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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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guater sich noch einmal zu einem Mahle versammeln wollen, um zum großen Theile
noch denselben Nachmittag abzureisen, wenn man bemerkt, wie Präsident und Vice-
präsident, von denen der letztere noch mit einigen Worten die Verhandlungen schlie¬
ßen will, ängstlich zischeln, wie die Versammlung ungeduldiger und ungeduldiger
wird, nicht vou der Tribüne zu weichen, um zur Befürwortung der nationalgriechi¬
schen Aussprache in ihrer Anwendung auf das Altgriechische noch einen und immer noch
einen Laut abzuhandeln? bei aller Achtung und sonstiger Sympathie für Herrn Ellissen
müssen wir bekennen, daß wir ihm, dem im.parlamentarischen Leben Gewiegten, dem
gewandten, geistreichen, witzigen Redner -- Eigenschaften, die auch dieserVortrag kei¬
neswegs verläugnete -- einen solchen Mangel an Takt am wenigsten zugetraut hätten.
Die gediegensten und ansprechendsten Vorträge hielten sich auch in bescheidenen Grenzen.
Hervorzuheben sind hier Preller's, Oberbibliothekars in Weimar, in schnellem,
buntem Wechsel fast ex tcmpoes gegebene reiche Mittheilungen über seine in die¬
sem Frühjahre mit dem trefflichen Göttling und einem jungen Jenaer Aesthetikns,
der schließlich das Heimweh bekam, unternommene Neise nach Griechenland, und
Lauge's,' eines jüngern hiesigen Docenten, feine und originelle Andentungen über
Ziel und Methode der syntaktischen Forschung, die auch sür die Syntax Möglich¬
keit und Nutzen statistischer Beobachtungen nachwiesen, wie sie von anderer Seite
kürzlich für die Lautlehre angeregt sind. Interessant war es auch, in Besprechung
äschyleischer und sophokleischer Stellen die Art des Vortrags und der Behand¬
lung der alten Tragödie durch zwei ausgezeichnete Lehrer und Gelehrte, Schö-
mann aus Greifswald und unsern Schneidewin, kennen zu lernen und zu verglei¬
chen: bei jenem überwiegt das Element methodischer, die Schwierigkeiten nach
allen Seiten plan darlegender, mit gemessener Polemik erörternder und in ruhi¬
ger Erwägung die Resultate fixirender Interpretation, dieser legt den Hauptnach¬
druck ans die kritische Erörterung und. bewährte , anf's Neue seine Meisterschaft
durch einige glänzende Verbesserungen der verderbten Ueberlieferung des Textes
der Elektra; den reinsten Genuß aber vou Allem, was dargeboten wurde, ge¬
währte ein in der Formgebung bis in's Einzelnste vollendeter, von dem Gefühle
der ganzen Versammlung getragener Vortrag von Ernst Curtius, dem Begleiter
Otfried Müller S auf dessen letzter Neise durch Griechenland. Sinnig knüpfte er
die Erinnerung an den geliebten und großen Todten an eine Beschreibung der
Stätte seines Grabes und an die, ans genauer Bekanntschaft mit dem Lande selbst
hervorgehende Erörterung der Stelle des sophokleischeu Oedipus ans Kolonos,
die diese Localitäten schildert. Eröffnet und zum größern Theile geleitet -- ein
Theil der Leitung hatte der Präsident "willig unwilligen Herzens", wie Homer
sagt, dem Vicepräsidenten Schneidewin nach sonst üblichen Brauche überlassen --
wurden die Verhandlungen vom Professor Hermann; die Formalien wurden rite,
obwol in einiger Breite dabei absolvirt, die gleichfalls etwas gedehnte Einleitnugs-
rede behandelte die Fortschritte der Philologie in den letzten fünfzehn Jahren


guater sich noch einmal zu einem Mahle versammeln wollen, um zum großen Theile
noch denselben Nachmittag abzureisen, wenn man bemerkt, wie Präsident und Vice-
präsident, von denen der letztere noch mit einigen Worten die Verhandlungen schlie¬
ßen will, ängstlich zischeln, wie die Versammlung ungeduldiger und ungeduldiger
wird, nicht vou der Tribüne zu weichen, um zur Befürwortung der nationalgriechi¬
schen Aussprache in ihrer Anwendung auf das Altgriechische noch einen und immer noch
einen Laut abzuhandeln? bei aller Achtung und sonstiger Sympathie für Herrn Ellissen
müssen wir bekennen, daß wir ihm, dem im.parlamentarischen Leben Gewiegten, dem
gewandten, geistreichen, witzigen Redner — Eigenschaften, die auch dieserVortrag kei¬
neswegs verläugnete — einen solchen Mangel an Takt am wenigsten zugetraut hätten.
Die gediegensten und ansprechendsten Vorträge hielten sich auch in bescheidenen Grenzen.
Hervorzuheben sind hier Preller's, Oberbibliothekars in Weimar, in schnellem,
buntem Wechsel fast ex tcmpoes gegebene reiche Mittheilungen über seine in die¬
sem Frühjahre mit dem trefflichen Göttling und einem jungen Jenaer Aesthetikns,
der schließlich das Heimweh bekam, unternommene Neise nach Griechenland, und
Lauge's,' eines jüngern hiesigen Docenten, feine und originelle Andentungen über
Ziel und Methode der syntaktischen Forschung, die auch sür die Syntax Möglich¬
keit und Nutzen statistischer Beobachtungen nachwiesen, wie sie von anderer Seite
kürzlich für die Lautlehre angeregt sind. Interessant war es auch, in Besprechung
äschyleischer und sophokleischer Stellen die Art des Vortrags und der Behand¬
lung der alten Tragödie durch zwei ausgezeichnete Lehrer und Gelehrte, Schö-
mann aus Greifswald und unsern Schneidewin, kennen zu lernen und zu verglei¬
chen: bei jenem überwiegt das Element methodischer, die Schwierigkeiten nach
allen Seiten plan darlegender, mit gemessener Polemik erörternder und in ruhi¬
ger Erwägung die Resultate fixirender Interpretation, dieser legt den Hauptnach¬
druck ans die kritische Erörterung und. bewährte , anf's Neue seine Meisterschaft
durch einige glänzende Verbesserungen der verderbten Ueberlieferung des Textes
der Elektra; den reinsten Genuß aber vou Allem, was dargeboten wurde, ge¬
währte ein in der Formgebung bis in's Einzelnste vollendeter, von dem Gefühle
der ganzen Versammlung getragener Vortrag von Ernst Curtius, dem Begleiter
Otfried Müller S auf dessen letzter Neise durch Griechenland. Sinnig knüpfte er
die Erinnerung an den geliebten und großen Todten an eine Beschreibung der
Stätte seines Grabes und an die, ans genauer Bekanntschaft mit dem Lande selbst
hervorgehende Erörterung der Stelle des sophokleischeu Oedipus ans Kolonos,
die diese Localitäten schildert. Eröffnet und zum größern Theile geleitet — ein
Theil der Leitung hatte der Präsident „willig unwilligen Herzens", wie Homer
sagt, dem Vicepräsidenten Schneidewin nach sonst üblichen Brauche überlassen —
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[0279] guater sich noch einmal zu einem Mahle versammeln wollen, um zum großen Theile noch denselben Nachmittag abzureisen, wenn man bemerkt, wie Präsident und Vice- präsident, von denen der letztere noch mit einigen Worten die Verhandlungen schlie¬ ßen will, ängstlich zischeln, wie die Versammlung ungeduldiger und ungeduldiger wird, nicht vou der Tribüne zu weichen, um zur Befürwortung der nationalgriechi¬ schen Aussprache in ihrer Anwendung auf das Altgriechische noch einen und immer noch einen Laut abzuhandeln? bei aller Achtung und sonstiger Sympathie für Herrn Ellissen müssen wir bekennen, daß wir ihm, dem im.parlamentarischen Leben Gewiegten, dem gewandten, geistreichen, witzigen Redner — Eigenschaften, die auch dieserVortrag kei¬ neswegs verläugnete — einen solchen Mangel an Takt am wenigsten zugetraut hätten. Die gediegensten und ansprechendsten Vorträge hielten sich auch in bescheidenen Grenzen. Hervorzuheben sind hier Preller's, Oberbibliothekars in Weimar, in schnellem, buntem Wechsel fast ex tcmpoes gegebene reiche Mittheilungen über seine in die¬ sem Frühjahre mit dem trefflichen Göttling und einem jungen Jenaer Aesthetikns, der schließlich das Heimweh bekam, unternommene Neise nach Griechenland, und Lauge's,' eines jüngern hiesigen Docenten, feine und originelle Andentungen über Ziel und Methode der syntaktischen Forschung, die auch sür die Syntax Möglich¬ keit und Nutzen statistischer Beobachtungen nachwiesen, wie sie von anderer Seite kürzlich für die Lautlehre angeregt sind. Interessant war es auch, in Besprechung äschyleischer und sophokleischer Stellen die Art des Vortrags und der Behand¬ lung der alten Tragödie durch zwei ausgezeichnete Lehrer und Gelehrte, Schö- mann aus Greifswald und unsern Schneidewin, kennen zu lernen und zu verglei¬ chen: bei jenem überwiegt das Element methodischer, die Schwierigkeiten nach allen Seiten plan darlegender, mit gemessener Polemik erörternder und in ruhi¬ ger Erwägung die Resultate fixirender Interpretation, dieser legt den Hauptnach¬ druck ans die kritische Erörterung und. bewährte , anf's Neue seine Meisterschaft durch einige glänzende Verbesserungen der verderbten Ueberlieferung des Textes der Elektra; den reinsten Genuß aber vou Allem, was dargeboten wurde, ge¬ währte ein in der Formgebung bis in's Einzelnste vollendeter, von dem Gefühle der ganzen Versammlung getragener Vortrag von Ernst Curtius, dem Begleiter Otfried Müller S auf dessen letzter Neise durch Griechenland. Sinnig knüpfte er die Erinnerung an den geliebten und großen Todten an eine Beschreibung der Stätte seines Grabes und an die, ans genauer Bekanntschaft mit dem Lande selbst hervorgehende Erörterung der Stelle des sophokleischeu Oedipus ans Kolonos, die diese Localitäten schildert. Eröffnet und zum größern Theile geleitet — ein Theil der Leitung hatte der Präsident „willig unwilligen Herzens", wie Homer sagt, dem Vicepräsidenten Schneidewin nach sonst üblichen Brauche überlassen — wurden die Verhandlungen vom Professor Hermann; die Formalien wurden rite, obwol in einiger Breite dabei absolvirt, die gleichfalls etwas gedehnte Einleitnugs- rede behandelte die Fortschritte der Philologie in den letzten fünfzehn Jahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/279>, abgerufen am 27.09.2024.