Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.chen, inwiefern es zweckmäßig ist, mit dem wissenschaftlichen Unterricht auch Unterricht Vom Ernst gehen wir auf den Spaß über: Das Schachturnier zu London S*
chen, inwiefern es zweckmäßig ist, mit dem wissenschaftlichen Unterricht auch Unterricht Vom Ernst gehen wir auf den Spaß über: Das Schachturnier zu London S*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94488"/> <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> chen, inwiefern es zweckmäßig ist, mit dem wissenschaftlichen Unterricht auch Unterricht<lb/> in Handarbeiten zu verknüpfen, was ja in Mädchenschulen ohnehin geschieht. Die Be¬<lb/> antwortung dieser Frage wird sich aber schwerlich anders, als nach den localen und<lb/> sonstigen Bedingungen geben lassen. In einem Punkt stimmen wir mit dem Verfasser<lb/> vollkommen überein, in dem großen Gewicht, welches er aus das militärische Exer-<lb/> ciren des Knaben legt, und welches auch nach unsrer Ansicht in den Turnstnnden die<lb/> Hauptsache ausmachen muß. — Im Uebrigen aber möchten wir alle Reformatoren im<lb/> Gebiet der Pädagogik daran erinnern, daß sie durch Uebertreibungen ihrer Sache scha¬<lb/> den. Seit Lorinser ist es an vielen Orten eine feststehende Ansicht, daß unsre gegen¬<lb/> wärtigen Schulen die Knaben Physisch zu Grunde richten. Daß eine Zusammenhäufung<lb/> großer Massen in einem engen Raume (z. B. 80—100 in einer Klasse) theils un¬<lb/> mittelbar, theils, durch die Erschwerung der Aussicht, nachtheilig aus die Gesundheit<lb/> wirken kann, ist freilich unbestreitbar, und Verbesserungen sind in dieser Hinficht dringend<lb/> nothwendig. Wenn man aber behauptet, das Stillsitzen von i—ü Stunden täglich<lb/> sei ein sich schädlich, so läßt man sich wol verleiten, das für schädlich anzunehmen, was<lb/> unbequem ist. Freilich ist das Stillsitzen, so wie das Auswendiglernen und das Schrei¬<lb/> ben, dem feurigen Knaben höchst unbequem, und er rächt sich dafür an dem Lehrer<lb/> durch jenen kleinen Krieg, der übrigens gar nicht so nachtheilig ist, namentlich wenn<lb/> der Lehrer durch einen festen Willen den Sieg davon trägt. Aber jene Unbequemlich¬<lb/> keit ist ja gerade'ein wesentliches Moment der Erziehung, und die häufig vorkommen¬<lb/> den Verwilderungen in dem Loben vornehmer Stände rühren zum großen Theil davon<lb/> her, daß fie in der Jugend nicht gelernt haben zu gehorchen, und Unbequemlichkeiten<lb/> auch wider ihren Willen zu ertragen. — Uebrigens scheint bei' vielen dieser Klagen<lb/> vergessen zu werden, was man selber als Kind gethan hat. Wie haben wir alle ohne<lb/> Ausnahme unsre lieben Aeltern und Lehrer belogen über die schrecklichen Anstrengungen,<lb/> die uns aufgebürdet wurden. Wenn man sich einmal lebhaft in jene Zeit zurück ver¬<lb/> setzen wollte, so sollte man doch wol dahinter kommen, daß die Hälfte dieser Klagen<lb/> leerer Wind ist. Wenn wir uns in unsrer Jugend umsehen, so erscheint uns die Welt<lb/> doch noch nicht wie ein Hospital; wo ein Haufe Studenten oder junger Kaufleute und<lb/> Handwerker beisammen find, zeigt sich doch jedesmal, daß die Schule noch nicht alle<lb/> Manneskraft unterdrückt hat. Was das spätere Bureau-, Handwerks- und Fabrikleben<lb/> versündigt, geht die Schule Nichts an.</p><lb/> <p xml:id="ID_100" next="#ID_101"> Vom Ernst gehen wir auf den Spaß über: Das Schachturnier zu London<lb/> im Jahr 18S1. Berlin, Veit u. Comp. — In der Politik haben wir Deutschen in<lb/> den letzte» Jahren eine Menge Niederlagen erlitten; unsre innere wie unsre äußere<lb/> Politik hat unter Mitwirkung des Auslandes ein klägliches Ende genommen. Dafür<lb/> haben wir uns im Schach gerächt. Wir haben die Engländer und Franzosen geschlagen,<lb/> und was Gagern, Bincke und Radowitz unmöglich war, hat Unterseen geleistet. Das<lb/> Schachspiel ist die sonderbarste Art von Freimauerei; es bietet für seine Eingeweiheten<lb/> nicht blos in Europa, sondern eben so in Asien und Amerika den Schlüssel zu augen¬<lb/> blicklich befreundeten Kreisen. Schon darum verdient es die sorgfältige Pflege, die ihm<lb/> von allen Seiten zu Theil wird, und wenn es uns auch zuweilen etwas sonderbar vor¬<lb/> kommt, daß man ein Spiel mit allem Ernst und aller Gründlichkeit einer Wissenschaft<lb/> behandelt, so ist doch auch das wieder eine schone Seite der menschlichen Natur. —</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> S*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
chen, inwiefern es zweckmäßig ist, mit dem wissenschaftlichen Unterricht auch Unterricht
in Handarbeiten zu verknüpfen, was ja in Mädchenschulen ohnehin geschieht. Die Be¬
antwortung dieser Frage wird sich aber schwerlich anders, als nach den localen und
sonstigen Bedingungen geben lassen. In einem Punkt stimmen wir mit dem Verfasser
vollkommen überein, in dem großen Gewicht, welches er aus das militärische Exer-
ciren des Knaben legt, und welches auch nach unsrer Ansicht in den Turnstnnden die
Hauptsache ausmachen muß. — Im Uebrigen aber möchten wir alle Reformatoren im
Gebiet der Pädagogik daran erinnern, daß sie durch Uebertreibungen ihrer Sache scha¬
den. Seit Lorinser ist es an vielen Orten eine feststehende Ansicht, daß unsre gegen¬
wärtigen Schulen die Knaben Physisch zu Grunde richten. Daß eine Zusammenhäufung
großer Massen in einem engen Raume (z. B. 80—100 in einer Klasse) theils un¬
mittelbar, theils, durch die Erschwerung der Aussicht, nachtheilig aus die Gesundheit
wirken kann, ist freilich unbestreitbar, und Verbesserungen sind in dieser Hinficht dringend
nothwendig. Wenn man aber behauptet, das Stillsitzen von i—ü Stunden täglich
sei ein sich schädlich, so läßt man sich wol verleiten, das für schädlich anzunehmen, was
unbequem ist. Freilich ist das Stillsitzen, so wie das Auswendiglernen und das Schrei¬
ben, dem feurigen Knaben höchst unbequem, und er rächt sich dafür an dem Lehrer
durch jenen kleinen Krieg, der übrigens gar nicht so nachtheilig ist, namentlich wenn
der Lehrer durch einen festen Willen den Sieg davon trägt. Aber jene Unbequemlich¬
keit ist ja gerade'ein wesentliches Moment der Erziehung, und die häufig vorkommen¬
den Verwilderungen in dem Loben vornehmer Stände rühren zum großen Theil davon
her, daß fie in der Jugend nicht gelernt haben zu gehorchen, und Unbequemlichkeiten
auch wider ihren Willen zu ertragen. — Uebrigens scheint bei' vielen dieser Klagen
vergessen zu werden, was man selber als Kind gethan hat. Wie haben wir alle ohne
Ausnahme unsre lieben Aeltern und Lehrer belogen über die schrecklichen Anstrengungen,
die uns aufgebürdet wurden. Wenn man sich einmal lebhaft in jene Zeit zurück ver¬
setzen wollte, so sollte man doch wol dahinter kommen, daß die Hälfte dieser Klagen
leerer Wind ist. Wenn wir uns in unsrer Jugend umsehen, so erscheint uns die Welt
doch noch nicht wie ein Hospital; wo ein Haufe Studenten oder junger Kaufleute und
Handwerker beisammen find, zeigt sich doch jedesmal, daß die Schule noch nicht alle
Manneskraft unterdrückt hat. Was das spätere Bureau-, Handwerks- und Fabrikleben
versündigt, geht die Schule Nichts an.
Vom Ernst gehen wir auf den Spaß über: Das Schachturnier zu London
im Jahr 18S1. Berlin, Veit u. Comp. — In der Politik haben wir Deutschen in
den letzte» Jahren eine Menge Niederlagen erlitten; unsre innere wie unsre äußere
Politik hat unter Mitwirkung des Auslandes ein klägliches Ende genommen. Dafür
haben wir uns im Schach gerächt. Wir haben die Engländer und Franzosen geschlagen,
und was Gagern, Bincke und Radowitz unmöglich war, hat Unterseen geleistet. Das
Schachspiel ist die sonderbarste Art von Freimauerei; es bietet für seine Eingeweiheten
nicht blos in Europa, sondern eben so in Asien und Amerika den Schlüssel zu augen¬
blicklich befreundeten Kreisen. Schon darum verdient es die sorgfältige Pflege, die ihm
von allen Seiten zu Theil wird, und wenn es uns auch zuweilen etwas sonderbar vor¬
kommt, daß man ein Spiel mit allem Ernst und aller Gründlichkeit einer Wissenschaft
behandelt, so ist doch auch das wieder eine schone Seite der menschlichen Natur. —
S*
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