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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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verzichtend, auf ein einfaches Cvtelett oder Beefsteak beschränken, so kommt man
vollends ans dem Regen in die Traufe. Ich wurde das erste Mal durch die
Erscheinung eines Kalbscotelettö in eine freudige, aber nur kurze Täuschung ver¬
setzt; das Aeußere war geschickt und trügerisch nachgebildet, mit einem wirklichen
Cotelett jedoch hatte es nicht mehr Ähnlichkeit, als die Dampfschiffe, welche die
Chinesen den englischen nachmachten, mit den wirklichen Dampfschiffen. Sie
sahen eben so aus, hatten aber keine Maschine und wurden nicht mit Dampf ge¬
trieben. Mein Kalbscotelett war, wie ich bald entdeckte, uur eine Zusammen¬
setzung fleischähnlicher Bestandtheile, für einen norddeutschen Gaumen ungenießbar. -
Das Komische bei alledem ist, daß die Bayern, wie alle Süddeutschen, mit tiefem
Mitleiden ans Preußen, namentlich auf Berlin, als ein wahres Land der Hunger¬
leider blicken, und glauben, daß man es beinhnen, wenn man von dort käme,
nnn mal recht gut habe. Bei der großen Billigkeit der Lebensmittel mag dies
für die ärmere Klasse nicht unwahr sein; wer aber auf eine uur etwas gebildetere
Küche Anspruch macht, bereite siel) auf harte Entbehrungen vor. Das Bier,
das wir übrigens in Berlin und Leipzig fast besser trinken -- denn das eMdirte
wird stärker gebraut -- obwol es ein wohlthuendes Gefühl ist, es für ein Drittel
des Preises zu haben, kann allein dafür nicht entschädigen; man mag vielleicht
im Bier seinen Kammer ersäufen können, aber nicht seinen Hunger.

In voller Mondbeleuchtung sah ich Nürnberg zum ersten Mal und verließ
es, als die frühesten Strahlen der Morgensonne seine Thurmspitzen vergoldeten.
DaS mächtige Bahnhofsgebäude ist im altdeutschen Geschmack ausgeführt und
steht somit in voller Harmonie mit dem Eindruck der Stadt und ihrer alterthüm¬
lichen Mauern. Ich fuhr mit dein ersten Frühzug, der nach Hof hinauf ging,
verließ ihn aber in Bamberg, um dieser Stadt, vor Allem jedoch ihrem herr¬
lichen Dom einen halben Tag zu widmen. Ich wanderte durch die Straßen,
ungefähr der Richtung folgend, in der ich vom Bahnhof ans die Thürme des
Doms gesehen hatte; die Stadt gewährte ein lebhaftes und anziehendes Bild,
das indeß nichts mit dem gemein hatte, das ich in Nürnberg gefunden. Der
Charakter ihrer Bauart gehört einer spätern Zeit an, dem 17. und 18. Jahr¬
hundert. Das Rathhaus, aus einer kleinen Insel der Regnitz gelegen, die von
beiden Seiten sein Fundament umspült, ist von außen mit etwas verblichenen
Frescobildern in der Nococomanicr bedeckt. Da es in den Frühstunden eines
Markttages war, so füllte die Hauptstraßen dichtes Getümmel und reger Verkehr;
erst als ich mich der Gegend des Domes näherte, wurde es einsamer. Als ich
von der Stadt heraufsteigend den weiten Platz erreichte, dessen eine Seite er
bildet, gewahrte ich zuerst seine großartige Vorderfront. Ich verzichte darauf, die
Erhabenheit des Eindrucks zu schildern, den sie aus mich machte; zum ersten Mal
sah ich den romanischen Styl in seiner vollendeten Schönheit. Der Dom ist
von gelbem Sandstein gebant, der im Lauf der Jahrhunderte eine etwas unent-


verzichtend, auf ein einfaches Cvtelett oder Beefsteak beschränken, so kommt man
vollends ans dem Regen in die Traufe. Ich wurde das erste Mal durch die
Erscheinung eines Kalbscotelettö in eine freudige, aber nur kurze Täuschung ver¬
setzt; das Aeußere war geschickt und trügerisch nachgebildet, mit einem wirklichen
Cotelett jedoch hatte es nicht mehr Ähnlichkeit, als die Dampfschiffe, welche die
Chinesen den englischen nachmachten, mit den wirklichen Dampfschiffen. Sie
sahen eben so aus, hatten aber keine Maschine und wurden nicht mit Dampf ge¬
trieben. Mein Kalbscotelett war, wie ich bald entdeckte, uur eine Zusammen¬
setzung fleischähnlicher Bestandtheile, für einen norddeutschen Gaumen ungenießbar. -
Das Komische bei alledem ist, daß die Bayern, wie alle Süddeutschen, mit tiefem
Mitleiden ans Preußen, namentlich auf Berlin, als ein wahres Land der Hunger¬
leider blicken, und glauben, daß man es beinhnen, wenn man von dort käme,
nnn mal recht gut habe. Bei der großen Billigkeit der Lebensmittel mag dies
für die ärmere Klasse nicht unwahr sein; wer aber auf eine uur etwas gebildetere
Küche Anspruch macht, bereite siel) auf harte Entbehrungen vor. Das Bier,
das wir übrigens in Berlin und Leipzig fast besser trinken — denn das eMdirte
wird stärker gebraut — obwol es ein wohlthuendes Gefühl ist, es für ein Drittel
des Preises zu haben, kann allein dafür nicht entschädigen; man mag vielleicht
im Bier seinen Kammer ersäufen können, aber nicht seinen Hunger.

In voller Mondbeleuchtung sah ich Nürnberg zum ersten Mal und verließ
es, als die frühesten Strahlen der Morgensonne seine Thurmspitzen vergoldeten.
DaS mächtige Bahnhofsgebäude ist im altdeutschen Geschmack ausgeführt und
steht somit in voller Harmonie mit dem Eindruck der Stadt und ihrer alterthüm¬
lichen Mauern. Ich fuhr mit dein ersten Frühzug, der nach Hof hinauf ging,
verließ ihn aber in Bamberg, um dieser Stadt, vor Allem jedoch ihrem herr¬
lichen Dom einen halben Tag zu widmen. Ich wanderte durch die Straßen,
ungefähr der Richtung folgend, in der ich vom Bahnhof ans die Thürme des
Doms gesehen hatte; die Stadt gewährte ein lebhaftes und anziehendes Bild,
das indeß nichts mit dem gemein hatte, das ich in Nürnberg gefunden. Der
Charakter ihrer Bauart gehört einer spätern Zeit an, dem 17. und 18. Jahr¬
hundert. Das Rathhaus, aus einer kleinen Insel der Regnitz gelegen, die von
beiden Seiten sein Fundament umspült, ist von außen mit etwas verblichenen
Frescobildern in der Nococomanicr bedeckt. Da es in den Frühstunden eines
Markttages war, so füllte die Hauptstraßen dichtes Getümmel und reger Verkehr;
erst als ich mich der Gegend des Domes näherte, wurde es einsamer. Als ich
von der Stadt heraufsteigend den weiten Platz erreichte, dessen eine Seite er
bildet, gewahrte ich zuerst seine großartige Vorderfront. Ich verzichte darauf, die
Erhabenheit des Eindrucks zu schildern, den sie aus mich machte; zum ersten Mal
sah ich den romanischen Styl in seiner vollendeten Schönheit. Der Dom ist
von gelbem Sandstein gebant, der im Lauf der Jahrhunderte eine etwas unent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/274>, abgerufen am 27.09.2024.