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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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man wollte jedoch behaupten, daß der gewandte Kavalier Gelegenheit fände, ohne
Wissen des Herzogs von Valencia heimlich von Zeit zu Zeit nach der Hauptstadt
zu kommen. Noch im Sommer 18i9 während des Aufenthaltes des Hofes in
La Granja schienen die Neigungen der Königin und des Königs so, wenig zu
sympathisiren, als je. Jsabella lebte in den rauschendstcn Belustigungen, während
ihr Gemahl außer schier Passion für die Jagd nur Empfänglichkeit für die An-
dachtsübungen zeigte, womit seine priesterliche Umgebung ihn eifrig beschäftigte.
Der außerordentlich,unbeständige Charakter der Königin kaun allein die folgenden
Ereignisse nicht erklärlich machen.

In den ersten TaHen des October ward das EinberufungSdecret der Cortes
für den 30. d. M. erlassen.

Am -18. October zeigte Jsabella dem Grasen von Pluv-Hermosa, einem
Bruder des Marinemiuisters, der eine der ersten Hofchargen bekleidete, einen Brief
des Königs, in welchem dieser seine Gemahlin aufforderte, sich von der Herrschaft
des Narvaez, der sie den Progressisten überliefern wolle, zu befreien. Die Kö¬
nigin erklärte Pluv-Hermosa ihr Bedauern, auch seinen Bruder hiernach ent¬
lassen zu müssen, und beauftragte ihn, dem Leitern darüber Mittheilung zu machen,
was auch sofort geschah. Roca de Tvgores setzte ohne Weiteres seine Collegen
von dem Geschehenen in Kenntniß, der Ministerrath trat zusammen und reichte
noch an demselben Tage in eorpors der Königin seiue Entlassung ein. Dieselbe
wurde angenommen, und, als ob kein Grund zu Unruhe oder Besorgniß vor¬
handen wäre, ging Jsabella in's Theater. Am andern Morgen brachte die Gaceta
den staunenden Bewohnern der Hauptstadt nicht blos die Nachricht von dem Sturze
des allmächtigen Herzogs von Valencia, sondern zugleich die Ernennung eines
neuen Ministeriums, dessen Zusammensetzung kaum glaublich erschien. Präsident
des Conseils und Kriegsminister war der General Cleonard, Vorsteher der Kriegs¬
schule und Senator, übrigens weder als Soldat, noch sonst von bedeutendem
Ruf. Zum Minister des Innern war der General Balboa erwählt, übel bekannt
aus dem Bürgerkriege her durch Handlungen der entmenschtesten Grausamkeit und
seit lange außer activen Dienst. Ein obscurer Beamter des Oberrcchnungshofes,
Armesto, war zum Finanzminister, ein ebenso unbekannter Advokat aus Murcia,
Mauresa, zum Justizminister ernannt. Diese vier waren die augenblicklich in der
Hauptstadt Anwesenden der neuen Minister, die es übernahmen, die Erbschaft
eines Cabinets anzutreten, das aus deu hervorragendsten Staatsmännern der
moderirten Partei bestand. Der Graf Colombi, Gesandter in Portugal, und
Bustillos, Commandant des Geschwaders an der italienischen Küste, beide zur Zeit
weder in Madrid, noch in Spanien, waren mit den Portefeuilles des Aeußern
und der Marine betraut, der Letztere sicher ohne sein Vorwissen.

Die Schöpfung eines solchen Cabinets in Stelle einer Negierung, welche
die Mehrheit der Cortes, so wie das öffentliche Vertrauen besaß und der Krone


man wollte jedoch behaupten, daß der gewandte Kavalier Gelegenheit fände, ohne
Wissen des Herzogs von Valencia heimlich von Zeit zu Zeit nach der Hauptstadt
zu kommen. Noch im Sommer 18i9 während des Aufenthaltes des Hofes in
La Granja schienen die Neigungen der Königin und des Königs so, wenig zu
sympathisiren, als je. Jsabella lebte in den rauschendstcn Belustigungen, während
ihr Gemahl außer schier Passion für die Jagd nur Empfänglichkeit für die An-
dachtsübungen zeigte, womit seine priesterliche Umgebung ihn eifrig beschäftigte.
Der außerordentlich,unbeständige Charakter der Königin kaun allein die folgenden
Ereignisse nicht erklärlich machen.

In den ersten TaHen des October ward das EinberufungSdecret der Cortes
für den 30. d. M. erlassen.

Am -18. October zeigte Jsabella dem Grasen von Pluv-Hermosa, einem
Bruder des Marinemiuisters, der eine der ersten Hofchargen bekleidete, einen Brief
des Königs, in welchem dieser seine Gemahlin aufforderte, sich von der Herrschaft
des Narvaez, der sie den Progressisten überliefern wolle, zu befreien. Die Kö¬
nigin erklärte Pluv-Hermosa ihr Bedauern, auch seinen Bruder hiernach ent¬
lassen zu müssen, und beauftragte ihn, dem Leitern darüber Mittheilung zu machen,
was auch sofort geschah. Roca de Tvgores setzte ohne Weiteres seine Collegen
von dem Geschehenen in Kenntniß, der Ministerrath trat zusammen und reichte
noch an demselben Tage in eorpors der Königin seiue Entlassung ein. Dieselbe
wurde angenommen, und, als ob kein Grund zu Unruhe oder Besorgniß vor¬
handen wäre, ging Jsabella in's Theater. Am andern Morgen brachte die Gaceta
den staunenden Bewohnern der Hauptstadt nicht blos die Nachricht von dem Sturze
des allmächtigen Herzogs von Valencia, sondern zugleich die Ernennung eines
neuen Ministeriums, dessen Zusammensetzung kaum glaublich erschien. Präsident
des Conseils und Kriegsminister war der General Cleonard, Vorsteher der Kriegs¬
schule und Senator, übrigens weder als Soldat, noch sonst von bedeutendem
Ruf. Zum Minister des Innern war der General Balboa erwählt, übel bekannt
aus dem Bürgerkriege her durch Handlungen der entmenschtesten Grausamkeit und
seit lange außer activen Dienst. Ein obscurer Beamter des Oberrcchnungshofes,
Armesto, war zum Finanzminister, ein ebenso unbekannter Advokat aus Murcia,
Mauresa, zum Justizminister ernannt. Diese vier waren die augenblicklich in der
Hauptstadt Anwesenden der neuen Minister, die es übernahmen, die Erbschaft
eines Cabinets anzutreten, das aus deu hervorragendsten Staatsmännern der
moderirten Partei bestand. Der Graf Colombi, Gesandter in Portugal, und
Bustillos, Commandant des Geschwaders an der italienischen Küste, beide zur Zeit
weder in Madrid, noch in Spanien, waren mit den Portefeuilles des Aeußern
und der Marine betraut, der Letztere sicher ohne sein Vorwissen.

Die Schöpfung eines solchen Cabinets in Stelle einer Negierung, welche
die Mehrheit der Cortes, so wie das öffentliche Vertrauen besaß und der Krone


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/348>, abgerufen am 22.12.2024.