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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Standes ist. Sie ist der wüste Alp, der jetzt auf der deutschen Handelspolitik
lastet. Man hat der Phantasie in einer ernsten Sache, wo sie nicht hin gehört,
allzubereitwillig Gehör geschenkt, und in solchen Fallen ist man meistens wenig
geneigt, dem gesunden Menschenverstande eine Stimme zu gewähren. So ist
man in eine Sackgasse gerannt, in der man ohne Schaden nicht vorwärts,
und mit Ehren nicht rückwärts gehen kann. Oder weiß man doch noch
einen Ausweg? O ja, das Director'inen des Zndustrievereins in Chemnitz weiß
einen: der Steucrverein und Oestreich sollen sich an den Zollverein anschließen. Der
Gedanke ist sehr schön, aber nicht ganz originell: er erinnert zu sehr an die
Schusterjungen in einer kleinen deutschen Residenz, die in, deu schönen Märztagen
vor das Schloß ihres gnädigen Landesherrn zogen, und als ihre Märzforderung
die Losung hinanfbrüllten: ,,Preßfreiheit und Eensnr! Alles wollen wir haben!"
Sie haben sich ja blos lächerlich gemacht.

Es ist hohe Zeit, daß dieses Gespenst der Zolleinignng mit Oestreich endlich
einmal herumzuspuken aufhört: es hat schon Unheil genug angerichtet. Habe
.man doch einmal den Muth zu sagen, wie es mit der deutschen Einheit steht,
die man wol oft genug im Munde führt, aber nicht im Herzen trägt. Sie ist
nicht so vorhanden, wie man sie darstellt. Das ist ans politischem Gebiet nicht
anders wie ans dem industriellen und mercantilen. Als ob jemals zwei solche
Mächte, wie Oestreich und Preußen, die beide eine Weltstellung beanspruchen
-- und mit Recht -- die zwar nicht unbedingt feindselige, aber doch in den mei¬
sten Fällen sehr weit auseinander gehende Interessen haben -- zu gleicher Zeit
Theilnehmer an einem Vereine sein könnten, der, selbst ohne die Vorbedingun¬
gen politischer Selbstthätigkeit, jetzt das Werkzeug der rindn, dann das Werk¬
zeug der autem acht Großen 'ist, stets die eine zum Hemmschuh der Pläne der
andern benutzen und die Hauptfinanzquelle einer Großmacht unter die Controle einer
andern möglicherweise feindseligen stellen möchte. Das wäre eine politische Monstro¬
sität. Es handelt sich nicht um eine Zvlleinigung von ganz Deutschland inclusive
Oestreich, sondern es ist nur zwischen den beiden zuwählen: Zolleinignng mit Preu¬
ßen ohne Oestreich, oder Zolleinignng mit Oestreich ohne Preußen. Wo für
den Fabrikanten der reichere Consument wohnt, haben wir oben gezeigt, wo für
den Staat und seinen Finanzen der solidere Compagnon zu finden ist, wei.ß jedes
Kind. Wenn es deutsche Staaten giebt, die sich durchaus enger an Oestreich
schließen müssen, so mögen sie es thun. Aber Sachsen ist unter diesen Staaten
nicht. Alle seine Lebensadern laufen in den Norden hinüber, und es würde sich
verbluten, wollte man es von dort loslösen.

Und doch ist die Gefahr da, wenn nicht bald ein glücklicher Stern hilft.
Noch trösten Einige mit Hannovers möglichem Rücktritt, aber Hannover kann
nicht zurücktreten, wenn es sich keinen Vorbehalt in geheimen Artikeln gemacht
hat, und geheime und selbst allergeheimste Artikel pflegen heut zu Tage nicht


Standes ist. Sie ist der wüste Alp, der jetzt auf der deutschen Handelspolitik
lastet. Man hat der Phantasie in einer ernsten Sache, wo sie nicht hin gehört,
allzubereitwillig Gehör geschenkt, und in solchen Fallen ist man meistens wenig
geneigt, dem gesunden Menschenverstande eine Stimme zu gewähren. So ist
man in eine Sackgasse gerannt, in der man ohne Schaden nicht vorwärts,
und mit Ehren nicht rückwärts gehen kann. Oder weiß man doch noch
einen Ausweg? O ja, das Director'inen des Zndustrievereins in Chemnitz weiß
einen: der Steucrverein und Oestreich sollen sich an den Zollverein anschließen. Der
Gedanke ist sehr schön, aber nicht ganz originell: er erinnert zu sehr an die
Schusterjungen in einer kleinen deutschen Residenz, die in, deu schönen Märztagen
vor das Schloß ihres gnädigen Landesherrn zogen, und als ihre Märzforderung
die Losung hinanfbrüllten: ,,Preßfreiheit und Eensnr! Alles wollen wir haben!"
Sie haben sich ja blos lächerlich gemacht.

Es ist hohe Zeit, daß dieses Gespenst der Zolleinignng mit Oestreich endlich
einmal herumzuspuken aufhört: es hat schon Unheil genug angerichtet. Habe
.man doch einmal den Muth zu sagen, wie es mit der deutschen Einheit steht,
die man wol oft genug im Munde führt, aber nicht im Herzen trägt. Sie ist
nicht so vorhanden, wie man sie darstellt. Das ist ans politischem Gebiet nicht
anders wie ans dem industriellen und mercantilen. Als ob jemals zwei solche
Mächte, wie Oestreich und Preußen, die beide eine Weltstellung beanspruchen
— und mit Recht — die zwar nicht unbedingt feindselige, aber doch in den mei¬
sten Fällen sehr weit auseinander gehende Interessen haben — zu gleicher Zeit
Theilnehmer an einem Vereine sein könnten, der, selbst ohne die Vorbedingun¬
gen politischer Selbstthätigkeit, jetzt das Werkzeug der rindn, dann das Werk¬
zeug der autem acht Großen 'ist, stets die eine zum Hemmschuh der Pläne der
andern benutzen und die Hauptfinanzquelle einer Großmacht unter die Controle einer
andern möglicherweise feindseligen stellen möchte. Das wäre eine politische Monstro¬
sität. Es handelt sich nicht um eine Zvlleinigung von ganz Deutschland inclusive
Oestreich, sondern es ist nur zwischen den beiden zuwählen: Zolleinignng mit Preu¬
ßen ohne Oestreich, oder Zolleinignng mit Oestreich ohne Preußen. Wo für
den Fabrikanten der reichere Consument wohnt, haben wir oben gezeigt, wo für
den Staat und seinen Finanzen der solidere Compagnon zu finden ist, wei.ß jedes
Kind. Wenn es deutsche Staaten giebt, die sich durchaus enger an Oestreich
schließen müssen, so mögen sie es thun. Aber Sachsen ist unter diesen Staaten
nicht. Alle seine Lebensadern laufen in den Norden hinüber, und es würde sich
verbluten, wollte man es von dort loslösen.

Und doch ist die Gefahr da, wenn nicht bald ein glücklicher Stern hilft.
Noch trösten Einige mit Hannovers möglichem Rücktritt, aber Hannover kann
nicht zurücktreten, wenn es sich keinen Vorbehalt in geheimen Artikeln gemacht
hat, und geheime und selbst allergeheimste Artikel pflegen heut zu Tage nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/83>, abgerufen am 22.12.2024.