, durchdrungen von dem Hauche lebendigen Eindringens in das Alter¬
thum und von inniger, edler Begeisterung für dasselbe. Beide vereinigten sich in
freundlichem, bei jenem mehr würdevollem und gehaltenem, bei diesem ungezwun¬
genen und herzlichem Entgegenkommen gegen unsre Gäste, und selbst Ewald, der
sonst unnahbare, der Vorsitzer der Orientalisten, mühte sich, so unbequem es ihm
werden mochte, ihnen dnrch Gastlichkeit gegen seine morgenländischen Genossen
beizustehen.

Alles, was Aufnahme und Bewirthung der Versammlung betraf, war mit
zweckmäßiger Umsicht und Benutzung der vorhandenen Mittel eingerichtet. Die
Sitzungen fanden in den schönen Räumen der Aula statt; auch für die orientalische
und die pädagogische Section, die sich mit der vielbesprochenen Frage des grie¬
chischen Unterrichts ausschließlich und bis zur Ermüdung der Mitglieder beschäf¬
tigte, waren passende Localitäten gewonnen; die Bibliothek und die sonstigen
Sammlungen waren mit bereitwilliger Liberalität zugänglich gemacht; die Wirthe,
die die Versammlung an den verschiedenen Mittagen und Abenden bei sich auf¬
nahmen, hatten ihre Locale festlich geschmückt: der aus der illustrirten Zeitung
bekannte Kronenwirtl) sogar mit Transparenten, lateinischen Scherzversen, ja, er
ging in seinem Eifer so weit, einmal bei der Tafel sich das Wort zu er¬
bitten und ein Kärtlein mit griechischem Spruch als Andenken zu verthei¬
len. Und warum hätte nicht auch er bei Tafel reden sollen, bei der so Viele
sprachen, Berufene und Unberufene? Unberufen auch Du, juristisch-Polititische
Große, einst die Zierde echt constttutioneller Studcuteufractionen, Clubs,
Ministerien und Zeitungen, treuer Aegidi, Du allezeit zum Sprechen und
Schreiben bereiter Nichtphilvlog, Nichtschulmann, Nichtorientalist, berufen vor
Allen der Heros deutscher Philologie, allgeehrt und allwillkommen, Both,
der des alten und des jungen Göttingens in feinem Vergleich gedenkend, letzterem
„ganz unpolitisch" ein Hoch brachte — zum Verdruss« freilich des ehrlichen Gerlach,
den er schon am Morgen in der Versammlung ob seines Aberglaubens katechisirt
und schnell zu halbem Rückzug gebracht hatte: aber bald erholte sich dieser, um
auch seinerseits einen langathmigen Toast auf die Georgia Augusta abzulesen, —
denn ihr galt er offenbar, nur wurde er mit merklicher Ausbiegung am Schlüsse
zum Toaste auf den Präsidenten. Am harmlosesten waren die Kneipereien mit
den Studenten im deutschen Hanse vor dem Thore, wo der Beweis geführt wurde,
daß Göttingen an der Theorie des alten Michaelis.mit Recht festhält, in dessen
vierbändigen „Raisonnement über die protestantischen Universitäten in Deutsch¬
land" es heißt, daß es nicht blos der Bequemlichkeit der Studirenden, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/280>, abgerufen am 27.09.2024.