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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Neffe Ramean's. Die Oper ward in der Nacht fertig, und am folgenden Abend
nach Paris geschickt, wo' sie bald im italienischen Theater aufgeführt wurde.
Mavollier und Dnri machten einige Veränderungen daran und ließen ihren Na¬
men auf den Zettel setzen. ' Cazotte erhielt blos freien Eintritt dafür und Ra-
meau gar nichts. Von wie vielen seiner Zeitgenossen mochte Ramecm nicht aus¬
gebeutet worden sein! -- Die Literatur liegt hier im Argen, denn trotz der politischen
Apathie und trotz der Grabesstille, welche in der Tagespresse herrscht, kann doch
"eben dem politischen kein anderer Gedanke aufkeimen. So ist es auch begreiflich, daß
die Publicationen der verschiedensten Art spurlos vorübergehen, und daß nur
Bücher wie Proudhon's: I^a rsvolution soLi-us und Hugo's UaMvon le Mit,
wirkliches Aussehen machen. Trotz des Verbotes von Hugo's Pamphlet cursirt
es bereits in vielen tausend Exemplaren, und wird mit einer Begierde ver-
Ichlungen, welche der Neiz des Verbotes natürlicherweise steigern muß. Proudhon
betrachtet die Ereignisse von einem höhern Standpunkte, er giebt eine Philosophie
der Geschichte des zweiten Decembers; Victor Hugo hingegen hat nicht aufgehört,
Parteimann zu sein. Proudhon weist die Nothwendigkeit der letzten Ereignisse
Fortentwickelung der Revolution nach; Victor Hugo hält sich an die Kleinheit
der Helden. Pr.oudhon ist Kritiker, Victor Hugo ist Dichter und sucht dem Ge¬
fühle der allgemeinen Entrüstung sein beredtes Wort zu leihen. Victor
Hugo's Buch läßt sich als eine unbewußte Zusammenstellung alles dessen geben,
^cis über Louis Bonaparte und sein Verbrechen wie über seine Mitschuldigen
^ Frankreich gesagt worden. Stellenweise erhebt er sich zur Leidenschaft, und
sein beredter Zorn erreicht dann die Größe der Kläglichkeit dessen, was Frank¬
reich seine neueste Geschichte nennen muß. Ich halte es für nothwendig, den
deutschen Lesern, denen die französischen Bücher, wenigstens das von Hugo, leichter
zugänglich ist, als uns hier, diese Bemerkungen zu machen, weil sie den Eindruck
schildern, den Proudhon und Hugo hier machen. ^) Proudhon spricht mit Ruhe,
Moeller mit Resignation, aber seine Ironie ist noch schneidender, weil sie aus
dem Wesen der gegenwärtigen Verhältnisse entspringt und ganz objectiv ist. Victor
Hugo^kann die Reminiscenzen seiner Jugend-Poesie nicht vergessen, er vergöttert
noch immer Napoleon den Großen. Proudhon greift den Onkel an, und bringt
eine Auseinandersetzung der auteur-historischen Nichtigkeit desselben: den Neffen
beseitigt er mit einem Worte: es sei ihm ein reicher Onkel in Amerika gestorben.
"Vn onels mort aux lief!" Die Franzosen verschlingen beide Brochüren mit
Heißhunger, und Hugo's Buch geht reißend um den Preis von zehn Franken ab.
Das Wichtigste in beiden Büchern ist die Conclnsion. Hugo wie Proudhon an¬
erkennen die sociale Bedeutung der Rolle Louis Bonaparte's. Das Großartige



*) Auf diesen Punkt macht auch die Redaction vorzugsweise aufmerksam; im Uevrigen
möchte die "socialistische" Lösung doch immer uoch die gesuchte Wurzel einer Gleichung zehnreu
Grades sein.'
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Neffe Ramean's. Die Oper ward in der Nacht fertig, und am folgenden Abend
nach Paris geschickt, wo' sie bald im italienischen Theater aufgeführt wurde.
Mavollier und Dnri machten einige Veränderungen daran und ließen ihren Na¬
men auf den Zettel setzen. ' Cazotte erhielt blos freien Eintritt dafür und Ra-
meau gar nichts. Von wie vielen seiner Zeitgenossen mochte Ramecm nicht aus¬
gebeutet worden sein! — Die Literatur liegt hier im Argen, denn trotz der politischen
Apathie und trotz der Grabesstille, welche in der Tagespresse herrscht, kann doch
»eben dem politischen kein anderer Gedanke aufkeimen. So ist es auch begreiflich, daß
die Publicationen der verschiedensten Art spurlos vorübergehen, und daß nur
Bücher wie Proudhon's: I^a rsvolution soLi-us und Hugo's UaMvon le Mit,
wirkliches Aussehen machen. Trotz des Verbotes von Hugo's Pamphlet cursirt
es bereits in vielen tausend Exemplaren, und wird mit einer Begierde ver-
Ichlungen, welche der Neiz des Verbotes natürlicherweise steigern muß. Proudhon
betrachtet die Ereignisse von einem höhern Standpunkte, er giebt eine Philosophie
der Geschichte des zweiten Decembers; Victor Hugo hingegen hat nicht aufgehört,
Parteimann zu sein. Proudhon weist die Nothwendigkeit der letzten Ereignisse
Fortentwickelung der Revolution nach; Victor Hugo hält sich an die Kleinheit
der Helden. Pr.oudhon ist Kritiker, Victor Hugo ist Dichter und sucht dem Ge¬
fühle der allgemeinen Entrüstung sein beredtes Wort zu leihen. Victor
Hugo's Buch läßt sich als eine unbewußte Zusammenstellung alles dessen geben,
^cis über Louis Bonaparte und sein Verbrechen wie über seine Mitschuldigen
^ Frankreich gesagt worden. Stellenweise erhebt er sich zur Leidenschaft, und
sein beredter Zorn erreicht dann die Größe der Kläglichkeit dessen, was Frank¬
reich seine neueste Geschichte nennen muß. Ich halte es für nothwendig, den
deutschen Lesern, denen die französischen Bücher, wenigstens das von Hugo, leichter
zugänglich ist, als uns hier, diese Bemerkungen zu machen, weil sie den Eindruck
schildern, den Proudhon und Hugo hier machen. ^) Proudhon spricht mit Ruhe,
Moeller mit Resignation, aber seine Ironie ist noch schneidender, weil sie aus
dem Wesen der gegenwärtigen Verhältnisse entspringt und ganz objectiv ist. Victor
Hugo^kann die Reminiscenzen seiner Jugend-Poesie nicht vergessen, er vergöttert
noch immer Napoleon den Großen. Proudhon greift den Onkel an, und bringt
eine Auseinandersetzung der auteur-historischen Nichtigkeit desselben: den Neffen
beseitigt er mit einem Worte: es sei ihm ein reicher Onkel in Amerika gestorben.
»Vn onels mort aux lief!" Die Franzosen verschlingen beide Brochüren mit
Heißhunger, und Hugo's Buch geht reißend um den Preis von zehn Franken ab.
Das Wichtigste in beiden Büchern ist die Conclnsion. Hugo wie Proudhon an¬
erkennen die sociale Bedeutung der Rolle Louis Bonaparte's. Das Großartige



*) Auf diesen Punkt macht auch die Redaction vorzugsweise aufmerksam; im Uevrigen
möchte die „socialistische" Lösung doch immer uoch die gesuchte Wurzel einer Gleichung zehnreu
Grades sein.'
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[0439] Neffe Ramean's. Die Oper ward in der Nacht fertig, und am folgenden Abend nach Paris geschickt, wo' sie bald im italienischen Theater aufgeführt wurde. Mavollier und Dnri machten einige Veränderungen daran und ließen ihren Na¬ men auf den Zettel setzen. ' Cazotte erhielt blos freien Eintritt dafür und Ra- meau gar nichts. Von wie vielen seiner Zeitgenossen mochte Ramecm nicht aus¬ gebeutet worden sein! — Die Literatur liegt hier im Argen, denn trotz der politischen Apathie und trotz der Grabesstille, welche in der Tagespresse herrscht, kann doch »eben dem politischen kein anderer Gedanke aufkeimen. So ist es auch begreiflich, daß die Publicationen der verschiedensten Art spurlos vorübergehen, und daß nur Bücher wie Proudhon's: I^a rsvolution soLi-us und Hugo's UaMvon le Mit, wirkliches Aussehen machen. Trotz des Verbotes von Hugo's Pamphlet cursirt es bereits in vielen tausend Exemplaren, und wird mit einer Begierde ver- Ichlungen, welche der Neiz des Verbotes natürlicherweise steigern muß. Proudhon betrachtet die Ereignisse von einem höhern Standpunkte, er giebt eine Philosophie der Geschichte des zweiten Decembers; Victor Hugo hingegen hat nicht aufgehört, Parteimann zu sein. Proudhon weist die Nothwendigkeit der letzten Ereignisse Fortentwickelung der Revolution nach; Victor Hugo hält sich an die Kleinheit der Helden. Pr.oudhon ist Kritiker, Victor Hugo ist Dichter und sucht dem Ge¬ fühle der allgemeinen Entrüstung sein beredtes Wort zu leihen. Victor Hugo's Buch läßt sich als eine unbewußte Zusammenstellung alles dessen geben, ^cis über Louis Bonaparte und sein Verbrechen wie über seine Mitschuldigen ^ Frankreich gesagt worden. Stellenweise erhebt er sich zur Leidenschaft, und sein beredter Zorn erreicht dann die Größe der Kläglichkeit dessen, was Frank¬ reich seine neueste Geschichte nennen muß. Ich halte es für nothwendig, den deutschen Lesern, denen die französischen Bücher, wenigstens das von Hugo, leichter zugänglich ist, als uns hier, diese Bemerkungen zu machen, weil sie den Eindruck schildern, den Proudhon und Hugo hier machen. ^) Proudhon spricht mit Ruhe, Moeller mit Resignation, aber seine Ironie ist noch schneidender, weil sie aus dem Wesen der gegenwärtigen Verhältnisse entspringt und ganz objectiv ist. Victor Hugo^kann die Reminiscenzen seiner Jugend-Poesie nicht vergessen, er vergöttert noch immer Napoleon den Großen. Proudhon greift den Onkel an, und bringt eine Auseinandersetzung der auteur-historischen Nichtigkeit desselben: den Neffen beseitigt er mit einem Worte: es sei ihm ein reicher Onkel in Amerika gestorben. »Vn onels mort aux lief!" Die Franzosen verschlingen beide Brochüren mit Heißhunger, und Hugo's Buch geht reißend um den Preis von zehn Franken ab. Das Wichtigste in beiden Büchern ist die Conclnsion. Hugo wie Proudhon an¬ erkennen die sociale Bedeutung der Rolle Louis Bonaparte's. Das Großartige *) Auf diesen Punkt macht auch die Redaction vorzugsweise aufmerksam; im Uevrigen möchte die „socialistische" Lösung doch immer uoch die gesuchte Wurzel einer Gleichung zehnreu Grades sein.' " 64* /

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/439>, abgerufen am 22.12.2024.