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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Bald reißt der Hahn mit sichelförmigem Schrei
Ins Herz der Nacht, und bricht die Zänkerei.
Jetzt muß es sein,, eh' noch der graue Saum
Des Himmels sich in Gluth des Safrans taucht,
Eh' Morgenluft in Thau und Duft dem Traum
Die zauberischen Larven noch zerhaucht.
O Kikimora, Tranmgott, steh mir bei!
Schon in Triglawa's, deiner Mutter Schooß
Triebst nngeboren dn Verrätherei.
Ihr ward das Herz in Liebessehnsucht groß,
Und mit dem Monde ihre Buhlerei
Gabst ihrem Herrn, dem finstern Tschart, du blos.
Da riß er zweifelnd, wer dein Vater sei,
Erzürnend dich aus ihrem Schooße los;
Sie fluchte dir und gab dich vogelfrei,
"no zwischen Nacht und Tod fiel dir dein Loos,
Gespenstisch Kind, ins Reich der Zauberei.
Die Nacht des Himmels hast dn losgerissen,
Verräther, von des Abgrunds Finsternissen,
Und zwischen Beiden fangst du nun, Bastard,
Des Zwitters Brust, des Schlafs, der Amme ward.
Wie ein Vcunvyr trinkst du sein friedlich Blut,
Ihn mit des Traumes Henchlerflngcln fächelnd.
Daß er sich reich und selig glaubt und lächelnd
Hiuschiffer aus der goldnen Lügen Fluth.
Auch heißest du ihn wol mit schwarzem Zahn
Und jagst ihn athemlos den Fels hinan,
Wo unter ihm ein Chor von Geisterschwänen,
Sein Sterblicd singt ans bitterm Meer der Thränen.
Oft liegst dn Bleiklump mit dem dummen Alpe
'
Ans edler Brust und Schmuzse das Leben ein n. s. w.

denn es geht noch eine ganze Weile so fort. -- In diesen wunderlichen Geschichten
bezieht sich jeder einzelne Punkt aus bestimmte mythologische Traditionen, und dabei hat
es Brentano doch verstanden, diese Traditionen so weit zu idealisiren, daß sie ungesähr
ein Symbol von dem Wesen des . Traums geben, wie> es sich im Kopf einer Hexe ge¬
stalten mag. In dieser Weise geht es das ganze Stück durch, und wenn auch durch
die fortwährende Empirie, durch die unendlichen mythologischen Namen, durch die aus¬
führliche Beschreibung der Zaubermittel und der Zwecke, die dadurch erreicht werden,
das Ganze ein etwas schwerfälliges Ansehen annimmt, so werden wenigstens die eigent¬
lichen Momente der Ekstase mit einer gewissen supranaturalistischen Naturtreue ausgeführt.

Neben dieser ungeheuerlichen Religionsform nimmt noch ein zweiter fremdartiger
Gegenstand unsre Aufmerksamkeit in Anspruch, nämlich die weibliche Leibwache der
Libussa, die nach dem Tode ihrer Gebieterin, wie uns die Sage berichtet, den Böhmi¬
schen Mägdckricg begann. Ein Amazonenvolk darzustellen, ist für das Drama fast eine
ebenso unnatürliche Aufgabe, als wenn man Centauren aus die Bühne bringen wollte.
Eine einzelne Amazone läßt sich wol darstellen, aber massenweise lassen sie sich nur im
Vaudeville anbring,en, in den sieben Mädchen in Uniform, oder in einem Ballet, wie
in Katharina, der Banditenkönigin. Heinrich von Kleist hat sich in seiner Penthcsilca
dadurch geholfen, daß er seine Amazonen nur in einer ganz luftigen, ideal ge-


Bald reißt der Hahn mit sichelförmigem Schrei
Ins Herz der Nacht, und bricht die Zänkerei.
Jetzt muß es sein,, eh' noch der graue Saum
Des Himmels sich in Gluth des Safrans taucht,
Eh' Morgenluft in Thau und Duft dem Traum
Die zauberischen Larven noch zerhaucht.
O Kikimora, Tranmgott, steh mir bei!
Schon in Triglawa's, deiner Mutter Schooß
Triebst nngeboren dn Verrätherei.
Ihr ward das Herz in Liebessehnsucht groß,
Und mit dem Monde ihre Buhlerei
Gabst ihrem Herrn, dem finstern Tschart, du blos.
Da riß er zweifelnd, wer dein Vater sei,
Erzürnend dich aus ihrem Schooße los;
Sie fluchte dir und gab dich vogelfrei,
»no zwischen Nacht und Tod fiel dir dein Loos,
Gespenstisch Kind, ins Reich der Zauberei.
Die Nacht des Himmels hast dn losgerissen,
Verräther, von des Abgrunds Finsternissen,
Und zwischen Beiden fangst du nun, Bastard,
Des Zwitters Brust, des Schlafs, der Amme ward.
Wie ein Vcunvyr trinkst du sein friedlich Blut,
Ihn mit des Traumes Henchlerflngcln fächelnd.
Daß er sich reich und selig glaubt und lächelnd
Hiuschiffer aus der goldnen Lügen Fluth.
Auch heißest du ihn wol mit schwarzem Zahn
Und jagst ihn athemlos den Fels hinan,
Wo unter ihm ein Chor von Geisterschwänen,
Sein Sterblicd singt ans bitterm Meer der Thränen.
Oft liegst dn Bleiklump mit dem dummen Alpe
'
Ans edler Brust und Schmuzse das Leben ein n. s. w.

denn es geht noch eine ganze Weile so fort. — In diesen wunderlichen Geschichten
bezieht sich jeder einzelne Punkt aus bestimmte mythologische Traditionen, und dabei hat
es Brentano doch verstanden, diese Traditionen so weit zu idealisiren, daß sie ungesähr
ein Symbol von dem Wesen des . Traums geben, wie> es sich im Kopf einer Hexe ge¬
stalten mag. In dieser Weise geht es das ganze Stück durch, und wenn auch durch
die fortwährende Empirie, durch die unendlichen mythologischen Namen, durch die aus¬
führliche Beschreibung der Zaubermittel und der Zwecke, die dadurch erreicht werden,
das Ganze ein etwas schwerfälliges Ansehen annimmt, so werden wenigstens die eigent¬
lichen Momente der Ekstase mit einer gewissen supranaturalistischen Naturtreue ausgeführt.

Neben dieser ungeheuerlichen Religionsform nimmt noch ein zweiter fremdartiger
Gegenstand unsre Aufmerksamkeit in Anspruch, nämlich die weibliche Leibwache der
Libussa, die nach dem Tode ihrer Gebieterin, wie uns die Sage berichtet, den Böhmi¬
schen Mägdckricg begann. Ein Amazonenvolk darzustellen, ist für das Drama fast eine
ebenso unnatürliche Aufgabe, als wenn man Centauren aus die Bühne bringen wollte.
Eine einzelne Amazone läßt sich wol darstellen, aber massenweise lassen sie sich nur im
Vaudeville anbring,en, in den sieben Mädchen in Uniform, oder in einem Ballet, wie
in Katharina, der Banditenkönigin. Heinrich von Kleist hat sich in seiner Penthcsilca
dadurch geholfen, daß er seine Amazonen nur in einer ganz luftigen, ideal ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/42>, abgerufen am 22.12.2024.