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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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kommt ein Mann herbeigeeilt, eine Kanne mit heißem Kaffee in jeder Hand, und
auf dem Kopfe ein Tischchen, "ut wenn er dies aufgestellt und die Tassen auf
dem steinernem Unterbau des Gitters placirt hat, bläst er in sein Kohlenfeuer,
daß die hellen Funken herumfliegen. Die Käufer finden sich jetzt ein in jedem
Stadium der Zerlnmptheit. Sie laufen vor dem Thore hin und her, um sich
zu wärmen, stampfen mit den nackten Füßen, und reiben sich die Hände. Manche
Knaben haben große Handkörbe wie Schaubhüte über den Kopf gestülpt; andere
trügen sie aus dem Rücken; ein kleines Mädchen mit durchlöchertem, dünnem Kleid¬
chen hat in den frostblauen Händen ein zerbogenes und verrostetes Theebret.
Einige von den armen Teufeln haben sich den Kaffeeschenken zum Freunde ge¬
macht, und dürfen sich die Hände an seinem Feuer wärmen, wo sie von der un¬
gewohnten Hitze schläfrig werden und gähnen. Schlag fünf Uhr fängt der Markt
^n. Die Verkäuferinnen, denn der Kressenhandel wird sast ausschließlich durch
Frauen betrieben, haben sich allmählich eingefunden. In Mäntel über den dicken
Shawls eingehüllt, und die Hände unter den Schürzen wärmend, sitzen sie hinter
ihren großen Körben mit dunkelgrüner Kresse gefüllt, in deren Mitte ein Licht
brennt. Um jeden Korb drängt sich alsbald eine schwarze Schaar, begierig die
Köpfe zusammensteckend, um die Waare zu besehe" und zu feilschen. Es han¬
delt sich stets nur um einen Kauf von wenigen Peucer, aber die Krcsscnwciber
scheinen sehr gutmüthiger Natur zu sein, denn nicht selten schenken sie einem armen
Kunden ein Paar Bündel Kresse zum Verkauf. Allmählich wird es hell, die
Tauben zeigen sich auf deu Straße", und der Laternenmann kommt, um das Gas
abzudrehen. Jetzt wird Alles rühriger. Die Kinder schreien, wenn man sie auf
die nackten Füße tritt, und die Frauen eilen fort, in der Schurze oder im Rocke
ihre Kresse, und ein Büschel Binsen in der Hand, um Sträuße zu binde". I"
einer Ecke des Markes hocke" wohl el" Dutzend kleiner Mädchen auf deu Steine",
sortiren ihre Kresse, werfen das Untaugliche weg, daß der Boden ringsum mit
grünen Blättern bedeckt ist, und binden das Gute zu kleineren Bündeln. Andere
waschen ihre Waare an der Pumpe, und ordnen sie in die Körbe, die fast so zer¬
rissen sind wie ihre Kleider. Sie rufen sie schon dnrch alle Straßen ans, wenn die
Hausmädchen noch die Fnßmatten vor der Thür ausklopfe", und die Handwerker
mit ihre" Werkzeugkasten auf die Arbeit eilen. Um zehn Uhr Vormittags hört
der Absatz auf. Von: Farringdonmarkt allein werden 6^/2 Million Bund jährlich
auf den Straßen verkauft, und es beschäftigen sich mindestens 700 Personen
damit; der wöchentliche Verdienst beträgt aber kaum 3 öl.

Aber nicht blos die Beikost zum Frühstück, sondern Frühstück, Mittagsbrod
und Abendmahlzeit kann man in London ans den Straßen kaufen. Zum Früh¬
stück ist Kaffee, Thee oder Kakao zu haben, zum Mittagsmahl gesottener Aal
oder Erbsensuppe, ein Lieblingsgericht der Engländer, und gebratene oder viel¬
mehr gebackene Kartoffeln, zum Abendbrod Fleischpasteten aller Art, oder die


kommt ein Mann herbeigeeilt, eine Kanne mit heißem Kaffee in jeder Hand, und
auf dem Kopfe ein Tischchen, »ut wenn er dies aufgestellt und die Tassen auf
dem steinernem Unterbau des Gitters placirt hat, bläst er in sein Kohlenfeuer,
daß die hellen Funken herumfliegen. Die Käufer finden sich jetzt ein in jedem
Stadium der Zerlnmptheit. Sie laufen vor dem Thore hin und her, um sich
zu wärmen, stampfen mit den nackten Füßen, und reiben sich die Hände. Manche
Knaben haben große Handkörbe wie Schaubhüte über den Kopf gestülpt; andere
trügen sie aus dem Rücken; ein kleines Mädchen mit durchlöchertem, dünnem Kleid¬
chen hat in den frostblauen Händen ein zerbogenes und verrostetes Theebret.
Einige von den armen Teufeln haben sich den Kaffeeschenken zum Freunde ge¬
macht, und dürfen sich die Hände an seinem Feuer wärmen, wo sie von der un¬
gewohnten Hitze schläfrig werden und gähnen. Schlag fünf Uhr fängt der Markt
^n. Die Verkäuferinnen, denn der Kressenhandel wird sast ausschließlich durch
Frauen betrieben, haben sich allmählich eingefunden. In Mäntel über den dicken
Shawls eingehüllt, und die Hände unter den Schürzen wärmend, sitzen sie hinter
ihren großen Körben mit dunkelgrüner Kresse gefüllt, in deren Mitte ein Licht
brennt. Um jeden Korb drängt sich alsbald eine schwarze Schaar, begierig die
Köpfe zusammensteckend, um die Waare zu besehe» und zu feilschen. Es han¬
delt sich stets nur um einen Kauf von wenigen Peucer, aber die Krcsscnwciber
scheinen sehr gutmüthiger Natur zu sein, denn nicht selten schenken sie einem armen
Kunden ein Paar Bündel Kresse zum Verkauf. Allmählich wird es hell, die
Tauben zeigen sich auf deu Straße», und der Laternenmann kommt, um das Gas
abzudrehen. Jetzt wird Alles rühriger. Die Kinder schreien, wenn man sie auf
die nackten Füße tritt, und die Frauen eilen fort, in der Schurze oder im Rocke
ihre Kresse, und ein Büschel Binsen in der Hand, um Sträuße zu binde». I»
einer Ecke des Markes hocke» wohl el» Dutzend kleiner Mädchen auf deu Steine»,
sortiren ihre Kresse, werfen das Untaugliche weg, daß der Boden ringsum mit
grünen Blättern bedeckt ist, und binden das Gute zu kleineren Bündeln. Andere
waschen ihre Waare an der Pumpe, und ordnen sie in die Körbe, die fast so zer¬
rissen sind wie ihre Kleider. Sie rufen sie schon dnrch alle Straßen ans, wenn die
Hausmädchen noch die Fnßmatten vor der Thür ausklopfe», und die Handwerker
mit ihre» Werkzeugkasten auf die Arbeit eilen. Um zehn Uhr Vormittags hört
der Absatz auf. Von: Farringdonmarkt allein werden 6^/2 Million Bund jährlich
auf den Straßen verkauft, und es beschäftigen sich mindestens 700 Personen
damit; der wöchentliche Verdienst beträgt aber kaum 3 öl.

Aber nicht blos die Beikost zum Frühstück, sondern Frühstück, Mittagsbrod
und Abendmahlzeit kann man in London ans den Straßen kaufen. Zum Früh¬
stück ist Kaffee, Thee oder Kakao zu haben, zum Mittagsmahl gesottener Aal
oder Erbsensuppe, ein Lieblingsgericht der Engländer, und gebratene oder viel¬
mehr gebackene Kartoffeln, zum Abendbrod Fleischpasteten aller Art, oder die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/471>, abgerufen am 22.12.2024.