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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Gebänden umgeben; die Hinterfront ist, wenn auch nicht angebaut, doch so dicht
port eiuer Mauer begrenzt, daß der Anblick behindert ist, der übrigens den der
vordern Seite lange nicht erreicht. Ans dem Platz steht außerdem der frühere
bischöfliche, jetzt königliche Palast, ein mächtiges Gebäude im Renaissancestyl, und
zwischen ihm und dem Dom die frühere kaiserliche Burg, klein, aber ein interessantes
Denkmal der Vorzeit. Die Erzbischöfe residiren in einiger Entfernung auf einem
kleinen Platze, in einem ansehnlichen Gebäude, das aber Nichts von der fürst¬
lichen Pracht dessen besitzt, das ihre Vorgänger als geistliche souveraine be¬
wohnten.

Die weitherrschende Länge der Michaelskirche auf der Spitze des Berges
verlockte mich heraufzusteigen, und in gewisser Beziehung ist sie der Besichtigung
nicht unwerth. Besonders ist der Gegensatz zum Dom interessant. Dort die
höhere Einfachheit einer glaubensmächtigen Zeit, hier die schwülstige Ueberladenheit,
flitterhaste Pracht und weichliche Sinnlichkeit, wie sie den Katholicismus des
vorigen Jahrhunderts charakterisiren. Die Michaelskirche ist von den Bischöfen
jener Epoche in der vollsten Ueppigkeit des Nococogeschmacks ausgeschmückt
worden. Diese Gemälde in der süßlichen und sinnlichen französischen Art, gold-
strotzende Sculpturen, die heilige Jungfrau im Costum einer Hofdame vou
Versailles, eine abgemagerte Christusfigur umhangen mit einem carmoisin-seidnen
Mantel --- ein Geschlecht konnte hier seine Andacht suchen, welches mit dem
Raffinement des Genusses selbst die Buße umgab. Auf deu plumpen Pfeilern
sind kleine Fresken, neuerdings aufgefrischt, die Leiden und Prüfungen des heiligen
Otto, dessen Grab in de.r Kirche ist, bei seiner Bekehrung der Pommern darstellend;
diese gänzlich rohen Abbildungen sonderbarer Legenden erscheinen neben dem ver¬
feinerten Ungeschmack des Uebrigen vou einer forcirten Naivetät. Die vornehme
Welt mochte sich an ihnen erbauen, wie sie heutzutage in anderer Beziehung,
wenn sie der Salvnnovelle müde ist, die Dorfgeschichte zur Hand nimmt.

Ich stieg noch zur Altenburg hinaus, die eine halbe Stunde südlich vor der
Stadt liegt; die Burg selbst hat nur ein historisches Interesse. Philipp von
Schwaben siel hier vou der Hand Otto's von Wittelsbach. Das Zimmer, in
dem der Kaiser, beim Schachspiel sitzend, ermordet wurde, wird gezeigt, und auf
dem jetzt gedielten Fußboden ist mit einem rothen Kreuz die Stelle bezeichnet,
wo er zu Boden gefallen sein soll. Man hat von der Höhe besonders, wenn
man den runden Thurm ersteigt, eine wahrhaft herrliche Aussicht. -- Unter sich
die Stadt vom Michaelsberg zum User der Regnitz herabfallend, die malerisch
gezackten Berge der fränkischen Schweiz zur Rechten, vor'sich das weite, frucht¬
bare Mainthal, die blauen Umrisse der Rohr am nördlichen Horizont, nach allen
Seiten einen freien Blick in weite Ferne, das wundervolle Ponorama des
Frankenlandes breitet sich vor den Füßen des Beschauers aus. Noch einen letzten


Gebänden umgeben; die Hinterfront ist, wenn auch nicht angebaut, doch so dicht
port eiuer Mauer begrenzt, daß der Anblick behindert ist, der übrigens den der
vordern Seite lange nicht erreicht. Ans dem Platz steht außerdem der frühere
bischöfliche, jetzt königliche Palast, ein mächtiges Gebäude im Renaissancestyl, und
zwischen ihm und dem Dom die frühere kaiserliche Burg, klein, aber ein interessantes
Denkmal der Vorzeit. Die Erzbischöfe residiren in einiger Entfernung auf einem
kleinen Platze, in einem ansehnlichen Gebäude, das aber Nichts von der fürst¬
lichen Pracht dessen besitzt, das ihre Vorgänger als geistliche souveraine be¬
wohnten.

Die weitherrschende Länge der Michaelskirche auf der Spitze des Berges
verlockte mich heraufzusteigen, und in gewisser Beziehung ist sie der Besichtigung
nicht unwerth. Besonders ist der Gegensatz zum Dom interessant. Dort die
höhere Einfachheit einer glaubensmächtigen Zeit, hier die schwülstige Ueberladenheit,
flitterhaste Pracht und weichliche Sinnlichkeit, wie sie den Katholicismus des
vorigen Jahrhunderts charakterisiren. Die Michaelskirche ist von den Bischöfen
jener Epoche in der vollsten Ueppigkeit des Nococogeschmacks ausgeschmückt
worden. Diese Gemälde in der süßlichen und sinnlichen französischen Art, gold-
strotzende Sculpturen, die heilige Jungfrau im Costum einer Hofdame vou
Versailles, eine abgemagerte Christusfigur umhangen mit einem carmoisin-seidnen
Mantel -— ein Geschlecht konnte hier seine Andacht suchen, welches mit dem
Raffinement des Genusses selbst die Buße umgab. Auf deu plumpen Pfeilern
sind kleine Fresken, neuerdings aufgefrischt, die Leiden und Prüfungen des heiligen
Otto, dessen Grab in de.r Kirche ist, bei seiner Bekehrung der Pommern darstellend;
diese gänzlich rohen Abbildungen sonderbarer Legenden erscheinen neben dem ver¬
feinerten Ungeschmack des Uebrigen vou einer forcirten Naivetät. Die vornehme
Welt mochte sich an ihnen erbauen, wie sie heutzutage in anderer Beziehung,
wenn sie der Salvnnovelle müde ist, die Dorfgeschichte zur Hand nimmt.

Ich stieg noch zur Altenburg hinaus, die eine halbe Stunde südlich vor der
Stadt liegt; die Burg selbst hat nur ein historisches Interesse. Philipp von
Schwaben siel hier vou der Hand Otto's von Wittelsbach. Das Zimmer, in
dem der Kaiser, beim Schachspiel sitzend, ermordet wurde, wird gezeigt, und auf
dem jetzt gedielten Fußboden ist mit einem rothen Kreuz die Stelle bezeichnet,
wo er zu Boden gefallen sein soll. Man hat von der Höhe besonders, wenn
man den runden Thurm ersteigt, eine wahrhaft herrliche Aussicht. — Unter sich
die Stadt vom Michaelsberg zum User der Regnitz herabfallend, die malerisch
gezackten Berge der fränkischen Schweiz zur Rechten, vor'sich das weite, frucht¬
bare Mainthal, die blauen Umrisse der Rohr am nördlichen Horizont, nach allen
Seiten einen freien Blick in weite Ferne, das wundervolle Ponorama des
Frankenlandes breitet sich vor den Füßen des Beschauers aus. Noch einen letzten


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[0276] Gebänden umgeben; die Hinterfront ist, wenn auch nicht angebaut, doch so dicht port eiuer Mauer begrenzt, daß der Anblick behindert ist, der übrigens den der vordern Seite lange nicht erreicht. Ans dem Platz steht außerdem der frühere bischöfliche, jetzt königliche Palast, ein mächtiges Gebäude im Renaissancestyl, und zwischen ihm und dem Dom die frühere kaiserliche Burg, klein, aber ein interessantes Denkmal der Vorzeit. Die Erzbischöfe residiren in einiger Entfernung auf einem kleinen Platze, in einem ansehnlichen Gebäude, das aber Nichts von der fürst¬ lichen Pracht dessen besitzt, das ihre Vorgänger als geistliche souveraine be¬ wohnten. Die weitherrschende Länge der Michaelskirche auf der Spitze des Berges verlockte mich heraufzusteigen, und in gewisser Beziehung ist sie der Besichtigung nicht unwerth. Besonders ist der Gegensatz zum Dom interessant. Dort die höhere Einfachheit einer glaubensmächtigen Zeit, hier die schwülstige Ueberladenheit, flitterhaste Pracht und weichliche Sinnlichkeit, wie sie den Katholicismus des vorigen Jahrhunderts charakterisiren. Die Michaelskirche ist von den Bischöfen jener Epoche in der vollsten Ueppigkeit des Nococogeschmacks ausgeschmückt worden. Diese Gemälde in der süßlichen und sinnlichen französischen Art, gold- strotzende Sculpturen, die heilige Jungfrau im Costum einer Hofdame vou Versailles, eine abgemagerte Christusfigur umhangen mit einem carmoisin-seidnen Mantel -— ein Geschlecht konnte hier seine Andacht suchen, welches mit dem Raffinement des Genusses selbst die Buße umgab. Auf deu plumpen Pfeilern sind kleine Fresken, neuerdings aufgefrischt, die Leiden und Prüfungen des heiligen Otto, dessen Grab in de.r Kirche ist, bei seiner Bekehrung der Pommern darstellend; diese gänzlich rohen Abbildungen sonderbarer Legenden erscheinen neben dem ver¬ feinerten Ungeschmack des Uebrigen vou einer forcirten Naivetät. Die vornehme Welt mochte sich an ihnen erbauen, wie sie heutzutage in anderer Beziehung, wenn sie der Salvnnovelle müde ist, die Dorfgeschichte zur Hand nimmt. Ich stieg noch zur Altenburg hinaus, die eine halbe Stunde südlich vor der Stadt liegt; die Burg selbst hat nur ein historisches Interesse. Philipp von Schwaben siel hier vou der Hand Otto's von Wittelsbach. Das Zimmer, in dem der Kaiser, beim Schachspiel sitzend, ermordet wurde, wird gezeigt, und auf dem jetzt gedielten Fußboden ist mit einem rothen Kreuz die Stelle bezeichnet, wo er zu Boden gefallen sein soll. Man hat von der Höhe besonders, wenn man den runden Thurm ersteigt, eine wahrhaft herrliche Aussicht. — Unter sich die Stadt vom Michaelsberg zum User der Regnitz herabfallend, die malerisch gezackten Berge der fränkischen Schweiz zur Rechten, vor'sich das weite, frucht¬ bare Mainthal, die blauen Umrisse der Rohr am nördlichen Horizont, nach allen Seiten einen freien Blick in weite Ferne, das wundervolle Ponorama des Frankenlandes breitet sich vor den Füßen des Beschauers aus. Noch einen letzten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/276>, abgerufen am 27.09.2024.