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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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nicht ein unmittelbar drohender Angriff dazu zwang, so that dies desto mehr die
unsichere Stimmung des Volkes, das er durch eine zu offene Darlegung seiner nu¬
merischen Schwäche, indem er außer dem Norden ganz Frankreich von Truppen
entblößte, nicht noch wankender machen dürfte. So kam es denn, daß er gegen
.die ihm kampffertig entgegenstehende Armee Wellington's und Blücher's von
220,000 Maun nur -130,000 Mann aufzuwenden hatte. Dennoch mußte er sich
mit dieser so bedeutenden Mindermacht zum Augriff entschließen, da er nur durch
glänzende Thaten die Begeisterung im Volke wecken konnte, welche allein im
Stande war, die Zwietracht der Factionen im Zaum zu halten. Auch mußte er
schnell und entscheidend siegen, damit der Keim der Uneinigkeit und Unentschlos-
senheit, der stets in großen Koalitionen liegt, durch die Furcht vor seinem Glück
und seinem Genie gezeitigt werde, und in seiner weitern Entwickelung zu ihrem
Zerfall führe, ohne daß er nöthig hatte, gegen ihre erdrückende Uebermacht einen
hoffnungslosen offenen Kampf zu beginnen. Ein halber Sieg verlängerte nur
deu Krieg, in welchem jeden Tag jene Uebermacht seiner Feinde großer wurde.
Diese Verhältnisse erklären die meisten Maßnahmen Napoleon's.

Das vereinigte englisch-preußische Heer war längst ans alle Eventualitäten
gerüstet. Schon Anfang Mai hatte Wellington und Blücher in Se. Tron be¬
stimmte Verabredungen über ihre Bewegungen getroffen, mochte sich nun Napo¬
leon zuerst gegen die Engländer oder die Preuße" wenden. Die Preußen stan¬
den im Maasthale und konnten sich innerhalb zwei Tagen bei Namur versammeln,
wenn ihnen ihre bei Charlervi an der Sambre und Ciney jenseits der Maas
aufgestellten Avantgardeucvrps Nachricht von dem Angriff der Franzosen gaben.
Wellington stand in einer sehr weit ausgedehnten Stellung, nach einigen Kri¬
tikern zu vorsichtig um seine rechte Flanke besorgt, zur Deckung von Brüssel vou
Mons bis an's Meer, und konnte nicht unter vier bis fünf Tagen sammeln.
Daraus entstand der Uebelstand, daß, als Blücher verabredeter Maßen nach dem
Angriff der Franzosen bei sondres Stellung nahm, die versprochene Mitwirkung
Wellington's nicht eintreten konnte. Die Engländer und die ihnen verbündeten
Niederländer, Hannoveraner ze. hatten 99,000 Maun, die Preußen uuter Blücher
113,000 Manu; außerdem waren ihm noch 20,000 norddeutsche Bundestruppen
zugewiesen, sie standen aber noch zu weit zurück (bei Trier), um irgendwie auf
die Entscheidung einzuwirken.

Schon vom 6. Juni, an feste sich die französische Armee gegen die nieder¬
ländische Grenze in Bewegung, aber erst am 14. erfuhr mau mit Bestimmtheit
in den beiden Hauptquartieren ihre Concentration hinter der Sambre. Blücher
versammelte seine Truppen sogleich bei sondres, mit Ausnahme des Bülow'schen
Corps', das seine Befehle durch ein Mißverständniß zu spar erhielt und einen
Marsch zurückblieb. Wellington, immer noch um seinen rechten Flügel besorgt, konnte
sich noch zu keinem entscheidenden Schritte entschließen, selbst als schon Ziethen


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nicht ein unmittelbar drohender Angriff dazu zwang, so that dies desto mehr die
unsichere Stimmung des Volkes, das er durch eine zu offene Darlegung seiner nu¬
merischen Schwäche, indem er außer dem Norden ganz Frankreich von Truppen
entblößte, nicht noch wankender machen dürfte. So kam es denn, daß er gegen
.die ihm kampffertig entgegenstehende Armee Wellington's und Blücher's von
220,000 Maun nur -130,000 Mann aufzuwenden hatte. Dennoch mußte er sich
mit dieser so bedeutenden Mindermacht zum Augriff entschließen, da er nur durch
glänzende Thaten die Begeisterung im Volke wecken konnte, welche allein im
Stande war, die Zwietracht der Factionen im Zaum zu halten. Auch mußte er
schnell und entscheidend siegen, damit der Keim der Uneinigkeit und Unentschlos-
senheit, der stets in großen Koalitionen liegt, durch die Furcht vor seinem Glück
und seinem Genie gezeitigt werde, und in seiner weitern Entwickelung zu ihrem
Zerfall führe, ohne daß er nöthig hatte, gegen ihre erdrückende Uebermacht einen
hoffnungslosen offenen Kampf zu beginnen. Ein halber Sieg verlängerte nur
deu Krieg, in welchem jeden Tag jene Uebermacht seiner Feinde großer wurde.
Diese Verhältnisse erklären die meisten Maßnahmen Napoleon's.

Das vereinigte englisch-preußische Heer war längst ans alle Eventualitäten
gerüstet. Schon Anfang Mai hatte Wellington und Blücher in Se. Tron be¬
stimmte Verabredungen über ihre Bewegungen getroffen, mochte sich nun Napo¬
leon zuerst gegen die Engländer oder die Preuße» wenden. Die Preußen stan¬
den im Maasthale und konnten sich innerhalb zwei Tagen bei Namur versammeln,
wenn ihnen ihre bei Charlervi an der Sambre und Ciney jenseits der Maas
aufgestellten Avantgardeucvrps Nachricht von dem Angriff der Franzosen gaben.
Wellington stand in einer sehr weit ausgedehnten Stellung, nach einigen Kri¬
tikern zu vorsichtig um seine rechte Flanke besorgt, zur Deckung von Brüssel vou
Mons bis an's Meer, und konnte nicht unter vier bis fünf Tagen sammeln.
Daraus entstand der Uebelstand, daß, als Blücher verabredeter Maßen nach dem
Angriff der Franzosen bei sondres Stellung nahm, die versprochene Mitwirkung
Wellington's nicht eintreten konnte. Die Engländer und die ihnen verbündeten
Niederländer, Hannoveraner ze. hatten 99,000 Maun, die Preußen uuter Blücher
113,000 Manu; außerdem waren ihm noch 20,000 norddeutsche Bundestruppen
zugewiesen, sie standen aber noch zu weit zurück (bei Trier), um irgendwie auf
die Entscheidung einzuwirken.

Schon vom 6. Juni, an feste sich die französische Armee gegen die nieder¬
ländische Grenze in Bewegung, aber erst am 14. erfuhr mau mit Bestimmtheit
in den beiden Hauptquartieren ihre Concentration hinter der Sambre. Blücher
versammelte seine Truppen sogleich bei sondres, mit Ausnahme des Bülow'schen
Corps', das seine Befehle durch ein Mißverständniß zu spar erhielt und einen
Marsch zurückblieb. Wellington, immer noch um seinen rechten Flügel besorgt, konnte
sich noch zu keinem entscheidenden Schritte entschließen, selbst als schon Ziethen


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[0253] nicht ein unmittelbar drohender Angriff dazu zwang, so that dies desto mehr die unsichere Stimmung des Volkes, das er durch eine zu offene Darlegung seiner nu¬ merischen Schwäche, indem er außer dem Norden ganz Frankreich von Truppen entblößte, nicht noch wankender machen dürfte. So kam es denn, daß er gegen .die ihm kampffertig entgegenstehende Armee Wellington's und Blücher's von 220,000 Maun nur -130,000 Mann aufzuwenden hatte. Dennoch mußte er sich mit dieser so bedeutenden Mindermacht zum Augriff entschließen, da er nur durch glänzende Thaten die Begeisterung im Volke wecken konnte, welche allein im Stande war, die Zwietracht der Factionen im Zaum zu halten. Auch mußte er schnell und entscheidend siegen, damit der Keim der Uneinigkeit und Unentschlos- senheit, der stets in großen Koalitionen liegt, durch die Furcht vor seinem Glück und seinem Genie gezeitigt werde, und in seiner weitern Entwickelung zu ihrem Zerfall führe, ohne daß er nöthig hatte, gegen ihre erdrückende Uebermacht einen hoffnungslosen offenen Kampf zu beginnen. Ein halber Sieg verlängerte nur deu Krieg, in welchem jeden Tag jene Uebermacht seiner Feinde großer wurde. Diese Verhältnisse erklären die meisten Maßnahmen Napoleon's. Das vereinigte englisch-preußische Heer war längst ans alle Eventualitäten gerüstet. Schon Anfang Mai hatte Wellington und Blücher in Se. Tron be¬ stimmte Verabredungen über ihre Bewegungen getroffen, mochte sich nun Napo¬ leon zuerst gegen die Engländer oder die Preuße» wenden. Die Preußen stan¬ den im Maasthale und konnten sich innerhalb zwei Tagen bei Namur versammeln, wenn ihnen ihre bei Charlervi an der Sambre und Ciney jenseits der Maas aufgestellten Avantgardeucvrps Nachricht von dem Angriff der Franzosen gaben. Wellington stand in einer sehr weit ausgedehnten Stellung, nach einigen Kri¬ tikern zu vorsichtig um seine rechte Flanke besorgt, zur Deckung von Brüssel vou Mons bis an's Meer, und konnte nicht unter vier bis fünf Tagen sammeln. Daraus entstand der Uebelstand, daß, als Blücher verabredeter Maßen nach dem Angriff der Franzosen bei sondres Stellung nahm, die versprochene Mitwirkung Wellington's nicht eintreten konnte. Die Engländer und die ihnen verbündeten Niederländer, Hannoveraner ze. hatten 99,000 Maun, die Preußen uuter Blücher 113,000 Manu; außerdem waren ihm noch 20,000 norddeutsche Bundestruppen zugewiesen, sie standen aber noch zu weit zurück (bei Trier), um irgendwie auf die Entscheidung einzuwirken. Schon vom 6. Juni, an feste sich die französische Armee gegen die nieder¬ ländische Grenze in Bewegung, aber erst am 14. erfuhr mau mit Bestimmtheit in den beiden Hauptquartieren ihre Concentration hinter der Sambre. Blücher versammelte seine Truppen sogleich bei sondres, mit Ausnahme des Bülow'schen Corps', das seine Befehle durch ein Mißverständniß zu spar erhielt und einen Marsch zurückblieb. Wellington, immer noch um seinen rechten Flügel besorgt, konnte sich noch zu keinem entscheidenden Schritte entschließen, selbst als schon Ziethen 31 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/253>, abgerufen am 20.10.2024.