Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.gesund hält, während er eine Menge von Eindrücken wahrnimmt, die Andere gar nicht Bei Anderen bemerkt man lange Zeit hindurch nichts als sonderbare Handlungen, Viele lassen von ihren Sitten und Gewohnheiten, wie z. B. Säufer das brennende Manche Berufsarten erfordern ein gewisses Quantum positiven Wissens, ohne gesund hält, während er eine Menge von Eindrücken wahrnimmt, die Andere gar nicht Bei Anderen bemerkt man lange Zeit hindurch nichts als sonderbare Handlungen, Viele lassen von ihren Sitten und Gewohnheiten, wie z. B. Säufer das brennende Manche Berufsarten erfordern ein gewisses Quantum positiven Wissens, ohne <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94851"/> <p xml:id="ID_1250" prev="#ID_1249"> gesund hält, während er eine Menge von Eindrücken wahrnimmt, die Andere gar nicht<lb/> mehr empfinden, und von denen, die diese auch wahrnehmen, viel stärker afficirt wird.<lb/> Dadurch wird er eines Theils, weil er seinem bisherigen Denkvermögen zufolge sich<lb/> Vieles in dem gegenwärtigen Gange der Begebenheiten nicht zu deuten vermag, jede<lb/> Schwäche aber die Ursache eines Hemmnisses stets lieber außer sich sucht, als in sich<lb/> und anderen Theils, weil er bei Mangel an klarer Beurtheilung in der Wahl seiner<lb/> Mittel sich irrt, um so mehr argwöhnisch und mißtrauisch gegen Andere, je mehr er das<lb/> dunkle Gefühl hat, daß er selber eigentlich der veranlassende Theil sein möchte. Da¬<lb/> her lauscht er oft auf Alles, was um ihn vorgeht, legt geringfügigen Dingen eine wichtige<lb/> Bedeutung bei, und dieses Mißtrauen unterhält und vermehrt seine Sensibilität. Er<lb/> träumt viel und lebhast und der Inhalt der Träume gewinnt eine größere oder geringere<lb/> Bedeutung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1251"> Bei Anderen bemerkt man lange Zeit hindurch nichts als sonderbare Handlungen,<lb/> ungewöhnliche, bizarre Aeußerungen und Urtheile, die in Verbindung und im Vergleiche<lb/> mit den sonstigen Aeußerungen und der klaren Anschauungsweise ausfallen, obgleich sie,<lb/> wenn man mit Worten dagegen kämpft, lebhast und mit allem Aufwand von Schein-<lb/> gründen vertheidigt werden. — So beabsichtigte ein Kausman ans großen Rosinen<lb/> Champagner zu fabriciren und verbrauchte eine große Quantität dazu; ein Anderer<lb/> riß den Kachelofen in seinem Zimmer selbst ein und schaffte ihn hinaus, um, bequemer-<lb/> in der Stube tanzen zu können; ein Anderer wollte den Winter durch wärmere Kleidung<lb/> ersetzen und sich an die Winterkälte gewöhnen, weil dies gesünder sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1252"> Viele lassen von ihren Sitten und Gewohnheiten, wie z. B. Säufer das brennende<lb/> Verlangen nach Schnaps plötzlich verlieren, ohne Ersatz dafür zu suchen, während<lb/> Andere, die stets nüchtern waren, sich dem Trunke ergeben, oder nehmen neue an;<lb/> viele erscheinen im .geselligen Leben noch vernünftig, während sie in ihrem Geschäftsleben<lb/> schon große Störungen verursacht haben. Viele äußern den angstvollen Gedanken,<lb/> geisteskrank zu werden, und überschütten ihren Arzt mit Bitten um Hilfe, während es<lb/> keinem Gesunden in den Sinn kommt, sie wirklich für geisteskrank zu halten oder sich<lb/> darüber anders als vorübergehend auszusprechen. Andere reisen, aber reisen ohne be¬<lb/> stimmten Zweck oder Plan; kaum find sie irgendwo angekommen, als sie auch schon<lb/> wieder abreisen wollen. Dergleichen Zustände sind es auch, die in den Revolutionszeiten<lb/> sich in dem Benehmen Einzelner offenbarten, als deren Ursache Manche das politische<lb/> Treiben annahmen, während es doch schon Symptom der Krankheit war, die höchstens<lb/> durch die politischen Zustände gesteigert wurde. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1253" next="#ID_1254"> Manche Berufsarten erfordern ein gewisses Quantum positiven Wissens, ohne<lb/> daß eine allgemeinere harmonische Entwickelung der geistigen Kräfte, für nothwendig<lb/> gehalten wird oder sich vermitteln läßt. Sie bedingen eine zwitterhafte Stellung im<lb/> menschlichen Leben, die nach oben weder geistig noch materiell sich Bahn zu brechen<lb/> vermag, und doch auch nach unten sich überschätzt, während eine unaufhörliche Thätig¬<lb/> keit in Anspruch genommen ist, ohne daß ein Aequivalent von Erholung dargeboten<lb/> wird. So ist nicht selten bei Elementarlehrern Ueberschätzung der eigenen Kräfte, und<lb/> verkehrte Anwendung der vorhandenen bisher noch durch Disciplin und Vernunft eingeengt.<lb/> Bei einer Störung der Gehirnthätigkeit tritt dieser Dünkel schärfer zum Vorscheine.<lb/> Sie überschätzen ihre Thätigkeit, klagen über vermeintliche Zurücksetzung, excediren in<lb/> Schülstrafen, zeigen großen Eigenwillen, Widersetzlichkeit, haben Hinneigung zur Mystik</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0410]
gesund hält, während er eine Menge von Eindrücken wahrnimmt, die Andere gar nicht
mehr empfinden, und von denen, die diese auch wahrnehmen, viel stärker afficirt wird.
Dadurch wird er eines Theils, weil er seinem bisherigen Denkvermögen zufolge sich
Vieles in dem gegenwärtigen Gange der Begebenheiten nicht zu deuten vermag, jede
Schwäche aber die Ursache eines Hemmnisses stets lieber außer sich sucht, als in sich
und anderen Theils, weil er bei Mangel an klarer Beurtheilung in der Wahl seiner
Mittel sich irrt, um so mehr argwöhnisch und mißtrauisch gegen Andere, je mehr er das
dunkle Gefühl hat, daß er selber eigentlich der veranlassende Theil sein möchte. Da¬
her lauscht er oft auf Alles, was um ihn vorgeht, legt geringfügigen Dingen eine wichtige
Bedeutung bei, und dieses Mißtrauen unterhält und vermehrt seine Sensibilität. Er
träumt viel und lebhast und der Inhalt der Träume gewinnt eine größere oder geringere
Bedeutung.
Bei Anderen bemerkt man lange Zeit hindurch nichts als sonderbare Handlungen,
ungewöhnliche, bizarre Aeußerungen und Urtheile, die in Verbindung und im Vergleiche
mit den sonstigen Aeußerungen und der klaren Anschauungsweise ausfallen, obgleich sie,
wenn man mit Worten dagegen kämpft, lebhast und mit allem Aufwand von Schein-
gründen vertheidigt werden. — So beabsichtigte ein Kausman ans großen Rosinen
Champagner zu fabriciren und verbrauchte eine große Quantität dazu; ein Anderer
riß den Kachelofen in seinem Zimmer selbst ein und schaffte ihn hinaus, um, bequemer-
in der Stube tanzen zu können; ein Anderer wollte den Winter durch wärmere Kleidung
ersetzen und sich an die Winterkälte gewöhnen, weil dies gesünder sei.
Viele lassen von ihren Sitten und Gewohnheiten, wie z. B. Säufer das brennende
Verlangen nach Schnaps plötzlich verlieren, ohne Ersatz dafür zu suchen, während
Andere, die stets nüchtern waren, sich dem Trunke ergeben, oder nehmen neue an;
viele erscheinen im .geselligen Leben noch vernünftig, während sie in ihrem Geschäftsleben
schon große Störungen verursacht haben. Viele äußern den angstvollen Gedanken,
geisteskrank zu werden, und überschütten ihren Arzt mit Bitten um Hilfe, während es
keinem Gesunden in den Sinn kommt, sie wirklich für geisteskrank zu halten oder sich
darüber anders als vorübergehend auszusprechen. Andere reisen, aber reisen ohne be¬
stimmten Zweck oder Plan; kaum find sie irgendwo angekommen, als sie auch schon
wieder abreisen wollen. Dergleichen Zustände sind es auch, die in den Revolutionszeiten
sich in dem Benehmen Einzelner offenbarten, als deren Ursache Manche das politische
Treiben annahmen, während es doch schon Symptom der Krankheit war, die höchstens
durch die politischen Zustände gesteigert wurde. —
Manche Berufsarten erfordern ein gewisses Quantum positiven Wissens, ohne
daß eine allgemeinere harmonische Entwickelung der geistigen Kräfte, für nothwendig
gehalten wird oder sich vermitteln läßt. Sie bedingen eine zwitterhafte Stellung im
menschlichen Leben, die nach oben weder geistig noch materiell sich Bahn zu brechen
vermag, und doch auch nach unten sich überschätzt, während eine unaufhörliche Thätig¬
keit in Anspruch genommen ist, ohne daß ein Aequivalent von Erholung dargeboten
wird. So ist nicht selten bei Elementarlehrern Ueberschätzung der eigenen Kräfte, und
verkehrte Anwendung der vorhandenen bisher noch durch Disciplin und Vernunft eingeengt.
Bei einer Störung der Gehirnthätigkeit tritt dieser Dünkel schärfer zum Vorscheine.
Sie überschätzen ihre Thätigkeit, klagen über vermeintliche Zurücksetzung, excediren in
Schülstrafen, zeigen großen Eigenwillen, Widersetzlichkeit, haben Hinneigung zur Mystik
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |