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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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viel zu stark zurückliegt, wie auch über das Verschwommene, gleichsam Porzella¬
nene der Färbung -- mit Nachsicht hinwegsehen. Weniger können und dürfen
wir dies bei der bei weitem anspruchsvollern Cartonzeichnung (Ur. 71) derselben,
welche "das von Heiligen umgebene Jesuskind schlafend" darstellt. Hier tritt das
Verschwimmenlassen der Contoure und Mvdelirung in einer, an das Verblichene
streifenden Manier auf, die dadurch, daß sie dem Einzelnen jeden Charakter, jede
Kraft benimmt, das Ganze als schwächlich, körper- und wirkungslos erscheinen
läßt. --

Markiger und innerlich fester, wenn auch nicht ganz ohne die fühlbare Absicht
einen gewisse" Ernst von außen auf die Gestalten zu übertragen, erscheinen
dagegen die Figuren ans den (Ur. 117) "Cartons zu deu zwölf kleinen Propheten"
von G. Elch. Was sie außerdem "och auszeichnet, ist die schlichte Einfachheit
in den Gewändern. -- Ein ans derselben Wand befindlicher, in Aquarell und
Kreide ausgeführter Carton (Ur. 224.) von I. Hübner in Dresden fesselt unsre
Aufmerksamkeit durch seine geschmackvolle Anordnung. Da die Composition zum
Schmuck eines Fensters bestimmt war, das eine im Weinberge u. s. w. gelegene
Capelle zieren sollte, so lag hierin schon mehr oder weniger bedingt der Stoff
der Darstellung. Christus als Hauptfigur in der Mitte, ihm zur Rechten Maria,
zur Linken Johannes -- jede unter reich ornamentirendem, baldachinartig an¬
gebrachten Rankenwerk stehend -- sind Gestalten von poetischem Reiz. Wenn
gleich nicht ganz frei von jener typischen Darstellungsform, athmen sie dennoch
Innerlichkeit -- wirkliches Leben. Die unteren, kleineren Darstellungen, in denen
das Beschneiden des Weinstocks, das Keltern der Trauben und die Lohnzahlung
an die Winzer versinnlicht ist, sind mit Geist empfundene und mit feinem Sinn
für Charakteristik durchgeführte Genrebilder, ohne daß dadurch mit jenen darüber
schwebenden heiligen Gestalten irgendwie ein Widerspruch entstände. -- Haben
wir es auch hier mit einer allegorischen Darstellung zu thun, in der Christus
nach den Worten: "ich bin der Weinstock" den Mittelpunkt des Ganzen bildet,
auf die sich dann auch die durch Spruchbänder erläuterten Nebenbilder
beziehen, so tritt dagegen diese Symbolik so hinter das Gegenständliche zurück,
daß wir dies, auch ohne die Allegorie, in seiner Totalität erfassen können und
empfinden. Form und Färbung sind außerdem so innig mit dem Inhalt ver¬
schmolzen -- die Wirkung des Ganzen dadurch eine so harmonische, daß wir mit
vollständiger Befriedigung in der Anschauung desselben beharren., -- Wenden wir
uns von diesem Carton zu deu Oelgemälden des Künstlers, und zwar zunächst
zu jener schon von ferne durch ihre Ungeheuerlichkeit auffallende Komposition aus
der Offenbarung Johannis (Ur. 222.), "der Engel des Herrn zeigt dem greisen
Johannes die große Babylon auf dem siebenköpfigen Drachen", so macht diese
gleich im Moment des Davortretens stutzig. Wir sehen uns urplötzlich aus dem
Bereiche des Irdischen gewaltsam hinausgerückt in eine Fabelwelt, ohne daß


viel zu stark zurückliegt, wie auch über das Verschwommene, gleichsam Porzella¬
nene der Färbung — mit Nachsicht hinwegsehen. Weniger können und dürfen
wir dies bei der bei weitem anspruchsvollern Cartonzeichnung (Ur. 71) derselben,
welche „das von Heiligen umgebene Jesuskind schlafend" darstellt. Hier tritt das
Verschwimmenlassen der Contoure und Mvdelirung in einer, an das Verblichene
streifenden Manier auf, die dadurch, daß sie dem Einzelnen jeden Charakter, jede
Kraft benimmt, das Ganze als schwächlich, körper- und wirkungslos erscheinen
läßt. —

Markiger und innerlich fester, wenn auch nicht ganz ohne die fühlbare Absicht
einen gewisse» Ernst von außen auf die Gestalten zu übertragen, erscheinen
dagegen die Figuren ans den (Ur. 117) „Cartons zu deu zwölf kleinen Propheten"
von G. Elch. Was sie außerdem «och auszeichnet, ist die schlichte Einfachheit
in den Gewändern. — Ein ans derselben Wand befindlicher, in Aquarell und
Kreide ausgeführter Carton (Ur. 224.) von I. Hübner in Dresden fesselt unsre
Aufmerksamkeit durch seine geschmackvolle Anordnung. Da die Composition zum
Schmuck eines Fensters bestimmt war, das eine im Weinberge u. s. w. gelegene
Capelle zieren sollte, so lag hierin schon mehr oder weniger bedingt der Stoff
der Darstellung. Christus als Hauptfigur in der Mitte, ihm zur Rechten Maria,
zur Linken Johannes — jede unter reich ornamentirendem, baldachinartig an¬
gebrachten Rankenwerk stehend — sind Gestalten von poetischem Reiz. Wenn
gleich nicht ganz frei von jener typischen Darstellungsform, athmen sie dennoch
Innerlichkeit — wirkliches Leben. Die unteren, kleineren Darstellungen, in denen
das Beschneiden des Weinstocks, das Keltern der Trauben und die Lohnzahlung
an die Winzer versinnlicht ist, sind mit Geist empfundene und mit feinem Sinn
für Charakteristik durchgeführte Genrebilder, ohne daß dadurch mit jenen darüber
schwebenden heiligen Gestalten irgendwie ein Widerspruch entstände. — Haben
wir es auch hier mit einer allegorischen Darstellung zu thun, in der Christus
nach den Worten: „ich bin der Weinstock" den Mittelpunkt des Ganzen bildet,
auf die sich dann auch die durch Spruchbänder erläuterten Nebenbilder
beziehen, so tritt dagegen diese Symbolik so hinter das Gegenständliche zurück,
daß wir dies, auch ohne die Allegorie, in seiner Totalität erfassen können und
empfinden. Form und Färbung sind außerdem so innig mit dem Inhalt ver¬
schmolzen — die Wirkung des Ganzen dadurch eine so harmonische, daß wir mit
vollständiger Befriedigung in der Anschauung desselben beharren., — Wenden wir
uns von diesem Carton zu deu Oelgemälden des Künstlers, und zwar zunächst
zu jener schon von ferne durch ihre Ungeheuerlichkeit auffallende Komposition aus
der Offenbarung Johannis (Ur. 222.), „der Engel des Herrn zeigt dem greisen
Johannes die große Babylon auf dem siebenköpfigen Drachen", so macht diese
gleich im Moment des Davortretens stutzig. Wir sehen uns urplötzlich aus dem
Bereiche des Irdischen gewaltsam hinausgerückt in eine Fabelwelt, ohne daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/28>, abgerufen am 27.09.2024.