Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.lohnung erbitten. Ueberhaupt streift kein Straßenindustriezweig so sehr wie dieser Bei der zahlreichen älterlosen Straßenjugend -- Einige sprechen von 10, lohnung erbitten. Ueberhaupt streift kein Straßenindustriezweig so sehr wie dieser Bei der zahlreichen älterlosen Straßenjugend — Einige sprechen von 10, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94954"/> <p xml:id="ID_1507" prev="#ID_1506"> lohnung erbitten. Ueberhaupt streift kein Straßenindustriezweig so sehr wie dieser<lb/> in das Betteln hinüber.</p><lb/> <p xml:id="ID_1508" next="#ID_1509"> Bei der zahlreichen älterlosen Straßenjugend — Einige sprechen von 10,<lb/> Andere von 20,000 Kindern auf den Straßen Londons — die sich durch allerlei<lb/> kleine, dem Publicum geleistete Dienste, wie Pferdehalten, Fiacreholen, Packettragcn,<lb/> Kehren der Straßenübergänge, Stiefelputzen n. f. w. kümmerlich ernährt, können<lb/> wir uns hier nicht aufhalten. Ihre Industrie hat nichts Eigenthümliches vor der<lb/> gleichartigen anderer großen Städte voraus. Dagegen hat sich der Handel mit<lb/> abgelegten Kleidungsstücken aller Art zu eiuer Großartigkeit entwickelt, die schwer¬<lb/> lich wo anders ihres Gleichen finden wird. Wie allerwärts ist er vorzugsweise<lb/> in deu Händen der Juden, obgleich ihnen seit einiger Zeit die Jrländer gefähr¬<lb/> liche Concurrenten sind. Der Handel mit alten Kleidern ist so bedeutend, daß<lb/> man für nöthig befunden hat, eine besondere Börse für ihn zu errichten. Dies<lb/> ist Old Cloth Exchange, in Hvuudsditch, dem Judenviertel. Es ist ein-großer<lb/> viereckiger Platz, ungefähr einen englischen Acker groß, von einem Breterverschlag<lb/> von 8 Fuß Höhe, oben mit einem einwärts gesenkten Wetterdach, unter dem gerade<lb/> eine Person Platz findet, umgeben. Aus dem Platze stehen vier Reihen doppelte<lb/> Bänke, mit dem Rücken gegen einander gekehrt. Hier kommen alle Händler mit<lb/> alten Kleidern, alten Schuhen, Regenschirmen, Hasenfellen u. f. w. zusammen.<lb/> Etwas vor drei Uhr sangen die Verkäufer an sich einzusenden. An der Thür<lb/> steht Barney Aron, der die halben Pence für den Einlaß einnimmt, und neben<lb/> ihm sein Sohn mit einem ledernen Beutel voll Halbpence, um nöthigenfalls zu<lb/> wechseln. Der eigenthümliche Gestank nach alten Kleidern ist wahrhaft über¬<lb/> wältigend. Jeder trägt die schlechtesten Kleider, die er hat, und fast jeder An¬<lb/> kömmling hat einen großen Sack ans dem Rücken, und kaum ist er zur Pforte<lb/> hinein, so umdrängen ihn schon ein Dutzend schreiender Juden. Einer betastet<lb/> den Sack, um zu sühlen, was er enthält, ein Anderer feilscht um das Recht, den<lb/> Inhalt zuerst anzusehen, und Jeder überbietet den Andern in lärmender Leiden¬<lb/> schaftlichkeit, ein Geschäft zu machen. Kaum gelingt es dem Verkäufer, den Sack<lb/> auf dem Rücken zu behalten. Endlich drängt er sich zu einem Sitz durch, und<lb/> nun wird der Inhalt des Sackes auf dem Boden ausgeschüttet, wobei jedes ein¬<lb/> zelne Stück von den Juden, die ihm nach seinem Platz gefolgt sind, hastig weg¬<lb/> gerissen und untersucht wird. Daun fragen alle wirr durch einander, was dieser<lb/> und jener Artikel kostet, und Alle ohne Ausnahme bieten das Viertel des Ge¬<lb/> forderten. Und nun geht das Feilschen mit leidenschaftlichem Gekreisch und Ge¬<lb/> berden los. Sie plappern und schreien und heulen, und packen sich, und möchten<lb/> sich um einen Farthing die Augen ausreißen. Dann wird wieder einmal die<lb/> Luft von Beinen und Aermeln verdunkelt, die der Käufer zur bessern Besichtigung<lb/> emporhält. Er tastet mit dem Finger und spähet mit dem Auge, und entdeckt<lb/> kahle Stellen, und Flicken, und mikroskopische Löcher, und riecht blan- und schwarz-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0513]
lohnung erbitten. Ueberhaupt streift kein Straßenindustriezweig so sehr wie dieser
in das Betteln hinüber.
Bei der zahlreichen älterlosen Straßenjugend — Einige sprechen von 10,
Andere von 20,000 Kindern auf den Straßen Londons — die sich durch allerlei
kleine, dem Publicum geleistete Dienste, wie Pferdehalten, Fiacreholen, Packettragcn,
Kehren der Straßenübergänge, Stiefelputzen n. f. w. kümmerlich ernährt, können
wir uns hier nicht aufhalten. Ihre Industrie hat nichts Eigenthümliches vor der
gleichartigen anderer großen Städte voraus. Dagegen hat sich der Handel mit
abgelegten Kleidungsstücken aller Art zu eiuer Großartigkeit entwickelt, die schwer¬
lich wo anders ihres Gleichen finden wird. Wie allerwärts ist er vorzugsweise
in deu Händen der Juden, obgleich ihnen seit einiger Zeit die Jrländer gefähr¬
liche Concurrenten sind. Der Handel mit alten Kleidern ist so bedeutend, daß
man für nöthig befunden hat, eine besondere Börse für ihn zu errichten. Dies
ist Old Cloth Exchange, in Hvuudsditch, dem Judenviertel. Es ist ein-großer
viereckiger Platz, ungefähr einen englischen Acker groß, von einem Breterverschlag
von 8 Fuß Höhe, oben mit einem einwärts gesenkten Wetterdach, unter dem gerade
eine Person Platz findet, umgeben. Aus dem Platze stehen vier Reihen doppelte
Bänke, mit dem Rücken gegen einander gekehrt. Hier kommen alle Händler mit
alten Kleidern, alten Schuhen, Regenschirmen, Hasenfellen u. f. w. zusammen.
Etwas vor drei Uhr sangen die Verkäufer an sich einzusenden. An der Thür
steht Barney Aron, der die halben Pence für den Einlaß einnimmt, und neben
ihm sein Sohn mit einem ledernen Beutel voll Halbpence, um nöthigenfalls zu
wechseln. Der eigenthümliche Gestank nach alten Kleidern ist wahrhaft über¬
wältigend. Jeder trägt die schlechtesten Kleider, die er hat, und fast jeder An¬
kömmling hat einen großen Sack ans dem Rücken, und kaum ist er zur Pforte
hinein, so umdrängen ihn schon ein Dutzend schreiender Juden. Einer betastet
den Sack, um zu sühlen, was er enthält, ein Anderer feilscht um das Recht, den
Inhalt zuerst anzusehen, und Jeder überbietet den Andern in lärmender Leiden¬
schaftlichkeit, ein Geschäft zu machen. Kaum gelingt es dem Verkäufer, den Sack
auf dem Rücken zu behalten. Endlich drängt er sich zu einem Sitz durch, und
nun wird der Inhalt des Sackes auf dem Boden ausgeschüttet, wobei jedes ein¬
zelne Stück von den Juden, die ihm nach seinem Platz gefolgt sind, hastig weg¬
gerissen und untersucht wird. Daun fragen alle wirr durch einander, was dieser
und jener Artikel kostet, und Alle ohne Ausnahme bieten das Viertel des Ge¬
forderten. Und nun geht das Feilschen mit leidenschaftlichem Gekreisch und Ge¬
berden los. Sie plappern und schreien und heulen, und packen sich, und möchten
sich um einen Farthing die Augen ausreißen. Dann wird wieder einmal die
Luft von Beinen und Aermeln verdunkelt, die der Käufer zur bessern Besichtigung
emporhält. Er tastet mit dem Finger und spähet mit dem Auge, und entdeckt
kahle Stellen, und Flicken, und mikroskopische Löcher, und riecht blan- und schwarz-
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